Berliner Forscher untersuchen seit Jahren das Verhalten der Tüpfelhyänen im Ngorongoro-Krater in Tansania. Sie schildern nun, mit welchen Strategien die Tiere ihre Partner wählen und Inzucht vermeiden.

Stuttgart/Berlin - Stubenhocker sind in Hyänenkreisen keineswegs nur die zweite Wahl: Das stellt bisherige Annahmen über das Verhalten von Tüpfelhyänen auf den Kopf. Lange hatten Verhaltensforscher vermutet, nur die weniger fitten Männchen blieben bei Mutter und Schwestern in der Gruppe, in der sie geboren wurden, weil sie in der Fremde schlechte Chancen haben. Doch das stimmt offenbar nicht.

 

Für die Überlegung schienen zunächst auch die Zahlen zu sprechen, die Eve Davidian, Oliver Höner und ihre Kollegen vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin seit April 1996 im Ngorongoro-Krater in Tansania gesammelt haben: 41 der insgesamt beobachteten 254 Männchen blieben dauerhaft im „Hotel Mama“, der große Rest dagegen wanderte in eine andere Gruppe aus. Das nährte den Verdacht, dass sich die schwächsten Tiere nicht in die große weite Welt trauen könnten. Die weitere Analyse der Daten aber widerlegte diese Annahme klar: Die Stubenhocker sind im Durchschnitt genauso fit wie die Auswanderer, erklären die IZW-Forscher in der Online-Zeitschrift „Science Advances“. Das bedeutet, dass andere Gründe hinter dem Verhalten der Tüpfelhyänen-Männchen stehen müssen.

In der Welt der Hyänen haben Männchen wenig zu sagen

Diese Gründe wiederum finden die Forscher im Alltag der acht Hyänen-Gruppen des Ngorongoro-Kraters, den sie seit 20 Jahren unter die Lupe nehmen. In dieser Welt haben die Männchen nur wenig zu sagen. „Die Hyänen-Oberschicht besteht aus Weibchen, die den Boss ihrer Gruppe normalerweise unter sich ausmachen“, erklärt Oliver Höner. Die weibliche Vormacht stützt sich auf ein außergewöhnliches Detail im Körperbau der Hyänen. Die Klitoris der Tiere ist extrem groß, erreicht beinahe die Dimension eines Hyänen-Penis und ist obendrein auch noch genau wie dieser nach vorne gerichtet. Die Männchen müssen daher akrobatisch begabt sein, wenn sie von hinten auf ein Weibchen steigen und in zusammengekrümmter Haltung versuchen, ihren Penis einzuführen. Denn das Weibchen kann das Männchen schnell abuschütteln. „Wenn das Weibchen nicht will, liegt das Männchen ruck, zuck rücklings im Staub der Savanne und kann den Versuch der Fortpflanzung als erfolglos abhaken“, fasst Oliver Höner einige Beobachtungen zusammen. Bei den Tüpfelhyänen gilt also immer das Prinzip der Damenwahl.

Völlig frei aber sind auch die Damen im Ngorongoro-Krater nicht. So gibt es ja noch das Problem der Inzucht: Paaren sich nahe Verwandte untereinander, steigt zum Beispiel das Risiko stark, dass die Nachkommen anfälliger für Krankheiten sind. Daher wählen Hyänen-Weibchen normalerweise nur solche Männchen als Partner, die erst nach ihnen zur Gruppe gestoßen oder die jünger als sie selbst sind. So schließen sie zuverlässig Inzucht mit dem eigenen Vater oder mit einem älteren Bruder aus.

