Biosprit vom Acker ist eine Chance auch für Bauern in armen Ländern – Biosprit vom Acker verstärkt den Hunger in der Welt. Die Meinungen gehen weit auseinander, auch unter Wissenschaftlern der Universität Hohenheim.

Stuttgart - Die Universität Hohenheim hat eine lange Tradition in der Erforschung von Landwirtschaft und Ernährung. Kein Wunder, dass sich die Wissenschaftler von der derzeitigen Diskussion angesprochen fühlen, ob Energiepflanzen auf dem Acker eine Chance für die Bauern sind oder den Hunger in der Welt verstärken. Rund siebzig Experten könne die Hochschule zu diesem Thema aufbieten, sagte der Sprecher Florian Klebs zur Eröffnung einer Informationsrunde „Biosprit, Missernten und Hunger“, zu der am Donnerstag ins Hohenheimer Schloss eingeladen worden war. In der Runde saßen dann nur vier Forscher, doch die deckten bereits ein breites Spektrum von Meinungen ab.

 

Einig waren sie sich darin, dass Biosprit eine Energiequelle für Nischen bleiben wird, in denen flüssiger Treibstoff gebraucht wird. Und einig war man sich auch, dass die sogenannte zweite Generation der Biokraftstoffe noch mindestens 15 Jahre auf sich warten lassen wird, weil noch sehr viel Forschung nötig ist. Diese zweite Generation soll aus Holz, Stroh, Gräsern oder Algen hergestellt werden, allgemein aus Rohstoffen, die „nicht oder wenig mit Nahrungsmitteln konkurrieren“, wie Iris Lewandowski sagte, die Leiterin des Hohenheimer Zentrums für Bioenergie und Nachwachsende Rohstoffe.

Doch vollständige Einigkeit auf dem Podium war gar nicht geplant. Im Gegenteil: unterschiedliche Ansichten darüber, wie und wo und unter welchen Bedingungen Bioenergiepflanzen sinnvoll angebaut werden könnten, ergaben sich schon aus den unterschiedlichen fachlichen Ansätzen der Referenten.

Indonesische Ölmüller häufen Schulden an

Lewandowski, die Expertin für nachwachsende Rohstoffe, wies darauf hin, dass 4000 Millionen Hektar Ackerfläche auf der Erde zur Zeit nicht voll ausgenutzt würden. Diese Flächen lägen vor allem in Regionen Afrikas und Lateinamerikas, in denen das Produktionsniveau niedrig sei. „Mir geht es vor allem um die Synergien“, sagte Lewandowski. Wenn man den Menschen dort helfe, moderne Erkenntnisse und Verfahren der Landwirtschaft einzusetzen, „dann können sie von beidem mehr produzieren“ – von Energiepflanzen und von Nahrungspflanzen. „Regional können vor allem Menschen von Bioenergie profitieren, die derzeit wenig Zugang zu Energie haben.“

Eine deutlich andere Sicht auf die Wirkung der Bioenergiepolitik auf ärmere Weltregionen hat der stellvertretender Leiter des Food Security Center, Hans-Konrad Biesalski vom Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft. Für ihn ist Biosprit „katastrophal“: „Der Hunger wird verstärkt.“ Er zitierte eine Studie des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien über Biotreibstoffe und Ernährungssicherheit, nach der die Zahl der Hungernden, je nach Szenario, um 40 oder sogar 140 Millionen Menschen zunehmen wird.

Auch die Erwartung, den Menschen vor Ort bessere Lebenschancen geben zu können, dämpfte Biesalski mit einem Beispiel aus Indonesien: Dort ziehen Kleinbauern aus armen Gegenden zu den Palmölplantagen. Man gibt ihnen Kredite, mit denen sie sich eine eigene Ölmühle zulegen können. Doch die schlecht bezahlten Arbeiter in den endlosen Plantagen müssen viele Kilometer zu Fuß ihre Lastkarren ziehen, bis sie ihre Ernte abliefern können. Die Früchte müssen aber spätestens 24 Stunden nach der Ernte verarbeitet werden, sonst werden sie ranzig. So endet mancher hoffnungsvolle Ölmüller verschuldet und noch ärmer als zuvor. Zugleich aber kann sich die regionale Bevölkerung die Palmnüsse nicht mehr leisten, deren Fruchtfleisch reich an Provitamin A und anderen Nährstoffen ist. Biesalskis Fazit: „Biotreibstoffe tragen mit zur Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel bei.“ Die Folge ist Mangelernährung mit all ihren Begleiterscheinungen, vor allem für Kinder.

