Seit etwa 150 Jahre leben im Bodensee und in seinen Zuflüssen Stichlinge. Die beiden Gruppen entwickeln sich aber offensichtlich so unterschiedlich, dass bald zwei Arten entstehen könnten.

Wenn man die beiden Dreistachligen Stichlinge zusammen in einem Aquarium hält, dann steht einer erfolgreichen Fortpflanzung eigentlich nichts im Wege. In der Natur sieht es aber ein bisschen anders aus – denn die beiden stammen aus recht unterschiedlichen Welten. Der eine Stichling kommt aus einer Gruppe, die praktisch das ganze Jahr im Bodensee lebt. Nur wenn die Fortpflanzungszeit naht, wandern die Tiere ein wenig die Flüsse hinauf, um sich dort zu paaren und Eier zu legen. In den Zuflüssen wiederum ist die andere Stichlingsgruppe zuhause und vermehrt sich auch dort.

 

Es gäbe also durchaus Gelegenheit für amouröse Begegnungen, genutzt aber wird diese Möglichkeit offenbar nicht. Im Erbgut der „See-Stichlinge“ gibt es gleich 40 Regionen, die sich jeweils eindeutig von der DNA der „Fluss-Stichlinge“ unterscheiden, berichten David Marques und Ole Seehausen vom Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag und von der Universität Bern gemeinsam mit ihren Kollegen in der Online-Zeitschrift „Plos Genetics“. Offensichtlich hat der Dreistachlige Stichling im Bodensee und seinen Zuflüssen die ersten Schritte zu einer Aufspaltung in zwei unterschiedliche Arten bereits getan.

Erste Hinweise vor 150 Jahren

„Und das in höchstens 150 Jahren“, staunt David Marques. Der Bodensee kam nach der letzten Eiszeit viele Jahrtausende ohne den Dreistachligen Stichling aus. Die ersten Indizien für diese Art tauchten vor 150 Jahren im Bodensee und seinen Zuflüssen auf. In der Gegend von Basel dagegen schwamm die Art bereits vor dieser Zeit im Rhein. Zum Bodensee hin aber stellt der 23 Meter hohe Rheinfall bei Schaffhausen eine unüberwindbare Barriere dar.

Vergleichen die Forscher heute das Erbgut der Stichlinge bei Basel und weiter rheinabwärts mit ihren Artgenossen im Bodensee und seinen Zuflüssen, finden sie deutliche Unterschiede. Beide gehören also zu unterschiedlichen Gruppen. Die nächsten Verwandten der Bodensee-Stichlinge schwimmen in den Gewässern des Baltikums. Von dort aber führt der einzige Wasserweg über den Rhein und die Barriere Rheinfall zum Bodensee. Damit aber bleibt nur noch ein Weg für die Fische: „Vermutlich haben Menschen vor rund 150 Jahren aus dem Baltikum stammende Stichlinge im Bodensee oder seinen Zuflüssen ausgesetzt“, erklärt David Marques. Ihre Nachkommen schwimmen noch heute im See.

Unterschiedliche Umweltbedingungen

Weshalb aber spalten sich die Stichlinge im Bodensee und in seinen Zuflüssen offensichtlich in zwei Gruppen auf? Nach den Regeln der Evolution sollte das passieren, wenn sich die Umwelt der Tiere deutlich voneinander unterscheidet. Genau das ist hier der Fall. Im See gibt es viele Fische, die gerne einen gerade einmal fingerlangen Stichling fressen. Der aber wehrt sich mit seinen Stacheln, die er bei Gefahr aufrichtet. Dadurch wird er größer, passt schlechter in das Maul eines Angreifers und kann diesen mit seinen Stacheln auch noch verletzten. Obendrein haben die Stichlinge aus ihrer baltischen Heimat einen Panzer aus Knochenplatten mitgebracht, den Vogelschnäbel nur schlecht packen können.

In den Zuflüssen sind dagegen nicht Fische und Vögel die wichtigsten Feinde der Stichlinge, sondern die großen Larven großer Libellen. Diese aber können die wuchtigen Knochenplatten der See-Stichlinge viel besser als ein Vogelschnabel packen. Und sie lassen sich von den Stacheln viel weniger abschrecken. Diese unterschiedliche Umwelt spiegelt sich auch im Körperbau wider. Die im See lebenden Tiere haben ein wenig breitere Knochenplatten auf der Haut, die sie so besser vor Vogelschnäbeln schützen. Auch die schützenden Stacheln sind länger als bei den Fluss-Stichlingen.

Aus eins mach zwei

„Diese Anpassung an unterschiedliche Feinde spiegelt sich anscheinend auch im Erbgut wider“, erklärt David Marques seine DNA-Analysen. Die Stichlinge im See und die in den Zuflüssen sind zwar immer noch eine Art. Aber sie sind dabei, zwei neue Arten zu bilden. Zudem werden die Seebewohner deutlich größer, passen so noch schlechter ins Maul gefräßiger Feinde und warten mit dem ersten Nachwuchs bis zum dritten Lebensjahr. Die kleineren Fluss-Stichlinge dagegen legen normalerweise bereits in ihrem zweiten Lebensjahr Eier, sterben aber früher. Auch diese Indizien weisen darauf hin, dass im Bodensee und seinen Zuflüssen derzeit gerade aus einer zwei neue Arten entstehen.