Kurz nach dem Lotuseffekt sind Forscher der nächsten genialen Leistung von Pflanzen auf der Spur, von der Menschen lernen können. Eine Pflanze hüllt sich in ein Luftpolster, das sie unter Wasser halten kann. Die Schifffahrt könnte mit einem solchen Trick viel Energie sparen.

Stuttgart - Er hat wirklich interessante Blättchen, der schwimmenden Farn Salvinia molesta. Deshalb wird die aus den Tropen stammende Pflanze auch gar nicht so selten im Aquarium oder in warmen Gartenteichen gehalten – wobei sie im Sommer so flott und kräftig wie ein Wasserunkraut wächst. Wissenschaftlich interessant wird es allerdings, wenn man den Schwimmfarn unter Wasser drückt: Dann erscheint er plötzlich silbrig – und zwar wegen der Lufthülle, mit der sich die Blätter umgeben. In der Natur ist das für eine Pflanze, die auf dem Wasser lebt, durchaus von Vorteil: Wenn sie vom Wind oder von Tieren von der Oberfläche weg in etwas tieferes Wasser verfrachtet wird, dort hängen bleibt und dann einige Zeit überleben muss, dann kann sie die Luft aus der umgebenden Hülle atmen.

 

Wie aber schafft es die Pflanze, sich unter Wasser so vollständig mit einer ein bis zwei Millimeter dicken Luftschicht zu umgeben, dass die Blätter trocken bleiben? Das haben sich auch der Bonner Botaniker Wilhlem Barthlott und der Karlsruher Physiker Thomas Schimmel gefragt – bei einer Tagung des Forschungsnetzwerkes „Funktonelle Nanostrukturen“ der Baden-Württemberg Stiftung in Bad Herrenalb. Barthlott hatte sich in der Vergangenheit intensiv mit dem sogenannten Lotus-Effekt befasst, also der Frage, warum Wassertropfen auf einem Lotusblatt genauso tanzen können wie auf einer heißen Herdplatte. Dafür verantwortlich ist eine ganz besondere Oberflächenstruktur des Lotusblatts: Dank einer wachsartigen und damit wasserfeindlichen Papillenstruktur kann sich das Wasser nicht auf dem Blatt ausbreiten, sondern bleibt – auch aufgrund der Oberflächenspannung – als kugeliger Tropfen auf dem Blatt. Interessanter Zusatzeffekt: auch Schmutzpartikel liegen nur mit einer winzigen Kontaktfläche auf dem Blatt auf und werden von dem Wassertropfen leicht weggespült.

Feine Härchen halten Luft fest

Der Lotus-Effekt war also weitestgehend geklärt. Nun machten sich die beiden Wissenschaftler mit ihren Teams an den Instituten für Nanotechnologie und für Angewandte Physik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie am Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen der Uni Bonn an den Salvinia-Effekt. Eine dritte Fachrichtung kommt zu dem interdisziplinären Forschungsteam hinzu: Die Ingenieure um Alfred Leder vom Institut für Strömungsmechanik der Uni Rostock. Die Arbeiten werden sowohl von der Baden-Württemberg Stiftung als auch dem Bundeswirtschaftsministerium gefördert.

Inzwischen haben die Wissenschaftler eine recht gute Vorstellung davon, wie es Salvinia schafft, die Luft unter Wasser „festzuhalten“. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten feine Härchen auf der Blattoberfläche, die auch mit bloßem Auge zu sehen sind. Doch erst wenn man sich deren Struktur unter dem Mikroskop anschaut und zudem ausgeklügelte Experimente durchführt, wird der Mechanismus deutlich. Die Härchen weisen die Form eines Schneebesens auf – und sie sind besonders stark wasserabweisend. Für diese, wie Fachleute sagen, superhydrophobe Eigenschaft sind winzig kleine Wachskristalle verantwortlich.

Der eigentliche Trick aber besteht darin, dass die Spitzen der Haare selbst nicht mit Wachskristallen besetzt sind. Im Gegenteil: sie sind wasseranziehend, also hydrophil. Damit wird die Luft zwischen den hydrophoben Härchen festgehalten, weil dort kein Wasser hinkommt. An den Haarspitzen dagegen wird das Wasser förmlich angeklebt. Thomas Schimmel vergleicht das mit einer Batterie von Klettverschlüssen, die geöffnet werden müssten, damit die darunter liegende Luft entweichen kann. In einem pfiffigen Experiment wiesen die Forscher nach, dass die hydrophilen Haarspitzen tatsächlich notwendig sind, um die Lufthaut um die Farnblätter einzuschließen. Wenn man die Spitzen mit einem wasserabweisenden Material bedeckt, funktioniert das Ganze nicht mehr.

Künstliche Oberflächen nach dem Vorbild des Farns

Allerdings bedarf es noch ein paar weiterer physikalischer Tricks, damit die Luft dauerhaft zwischen den Härchen gefangen bleibt und nicht an den Blatträndern entweicht. Mittlerweile sind die Wissenschaftler auch auf diesem Gebiet denjenigen Kräften und Mechanismen auf die Spur, die hier am Werk sind. Jedenfalls ist es ihnen bereits gelungen, eine ganze Reihe künstlicher Oberflächen so zu gestalten, dass sie – wie die Farnblätter – eine Lufthülle festhalten können. Und dies auf Dauer, denn zumindest in den vergangenen vier Jahren ist die Luftschicht an einer dieser Oberflächen nicht kleiner geworden: „Die künstlichen Oberflächen sind immer noch trocken“, freut sich Thomas Schimmel.

Wozu aber könnte eine solche der Natur nachempfundene technische Oberfläche nützen? Dem Karlsruher Physiker fallen da mehrere Möglichkeiten ein. So könnte man in einem derart präparierten Tank unterschiedliche Flüssigkeiten befördern, ohne ihn gründlich reinigen zu müssen: Die Flüssigkeiten kommen ja mit den Tankwänden kaum in Kontakt. Zudem könnten Flüssigkeiten in beschichteten Rohrleitungen leichter und damit kostensparender befördert werden. Einen weit größeren ökologischen wie ökonomischen Gewinn könnte der Salvinia-Effekt aber für die Schifffahrt bringen. Wenn man den Schiffsrumpf mit einer lufthaltigen Beschichtung versehen könnte, dann würde dies die Reibung und damit den Treibstoffverbrauch massiv reduzieren. Zudem könnte man den Anstrich mit giftiger Antifoulingfarbe einsparen, weil die Meeresorganismen nicht mehr direkt auf dem Schiffsrumpf siedeln könnten, sondern mit einer unattraktiven Lufthülle vorlieb nehmen müssten.