Künstliche Beleuchtung stellt nachtaktive Insekten vor immer größere Probleme – zum Beispiel bei der Partnersuche. Wissenschaftler untersuchen, welche Auswirkungen das hat.

Berlin - Es sind nicht nur die sprichwörtlichen Motten, die man jetzt in den warmen Sommernächten wieder um Lampen und Laternen schwirren sieht. Auch zahllose andere Insekten scheinen sich von Licht geradezu magisch angezogen zu fühlen. Und da es weltweit einen massiven Trend zu mehr künstlicher Beleuchtung gibt, sind sie dieser Versuchung immer häufiger ausgesetzt. Welche Folgen aber hat das für die Tiere? „Insekten sind in fast allen Lebensräumen der Erde zu finden und erfüllen dort wichtige Funktionen“, sagt Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. „Deshalb müssen wir uns dringend mit dieser Frage beschäftigen.“ Die ersten Antworten haben er und andere Wissenschaftler bereits gefunden.

 

Klar ist, dass Lampen für etliche der Sechsbeiner zur Todesfalle werden. „Viele flattern so lange um das Licht herum, bis sie vor Erschöpfung sterben“, erklärt Franz Hölker. Andere dagegen landen im Magen von gefräßigen Feinden. Die bekommen nämlich sehr schnell heraus, wo sie mit wenig Aufwand reiche Beute machen können. „Für etliche Spinnen- und Fledermausarten sind Laternen wie reich gedeckte Büfetts“, sagt der Forscher.

Die nächtlichen Jäger profitieren dabei nicht nur davon, dass die Lampen wie eine Art Staubsauger alle möglichen Beutetiere aus der Umgebung anziehen. Auch die Abwehrstrategien der potenziellen Opfer scheinen im Kunstlicht nicht so gut zu funktionieren wie normalerweise. Das zeigt ein Versuch, in dem britische Forscher um Andrew Wakefield von der University of Bristol Nachtfaltern die Peillaute jagender Fledermäuse vorgespielt haben. In einer von LED-Lampen beleuchteten Umgebung vollführten die Insekten daraufhin weniger Sturzflüge als im Dunkeln. Dabei haben sie diese Manöver über Jahrmillionen entwickelt, um den nächtlichen Jägern auszuweichen. Offenbar bringt das Kunstlicht sie dazu, diese bewährte Strategie aufzugeben – mit fatalen Folgen.

Straßenlaternen bringen den Flugplan von Nachtfaltern durcheinander

Insgesamt kann die Insekten-Sterblichkeit in hell erleuchteten Städten verschiedenen Studien zufolge zwischen 40- und 100-mal höher liegen als auf dem dunkleren Land. Doch selbst für die überlebenden Tiere wird die nächtliche Beleuchtungsoffensive oft zum Problem. Franz Hölker und seine Kollegen haben zum Beispiel untersucht, ob Straßenlaternen den Flugplan von Nachtfaltern durcheinanderbringen können. Der Naturpark Westhavelland, etwa 70 Kilometer nordwestlich von Berlin, gilt als eine der dunkelsten Regionen in Deutschland. Dort haben Hölker und sein Team mehrere herkömmliche Straßenlampen neben- und hintereinander aufgestellt und an jeder eine Insektenfalle angebracht.

In diesem Experiment hat sich gezeigt, dass jede brennende Lampe aus einem Umkreis von rund 23 Metern Nachtfalter anlockt. Da die Laternen an europäischen Straßen normalerweise zwischen 25 und 45 Metern auseinanderstehen, überlappen sich diese Radien. Motten haben es also wesentlich schwerer, eine beleuchtete Straße zu passieren. Solche Lichtschneisen können daher selbst gute Falter-Lebensräume in einzelne Fragmente zerschneiden. Und das macht für die Tiere nicht nur jede Wanderung mühsam, sondern auch die Partnersuche.

Viele Arten müssen für ein erfolgreiches Rendezvous spezielle Strukturen wie Gewässerränder oder Bäume aufsuchen. Manche bleiben auf dem Weg dahin an den Laternenbarrieren hängen und kommen gar nicht mehr weiter. Andere verlieren zumindest Zeit und Energie. Das aber können sich Nachtfalter kaum leisten. Schließlich dauert ihr Erwachsenenleben in gemäßigten Breiten ohnehin nur sieben bis zwölf Tage, da bleibt nicht viel Zeit für die Familiengründung. „Die Lichtbarrieren können also dazu führen, dass die Tiere entweder gar nicht zum Partner kommen oder zu spät“, erklärt Franz Hölker.