„Nachhaltige Bioenergiekonzepte sind heute schon möglich“, sagte hingegen Thomas Senn vom Fachgebiet Gärungstechnologie. Senn hat ein Verfahren entwickelt, in dem dezentrale Anlagen aus dem Viehfuttergetreide Triticale und einer Blattfrucht wie Mais Ethanol, Biogas, Viehfutter und Strom herstellen – und das in einem zu 80 Prozent geschlossenen Kreislauf und mit einem Energieertrag, der fünf- bis sechsmal so hoch ist wie die Energie, die in Form von Düngemitteln und dem Einsatz der Landmaschinen hineingesteckt werden muss (die StZ berichtete). Mit Kollegen arbeitet Senn daran, auch Stroh, Grünschnitt und anderes zur Ethanolproduktion zu verwenden. Sein Appell: „Wir sollten nutzen, was die Bioenergie stark macht: die regionalen Zusammenhänge.“

„Es ist gut, dass E 10 ein Flop ist.“

Wiederum grundsätzliche Einwände äußerte Harald Grethe vom Fachgebiet Agrar- und Ernährungspolitik. „Man wird dem Dilemma der Flächenkonkurrenz nicht entkommen. Der langfristig steigende Energiepreis wird an den Agrarmärkten saugen.“ Reiche Regionen wie Europa würden zunehmend Biomasse importieren, sagte Grethe, der Vorsitzender des Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium und ebenfalls Mitglied im Hohenheimer Food Security Center ist. „Auch ohne Politik: Biomasse wird in Zukunft deutlich knapper und teurer als in der Vergangenheit sein. Dies verschärft die Notwendigkeit einer Verringerung der globalen Einkommensunterschiede.“

Viele Wissenschaftler halten Grethe zufolge die Förderung der ersten Generation Biotreibstoffe für verfehlt – und das schon seit sieben oder acht Jahren. Selbst das Ziel des Klimaschutzes werde „viel zu teuer erreicht“: Eine Tonne Kohlendioxid mit Bioenergie zu vermeiden koste 100 bis 300 Euro. In anderen Bereichen sei das für 30 oder 50 Euro zu haben. „Wenn wir weltweit alle Flächen optimal nutzen würden, hätten wir kein Problem mit der Biomasse.“ Aber in armen Regionen würde weiterhin die Kaufkraft fehlen. Ertragssteigerungen seien – theoretisch – in erster Linie in armen Ländern mit schlechten Regierungen und schlechter Infrastruktur möglich. „Es ist eine Milchmädchenrechnung zu sagen: wenn ein Potenzial da ist, kann man dort auch Biomasse herausziehen.“

Scharf kritisierte Grethe die EU-Vorgabe, bis 2020 im Transportsektor zehn Prozent Biotreibstoff einzusetzen. „Wir sollten CO2-Vermeidung belohnen und den Rest dem Markt überlassen“, forderte er. Gleiches gelte für den Zwang, Biosprit dem Benzin beizumischen. Es sei falsch, eine feste Vorgabe für die Nachfrage zu machen. Der Markt könne dann nicht auf Preisschwankungen reagieren. „Es ist gut, dass E 10 ein Flop ist. Die Politik hat versucht, ein Paket zu verkaufen, das schlecht ist.“

Die 10-Prozent-Vorgabe der EU

Fahrplan
2007 hat die EU-Kommission einen „Fahrplan für erneuerbare Energien“ aufgestellt. Darin schlug sie vor, bis zum Jahr 2020 verbindlich einen Anteil von 20 Prozent erneuerbarer Energien am Energieverbrauch in der EU und von mindestens zehn Prozent Biokraftstoffen am Treibstoffverbrauch festzulegen.

Richtlinie
2009 wurde daraus eine Richtlinie „zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“. Darin sind beide Ziele festgelegt, die zehn Prozent im Verkehr allerdings „für alle Verkehrsträger“.

Einschränkung
Die Richtlinie macht umfangreiche Vorgaben für die Biokraftstoffe. So muss der Treibhausgasausstoß bei der Verwendung um mindesten 35 Prozent, von 2017 an um 50 Prozent sinken. Außerdem dürfen die Rohstoffe nicht „auf Flächen mit hohem Wert hinsichtlich der biologischen Vielfalt gewonnen werden“, das heißt unter anderem nicht in Primärwald oder Feuchtgebieten.