Das schmale Hula-Tal im Norden Israels ist Rastplatz für Millionen Zugvögel jedes Jahr – ein Paradies für Biologen. Mit neuartigen Sendern verfolgen die Forscher jeden Flug sekunden- und metergenau, um herauszufinden, was die Vögel den ganzen Tag treiben.

Hula-Tal - Die Kraniche kreischen, während der Traktor über das Feld fährt. Einige gehen ihm aus dem Weg, andere fliegen unter Protest auf. Man sieht die grauen Vögel immer zu dritt oder viert im Familienverbund. DNA-Analysen ihrer Federn zeigen, dass die meisten der Vögel aus Osteuropa und Russland stammen. Sie fliegen im Herbst über den Nahen Osten nach Afrika. Das schmale Hula-Tal im Norden Israels gehört zu diesem Nadelöhr der Route. Rund 500 Millionen Vögel ziehen jedes Jahr durch das trocken gelegte Tal, das früher einmal ein Sumpf war.

 

Doch seit einigen Jahren bleibt ein Teil der Kraniche im Hula-Tal und überwintert dort. Es dürften etwa 40 000 Vögel sein. Auf den Feldern des Tals werden vor allem Erdnüsse und Mais angebaut. „Die Kraniche können die Ernte in kurzer Zeit fressen“, sagt der Ökologe Ran Nathan von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Um die Bauern zu beruhigen, werden die Vögel nun gefüttert. Einige Tonnen Körner jeden Tag. „Keine optimale Lösung“, gibt Nathan zu. Aber bevor man eine bessere findet, muss man mehr über das Leben der Vögel erfahren. Das ist seine Aufgabe.

Die Sender sind leichter und billiger geworden

Mit einem internationalen Team hat Nathan kleine Sender entwickelt, die man Vögeln und Fledermäusen auf den Rücken kleben kann. Sie wiegen nur wenige Gramm und sind im Gefieder kaum zu sehen. Nur der Draht der Antenne ragt heraus. Wenn Biologen Vögel mit Sendern ausstatten, handelt es sich meistens um Geräte, die aus den Signalen der GPS-Satelliten die Position der Vögel berechnen. Dazu ist ein kleiner Computer nötig, der einiges an Strom verbraucht. Die Sender in Nathans Projekt piepsen jedoch nur – und die Signale werden von Mobilfunkmasten auf den Hügeln aufgefangen und erst anschließend ausgewertet. So fallen die Sender weniger ins Gewicht, sagt Nathan, und sie kosten auch nicht mehr 2000 Euro, sondern nur noch 50 Euro. Wenn die Batterie nach einigen Tagen leer ist, löst sich auch der Klebstoff und der Sender fällt ab.

Verfolgen kann man die Vögel allerdings nur im Hula-Tal, das keine zehn Kilometer breit ist. An der östlichen Seite erheben sich die braunen Hügel der Golan-Höhen, die Israel annektiert hat. Gelegentlich ist ein dumpfer Knall zu hören. Eine Explosion hinter der Grenze zu Syrien? Der Krieg ist nur einige Dutzend Kilometer entfernt. Das Auswärtige Amt in Berlin warnt vor Reisen in das unmittelbare Grenzgebiet zu Syrien. Auch im Hula-Tal seien Ende August Einschläge verzeichnet worden. Doch am renaturierten Sumpfgebiet um den Agamon-See treffen Busse mit Touristen ein. Geboten wird eine Vogel-Safari über die Felder im Anhänger eines Traktors.

Ran Nathan ist in der israelischen Hafenstadt Eilat am Roten Meer aufgewachsen, wo ebenfalls Millionen Zugvögel zu sehen sind. „Für die Reisegruppen war ich der Junge mit dem Fernglas, der alles über die Vögel wusste“, erzählt er. Nach dem Studium drängte ihn sein Betreuer jedoch dazu, Pflanzen zu erforschen. „Ich wurde ein Experte für die Ausbreitung von Samen“, sagt Nathan. Erst nach Jahren gelang es ihm, sein Forschungsgebiet auf die geliebten Vögel auszuweiten: Er entwickelte den Ansatz, die Wanderungen aller Organismen gemeinsam zu studieren – ein Ansatz, der auch in Deutschland aufgegriffen worden ist. „On the move“ – in Bewegung, steht auf seinem T-Shirt.

Milliarden Datenpunkte für jedes Forschungsprojekt

Seit anderthalb Jahren leitet Nathan ein Zentrum der Minerva-Stiftung, die unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft deutsch-israelische Forschungsprojekte mit jeweils 150 000 Euro im Jahr fördert. Er will das Leben der Vögel genauer verstehen und die neuen Sender geben ihm dazu die Möglichkeit: Sie liefern jede Sekunde ein Signal, so dass man jederzeit auf den Meter genau weiß, wo sich die 150 Vögel befinden, die derzeit einen Sender tragen. Ein Mitarbeiter Nathans führt das vor. Gerade hat ein Kollege einen Vogel mit einem Sender freigelassen, den er eine halbe Stunde zuvor in einem feinen Netz über dem Feld gefangen hatte. Ein Laptop mit einer Antenne liegt auf der Motorhaube des Geländewagens und zeigt an, wohin der Vogel fliegt.

Was die Vögel tun, wenn sie im Hula-Tal überwintern, ist nur eine der Fragen, die Nathan erforschen will. Ebenso interessiert ihn, ob die Vögel ihre Reviere im Laufe der Zeit verlegen. Und er möchte wissen, wie sie mit anderen Vogelarten zurechtkommen. Die Schleiereulen, die in Nistkästen brüten, attackieren nachts zum Beispiel andere Vögel. In einem einzelnen Forschungsprojekt können Milliarden Datenpunkte zusammenkommen, schwärmt Nathan und erzählt von Zeiten, als man die Vögel noch selbst beobachten musste. Damals habe man seine Schlussfolgerungen auf 100 oder 200 Datenpunkte gestützt, sagt er. „Wir sind im Zeitalter der Entdeckungen.“

Stichwort: Das Hula-Tal

Landwirtschaft
In den 1950er-Jahren wurde das einst sumpfige Hula-Tal (auch Chula-Tal genannt) im Norden Israels über mehrere Jahre trocken gelegt, um Ackerflächen zu gewinnen. Das wird heute als Fehler angesehen, da der torfige Boden nicht sehr fruchtbar ist. Außerdem entzündete sich der Torf an einigen Stellen von selbst und es wurden große Mengen Nährstoffe ausgeschwemmt, die im See Genezareth zu einer Algenblüte führten.

Naturschutz
Einen kleinen Teil des Sumpfes hat die israelische Regierung schon 1964 zum Naturschutzgebiet erklärt. In den 90er-Jahren wurde zudem der Agamon-See angelegt, der ebenfalls Raststätte für zahlreiche Zugvögel ist. Jedes Jahr passieren rund 500 Millionen Vögel den Nahen Osten auf ihrem Weg zu ihren Winterquartieren in Afrika.