Weibchen bleiben, Männchen wandern

Obendrein bleiben die Weibchen meist ihr ganzes Leben in der Gruppe, in der sie geboren wurden. Ihre jüngeren Brüder kennen sie also von klein auf und können so Inzucht vermeiden. Ähnlich einfachen Regeln folgen die Strategien zum Verhindern von Inzucht auch bei anderen Säugetier-Arten. Bevor das Interesse am anderen Geschlecht zu stark wird, wird eine der beiden Seiten von unwiderstehlicher Wanderlust gepackt. Fast immer sind es die Männchen, die dann in die Ferne ziehen und dort eine Partnerin suchen. Dabei auf eine leibliche Schwester zu treffen, ist sehr unwahrscheinlich, und das Inzuchtrisiko bleibt gering. Allerdings hat diese Strategie auch ihren Preis: Für weite Wanderungen müssen die Männchen einige Energie aufbringen. Gleichzeitig kennt man sich in der Fremde schlechter aus. Dadurch steigen natürlich auch die Risiken. Langfristig aber zahlen sich die Wanderjahre doch aus, weil man so vielleicht der Enge der Heimat entkommt, in der die besten Plätze schon längst von anderen besetzt sind.

Diesen Wandertrieb haben auch die jungen Tüpfelhyänen-Männchen. „Die Tiere können am Tag locker einen Marathon laufen und streifen oft weit umher“, berichtet Oliver Höner. Auch wenn Hyänen häufig Aasfresser genannt werden, sind sie normalerweise eher Jäger und suchen auf ihren Wanderungen nach Beute. Ganz nebenbei lernen sie dabei auch ihre Nachbarn kennen. „Besonders interessant sind Gruppen mit vielen jungen Weibchen“, erklärt Oliver Höner.

In solchen Gruppen sind die Chancen schließlich am größten. Denn diese Weibchen verfolgen nicht nur die Inzucht-Vermeidungsstrategie und wählen nur Männchen, die nach ihrer Geburt in die Gruppe gekommen sind, sondern haben auch noch andere Präferenzen. Zum Beispiel halten sie wenig davon, die Katze im Sack zu kaufen. Sie lassen sich am liebsten mit jemandem ein, den sie gut kennen. Das aber baut eine weitere Hürde vor den Männchen auf: Sie brauchen viel Geduld, bis es endlich so weit ist, und warten manchmal sogar Jahre, bis sie endlich die Chance bekommen. Wählen sie eine Gruppe mit vielen älteren Hyänen-Weibchen, segnen einige von ihnen in dieser Wartezeit vermutlich das Zeitliche. In dieser Zeit werden zwar sehr wahrscheinlich auch einige Weibchen in der Gruppe geboren, die aber haben nicht das geringste Interesse an den älteren Herren, die schon vor ihrer Geburt in der Gruppe waren.

Damit aber sind auch die Präferenzen der Hyänenmännchen klar: Sie schauen sich die Gruppen genau an, die sie auf ihren Marathon-Distanzen kennenlernen, und suchen sich die aus, in der die meisten jungen Weibchen leben. Danach beginnt die Ochsentour: Die Neuen landen in der Hierarchie erst einmal auf der untersten Stufe. Dabei sind sie ganz auf sich alleine gestellt, weil sie noch keiner kennt und sie daher noch keine Freunde haben, die sie unterstützen. Im Laufe der Jahre leben sie sich dann ein, bauen sich einen Freundeskreis auf und steigen in der Unterschicht jedes Mal eine Stufe auf, wenn ein höherrangiges Männchen stirbt oder die Gruppe verlässt.

Einen Teil dieser Ochsentour können die Stubenhocker vermeiden, die in der ursprünglichen Gruppe bleiben, in der auch ihre Mutter und ihre Schwestern leben. Diese vermeiden zwar Inzucht, unterstützen aber in anderen Belangen das eng verwandte Männchen nach Kräften. Sind die Chancen auf Fortpflanzung dann auch noch ganz gut, weil ein paar nicht verwandte Weibchen in der Gruppe leben, die als Partnerin in Frage kommen, bietet diese Taktik der Partnerwahl die allerbesten Aussichten, Nachkommen zu zeugen.