Das Licht funkt ins Sexualleben der Motten hinein

Es gibt weitere Hindernisse. Zumindest einigen Mottenarten funkt das Licht auch noch direkt in ihr Sexualleben hinein. Koert van Geffen von der Wageningen-Universität in den Niederlanden und seine Kollegen haben das beim Kleinen Frostspanner beobachtet. Auf den mit LED-Lampen beleuchteten Eichenstämmen fanden sie nicht nur deutlich weniger Falterweibchen als auf unbeleuchteten Pendants. Die Tiere kamen im Licht auch deutlich seltener zur Sache: Während mehr als die Hälfte der im Dunkeln lebenden Frostspannerinnen Spermapakete im Körper trugen, waren es im Kunstlicht je nach Wellenlänge nur zwischen 13 und 28 Prozent.

Ein zweiter Versuch zeigte, woran das liegen könnte. Darin haben die Forscher die Männchen mit künstlich hergestellten weiblichen Sexuallockstoffen konfrontiert. Im Licht wirkten diese deutlich weniger anziehend als im Dunkeln. Offenbar kommt den Motten-Casanovas bei voller Beleuchtung die Lust aufs andere Geschlecht abhanden. Bei anderen Falterarten tragen auch die potenziellen Partnerinnen dazu bei, dass es zwischen den Geschlechtern nicht mehr so recht funkt. So produzieren die Weibchen der Kohl-Eule bei Kunstlicht weniger Sexuallockstoffe. Auch die Zusammensetzung des Cocktails verändert sich. Das könnte die Anziehungskraft für die Männchen verringern.

Gespinstmotte hat sich auf die hellen Zeiten eingestellt

Ist also der Beleuchtungsboom schuld am Rückgang von nachtaktiven Insekten, den Biologen in vielen Regionen Europas verzeichnen? „Wirklich bewiesen ist das bisher nicht“, sagt Franz Hölker. Wie viele seiner Kollegen hält er es aber durchaus für wahrscheinlich, dass die Lichtverschmutzung zumindest einen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet hat – und auch in Zukunft leisten wird. Das aber könnte weitreichende Folgen haben. So gibt es zum Beispiel zahlreiche Pflanzenarten, die sich von Motten bestäuben lassen.

Aussichtslos ist die Lage für die Nachtfalter trotz allem nicht. Florian Altermatt von der Universität Zürich und Dieter Ebert von der Universität Basel haben herausgefunden, dass sich eine Gespinstmotte namens Yponomeuta cagnagella auf die hellen Zeiten eingestellt hat. Tiere aus dem Stadtgebiet Basels ließen sich in ihren Experimenten nicht mehr so stark vom Licht anlocken wie Artgenossen, die aus dunkleren Regionen im Nordwesten der Schweiz und im Osten Frankreichs stammten.

„Es werden sich aber längst nicht alle Nachtfalter auf diese Weise anpassen können“, sagt Franz Hölker. Gelingen wird das seiner Einschätzung nach am ehesten solchen Arten, die kurze Reproduktionszeiten und hohe Vermehrungsraten haben. Denn nur bei ihnen kann die Evolution die nötigen Verhaltensänderungen schnell genug herbeiführen. Deshalb sei es wichtig, die heute noch dunklen Refugien zu erhalten und bei der Installation von Lampen mehr Rücksicht auf die Insektenwelt zu nehmen. Vor allem in der Nähe wichtiger Lebensräume wie Hecken, Feldrainen oder Flüssen, meint er, sollte man die Beleuchtung so weit wie möglich reduzieren.

Deshalb fliegen Insekten zum Licht

Navigation: Es gibt mehrere Gründe dafür, dass nachtaktive Insekten vom Licht angezogen werden. Zum einen besitzen die meisten von ihnen sehr leistungsfähige Schwachlicht-Sensoren. Diese Sinnesorgane hat die Evolution aber für schummriges Mond- und Sternenlicht entwickelt. Straßenlaternen und erleuchtete Fenster sind zu hell für sie. Die Tiere werden geblendet, sehen nichts mehr und flattern hilflos auf die Lichtquelle zu. Zum anderen gibt es Arten, die Mond und Sterne zur Navigation nutzen. Sie verwechseln die Lampen möglicherweise mit solchen natürlichen Wegweisern und verlieren dadurch völlig die Orientierung.

Lichtart: Allerdings wirkt nicht jede Leuchte gleich anziehend. Viele Insekten reagieren am stärksten auf kurzwelliges Licht im blauen und im UV-Bereich. Quecksilberdampf-Hochdrucklampen, die bis heute oft zur Straßenbeleuchtung eingesetzt werden, senden viel Strahlung in diesen Wellenlängen aus und sind deshalb besonders effektive Insekten-Magneten. Natriumdampf-Hochdrucklampen, deren Licht mehr Gelb- und Rotanteile enthält, wirken dagegen nicht so anziehend. Und auch die modernen LEDs, die ebenfalls kein UV-Licht abstrahlen, locken weniger Insekten an. Das gilt besonders für warmweiße LEDs.