Tiere haben die unterschiedlichsten Klebstoffe und Befestigungsmethoden entwickelt. Forscher nutzen sie nun für medizinische und technische Zwecke.

Stuttgart - Ohne einen kräftigen Ruck mit der Pinzette ist da nichts zu machen. Wer einmal versucht hat, sich eine Zecke von der Haut zu entfernen, weiß: Die kleinen Blutsauger sitzen fest wie angeklebt. Und tatsächlich müssen sie sich beim Festhalten nicht allein auf die Kraft ihrer Mundwerkzeuge verlassen. Sobald sie zugestochen haben, sondern sie eine Art Biozement ab, der wie ein Haftdübel für ihre Mundwerkzeuge wirkt. Schließlich ist es ihr Ziel, möglichst tagelang Blut zu saugen und sich nicht bei erster Gelegenheit von ihren Opfern abstreifen zu lassen. Da müssen sie schon zu ein paar Tricks greifen.

 

Zecken sind aber nicht die einzigen Befestigungsexperten des Tierreichs. Die einen setzen auf mechanische Methoden wie Krallen, Klammern oder Haftkissen, um sich in der gewünschten Position zu halten. Andere produzieren dagegen raffinierte Klebstoffe aus Proteinen, die sich in Sachen Haftkraft nicht vor den Produkten der chemischen Industrie zu verstecken brauchen. In Nordamerika sondert zum Beispiel der Marmor-Querzahnmolch aus Hautdrüsen einen extrem schnell aushärtenden Sekundenkleber ab. Den benutzen sie, um angreifenden Schlangen im Handumdrehen das Maul zu verkleistern.

„In Millionen von Jahren hat die Evolution Haftstoffe und Nanostrukturen entwickelt, die selbst unter härtesten Umweltbedingungen funktionieren“, sagt Stanislav Gorb von der Universität Kiel. Seit Februar leitet er zusammen mit Janek von Byern von der Universität Wien ein internationales Netzwerk, in dem Wissenschaftler aus mehr als 30 Ländern den Geheimnissen der biologischen Haftkraft auf die Spur kommen wollen.

Von der Natur lernen

„Von solchen natürlichen Vorbildern können wir sehr viel lernen“, betont der Forscher. Denn die Industrie hat zwar eine große Palette von Klebstoffen für die unterschiedlichsten Einsatzgebiete entwickelt, doch diese haben oft Nachteile. Viele davon sind zum Beispiel ziemlich giftig und schlecht abbaubar. Unter bestimmten Bedingungen funktionieren sie auch nicht gut. So ist das Kleben unter Wasser für Substanzen aus menschlicher Produktion nach wie vor ein Problem. Für viele Meerestiere dagegen gehört das zum Alltag.

Seepocken etwa verwenden einen speziellen Zement, mit dem sie sich sehr fest an die unterschiedlichsten Oberflächen anheften können (sieh Kasten). „Für solche Klebstoffe interessieren sich zum Beispiel die Zahnmediziner in unserem Netzwerk“, sagt Stanislav Gorb. Möglicherweise lassen sich anhand solcher Vorbilder proteinbasierte Bioklebstoffe entwickeln, die eine Zahnkrone im feuchten Milieu des Mundraums an Ort und Stelle halten können.

Gewebekleber für die Chirurgie

Auch für Chirurgen sind neue Befestigungsmethoden interessant. „Die derzeit verwendeten Gewebekleber, die etwa bei schweren Hautverletzungen oder Leberrissen verwendet werden, sind teilweise toxisch“, erklärt Sylvia Nürnberger von der Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Wien. Da wären biologische Alternativen optimal. Und tatsächlich haben US-Forscher schon vor einiger Zeit den Klebstoff aus den Haftfäden der Miesmuschel erfolgreich nachgebaut, der sich nun in der präklinischen Testphase befindet.

„Dieser Haftmechanismus ist aber aufgrund der geringen Haftstärke nicht für alle medizinischen Bereiche geeignet“, erklärt Sylvia Nürnberger. „Deshalb besteht weiterhin Bedarf an neuen Klebstoffen“. Ihrer Einschätzung nach könnten ausgerechnet die ungeliebten Zecken da ein wertvolles Vorbild liefern. Denn der Biozement in ihrem Befestigungsdübel hält nicht nur gut, sondern löst auch keine Hautreizungen aus. Offenbar enthält er spezielle, lindernde Zusatzstoffe, die das verhindern.

