Tiere im Zoo stehen ständig unter Beobachtung. Zwar sind viele Tiere auch neugierig und an Besuchern interessiert; doch sie leiden auch unter allzu aufdringlichen Annäherungsversuchen. So sollte man besonders Gorillamännchen höchstens kurz direkt in die Auge sehen.

Das Parkhaus der Wilhelma ist im Sommer praktisch jedes Wochenende belegt. Und auch andere Zoos haben in diesen Wochen Hochkonjunktur. Wie aber kommen die Tiere eigentlich mit dieser ständigen Aufmerksamkeit zurecht? Fühlen sie sich dadurch nicht gestört?

 

„Die Gefühle anderer Lebewesen exakt zu beurteilen ist extrem schwierig“, sagt die Psychologin Jana Uher von der Freien Universität Berlin. Schon beim Menschen stoße die Wissenschaft da oft an ihre Grenzen, von Tieren ganz zu schweigen. Was man aber gut beobachten könne, seien Änderungen im Verhalten. Und die sind für Experten mitunter sehr aufschlussreich. Es gibt inzwischen gute Indizien dafür, dass zu viel oder zu aufdringlicher Besuch für Zoobewohner Stress bedeuten kann.

Koalas halten Störenfriede im Auge

Jeroen Stevens von der Königlichen Gesellschaft für Zoologie in Antwerpen und seine Kollegen haben zum Beispiel das Verhalten der Seehunde im Antwerpener Zoo analysiert. Diese Meeressäuger sind sich offenbar durchaus darüber im Klaren, wie groß ihr Publikum ist. Wenn ihnen die Aufmerksamkeit zu viel wird, scheinen sie einfach abzutauchen und sich zu verstecken. Jedenfalls verschwinden sie mit steigenden Besucherzahlen häufiger unter der Wasseroberfläche. Eine andere Strategie haben australische Forscher um Jean-Loup Rault von der University of Melbourne bei in menschlicher Obhut lebenden Koalas beobachtet. Diese Beuteltiere scheinen mögliche Störenfriede lieber im Auge zu behalten. Wenn ihnen viele Menschen sehr nahe kommen oder die Besucher reichlich Lärm machen, sind sie deutlich wachsamer als normalerweise.

„Auch für viele Affenarten kann zu viel Nähe ein Problem sein“, sagt Primatenexpertin Jana Uher. Vor allem Gorillas sind da sehr empfindlich – und ausgerechnet die massigen Gruppenchefs reagieren besonders sensibel. Denn diese sogenannten Silberrücken sind geborene Beschützer. Ihr Job ist es, für die Sicherheit der Weibchen und Jungtiere zu sorgen. Also versuchen sie, jeden möglicherweise bedrohlichen Eindringling in die Flucht zu schlagen.

Aufdringliche Annäherungsversuche

Nur klappt das im Zoo nicht so richtig. Ständig klopfen Menschen an die Scheiben oder machen andere aufdringliche Annäherungsversuche, die sie in der Wildnis wohl kaum wagen würden. Da kann man noch so viele Drohgebärden zeigen, es nützt einfach nichts. Kein Wunder, dass der Silberrücken angesichts der Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen immer stärker unter Stress gerät. Das kann so weit gehen, dass er sich mit voller Wucht gegen die Scheibe seines Geheges wirft – mitunter zur Begeisterung der Zuschauer. „Manche Leute freuen sich dann noch, dass sie eine gute Show geboten bekommen“, sagt Jana Uher kopfschüttelnd. Dabei handelt es sich um den verzweifelten Versuch des Tieres, die zudringliche Menge doch noch auf Abstand zu halten. Gesund ist so viel Aufregung nicht. Möglicherweise ist das ein Grund dafür, dass Silberrücken in Zoos oft viel früher sterben als weibliche Gorillas.

Gestresst reagieren Zoobewohner allerdings nicht nur, wenn ihnen das Publikum zu nahe auf den Pelz rückt. Auch rücksichtsloses Anstarren kann zum Problem werden. Denn gerade die Augen eines Fremden sind nicht nur in Affenkreisen ein starkes Signal. „Wir Menschen sind die einzige Art, die einen intensiven Blickkontakt als etwas Positives interpretiert“, erklärt Jana Uher. Tiere verstehen so etwas dagegen als unverhohlene Drohung. Einen fremden Hund anzustarren ist daher keine gute Idee. Und auch die nächste Verwandtschaft des Menschen hat für einen tiefen Blick in die Augen nichts übrig.

Affen beobachten aus dem Augenwinkel

„Wenn man mit Affen arbeitet, merkt man das ganz deutlich“, sagt Jana Uher. Da schauen die Tiere überall in der Gegend herum – nur nicht auf den Wissenschaftler, der sie zum Mitmachen bei irgendeiner Aufgabe bewegen will. „Man denkt, die sind überhaupt nicht bei der Sache“, berichtet die Forscherin. Doch das stimmt gar nicht. So ein Affe bekommt durchaus alles Wichtige mit. Nur beobachtet er sein Gegenüber lieber aus dem Augenwinkel. Je nach Art beschränkt er sich auf drei bis fünf Sekunden direktes Anschauen, dann wandert sein Blick woanders hin. Dauernder Augenkontakt ist weder nötig noch erwünscht. Auf menschliches Publikum, das ihnen ständig ins Gesicht schaut und ihnen auch noch die Kamera direkt vor die Nase hält, sind die Tiere daher nicht eingerichtet.