Gemeinsam mit Martina Marchetti-Deschmann von der Technischen Universität Wien will Sylvia Nürnberger herausfinden, wie genau sich diese Substanz zusammensetzt. Die Forscherinnen lassen dazu Zecken durch eine hautähnliche Membran stechen. Dabei wird der Klebstoff abgesondert und ausgehärtet, so dass man ihn untersuchen kann. „Es ist durchaus vorstellbar, dass es in Zukunft möglich sein wird, aus dieser Sub-stanz einen biologischen Klebstoff für menschliches Gewebe zu machen“, meint die Forscherin. „Damit könnte man beispielsweise Sehnen und Bänder metallfrei am Knochen verankern“.

Extrem widerstandfähige Zeckenfüße

Stanislav Gorb und seine Kollegen interessieren sich derweil mehr für die Füße der Zecken. Denn auch die sind hoch spezialisierte Haft-Konstruktionen. Schließlich müssen die Tiere damit auf hohe Pflanzen klettern, Haut und Haare ihrer Opfer überwinden und sich an den verschiedensten Oberflächen festhalten. Vor allem die Weibchen der Blutsauger, die sich viel öfter auf ihren Wirten aufhalten als die Männchen, sind extrem anhänglich: Mit einer Kraft, die mehr als das 500-fache ihres Körpergewichts beträgt, können sie sich selbst an einer glatten Glasscheibe festhalten.

Gemeinsam mit Dagmar Voigt von der Technischen Universität Dresden hat Gorb gerade herausgefunden, wie sie das machen. „Die Tiere sind zum einen mit Krallen ausgerüstet, mit denen sie sich an rauen Oberflächen verhaken können“, erklärt der Forscher. Anders als bei Insekten oder Spinnen sind diese nicht steif, sondern bestehen teilweise aus einem gummiartigen Material. Wenn ein Opfer seinen Plagegeist zu entfernen versucht, brechen sie daher nicht ab, sondern geben nach. Das macht Zeckenkrallen extrem widerstandsfähig.

Zum Laufen auf glatten Oberflächen eignen sie sich allerdings nicht. Doch dafür haben die Tiere zusätzlich mit Flüssigkeit und dem elastischen Protein Resilin gefüllte Haftbläschen an den Füßen, die sie bei Bedarf auseinander und später wieder zusammenfalten können. Diese weichen Kissen passen sich wie ein Pudding perfekt an den Untergrund an, ein Flüssigkeitsfilm an ihrer Oberfläche verleiht ihnen zusätzlichen Halt. „Durch die Kombination aus scharfen Krallen und weichen Kissen können sich Zecken fast überall festhalten“, resümiert Stanislav Gorb. Aber eben nur fast. Denn die Forscher haben auch herausgefunden, wie ein Material aussehen muss, an dem die Tiere nur schlecht haften: Es muss zu glatt für die Krallen und zu rau für die Haftbläschen sein. Da liegt eine Anwendungsidee nahe: Vielleicht lässt sich auf dieser Basis ja eines Tages zeckensicher beschichtete Spezialkleidung entwickeln.

Klebstoffproduzenten im Meer

Miesmuscheln
Um in der heftigen Gezeitenströmung nicht weggespült zu werden, scheiden diese Muscheln an ihrem Fuß Haftfäden aus, mit denen sie sich an den verschiedensten Oberflächen verankern können. Der wichtigste Bestandteil davon ist ein Molekül namens Dopa, eine Variante der Aminosäure Tyrosin. Wissenschaftlern in den USA ist es gelungen, diesen Biokleber nachzubauen – er befindet sich in der Erprobungsphase.

Seepocken
Bereits als Larve heften sich diese Krebse für ihr restliches Leben an einen Stein, eine Muschelschale, einen Wal oder einen Schiffsrumpf an. Dazu verwenden sie den stärksten bisher bekannten Bioklebstoff. Dabei scheidet die Larve einen öligen Tropfen aus, der das Wasser aus der Umgebung verdrängt und so die Voraussetzung für gutes Haften schafft. Dann kommt der Kleber, der aus Phosphoproteinen besteht.

Seesterne
Diese Tiere bringen beim Laufen eine Art Zweikomponenten-Kleber zum Einsatz. Bei jedem Schritt mischen sie die zwei selbst produzierten Flüssigkeiten zusammen. Dies führt dazu, dass die an der Unterseite der Arme platzierten Füßchen fest am Untergrund haften. Beim weiteren Vorrücken scheiden die Tiere dann eine dritte Substanz aus, die in der Lage ist, diese feste Verbindung wieder zu trennen.