Wenn Jana Uher solche Zusammenhänge erklärt, findet sie bei Zoobesuchern nicht immer Verständnis. „Dabei ist das gar nicht so schwer nachzuvollziehen“, findet die Forscherin. Denn trotz ihrer Vorliebe für bedeutungsvolle Blicke in die Augen wollen auch Menschen in der Regel nicht unverhohlen angestarrt werden. Vor allem nicht von Fremden. Je nach Kulturkreis gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie lange man in solchen Fällen den Blickkontakt halten darf. „Was darüber hinausgeht, wirkt auch auf uns Menschen oft bedrohlich“, sagt die Psychologin. Zumindest aber beginnt sich das Gedankenkarussell im Kopf zu drehen: „Was will der?“ „Mache ich etwas falsch?“ „Habe ich etwas im Gesicht?“ Die Verunsicherung wächst. Keine angenehme Situation.

Irritierende Blickkontakt

Um Zootieren solche Irritationen zu ersparen, empfiehlt Jana Uher daher ein dezenteres und weiträumigeres Beobachten: Immer nur ein paar Sekunden ins Gesicht schauen, dann den Blick wieder über den Körper oder die anderen Gruppenmitglieder schweifen lassen. „So bekommt man mindestens genauso viel mit, stresst die Tiere aber weniger“, weiß die Forscherin aus eigener Erfahrung. Wie gut das klappen kann, hat eine ihrer Kolleginnen beim Silberrücken Ivo im Berliner Zoo beobachtet. Der hatte eines Tages nämlich eine ungewöhnliche Besucherin. Da diese das Tier zeichnen wollte, schaute sie ständig zwischen ihm und ihrem Block hin und her. Das aber kam bei Ivo extrem gut an: Das kurze Anschauen interpretierte er als Interesse, den anschließend wieder auf das Blatt gesenkten Blick als Unterwerfung. Wahrscheinlich unbewusst hatte die Malerin damit genau die richtigen Signale gesendet, um einen für beide Seiten positiven Kontakt herzustellen.

Begegnungen mit Menschen müssen also nicht in jedem Fall in Stress ausarten. Richtiges Verhalten vorausgesetzt, können Besucher sogar Abwechslung in den Alltag der Zoobewohner bringen. „Viele Tiere haben durchaus Interesse daran, Menschen zu beobachten“, betont Jana Uher. Sie erinnert sich zum Beispiel an einen großen Mondfisch im Aquarium der niederländischen Stadt Arnheim. Sobald vor der Scheibe Passanten mit bunten Regenschirmen auftauchten, hielt er inne – wohl, um sie genauer zu betrachten.

Manche Affen wollen einfach ihre Ruhe haben

Noch größer ist das Interesse oft bei Affen. Die sind schließlich nicht nur besonders soziale Tiere, sondern können auch die menschliche Körpersprache gut interpretieren. Vor allem Jungtiere gehen häufig auf Menschenkinder zu und lassen sich sogar auf Spiele mit den Fremden jenseits der Gehegegrenzen ein. Und auch erwachsene Primaten, die im Zoo von Hand aufgezogen wurden, sind Menschen gegenüber oft ausgesprochen kontaktfreudig.

Nur gilt das eben nicht für alle Affen. „In jeder Gruppe gibt es besonders sozial eingestellte Mitglieder und andere, die lieber ihre Ruhe haben“, erklärt Jana Uher. Diese unterschiedlichen Persönlichkeiten müsse man akzeptieren. „Es ist deshalb sehr wichtig, dass sich die Tiere auch zurückziehen können“, betont die Forscherin. „Es muss ihnen überlassen bleiben, ob und wann sie Kontakt aufnehmen wollen.“

Rückzugmöglichkeiten sind wichtig

Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch in vielen Zoos durchgesetzt. Holzverkleidungen oder Pflanzen, alle möglichen Verstecke oder verschiedene Höhenstufen im Gehege bieten Tieren die Möglichkeit, den ständigen Blicken des Publikums zu entgehen. Privatsphäre muss sein. Auch wenn so mancher Besucher dann vielleicht etwas enttäuscht sein mag.

Tierarten reagieren unterschiedlich auf den Mensch

Verhalten
Auch innerhalb der gleichen Tiergruppe reagieren die einzelnen Arten mitunter sehr unterschiedlich auf menschlichen Besuch. Das wurde zum Beispiel deutlich, als Forscher eine gemischte Herde afrikanischer Huftiere im Zoo der kanadischen Stadt Granby beobachteten. Bei großem Besucheransturm verbrachten die dortigen Elen-Antilopen weniger Zeit mit Fressen als an ruhigeren Tagen. Bei den Thomson-Gazellen war es genau umgekehrt. Und die Zebras und Giraffen ließen sich von den Besucherzahlen gar nicht beeinflussen.

Raubkatzen
Ob sich Raubkatzen für die Größe ihres Publikums interessieren, ist noch nicht abschließend geklärt. Verschiedene Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Teilweise haben Forscher keine Hinweise darauf gefunden, dass Geparde, Löwen, Leoparden, Tiger oder Schneeleoparden ihr Verhalten von Besuchern abhängig machen. Eine Untersuchung in vier indischen Zoos hat dagegen gezeigt, dass die dortigen Leoparden unter den Blicken vieler Zuschauer aktiver waren und weniger ruhten als an Tagen ohne Publikum.