Das 500-jährige Reformationsjubiläum fällt in eine schwierige Zeit: Kriege, Krisen, aufkommender Nationalismus – die württembergischen Bischöfe Gebhard Fürst (katholisch) und Frank Otfried July (evangelisch) sehen die Kirchen gemeinsam gefordert.

Stuttgart -

 
Bischof Fürst, Bischof July, beim Reformationsjubiläum kann man das Trennende oder das Verbindende betonen. Was betonen Sie?
July: Wir haben uns schon entschieden, das Verbindende in den Mittelpunkt zu stellen. Gemeinsam Christus zu bekennen – dazu sind wir gerade in einer sich wandelnden Gesellschaft als große Kirchen aufgerufen. Das zeigen zum Beispiel die Gottesdienste, die Bischof Fürst und ich gemeinsam feiern. Ökumene ist jetzt dran und wird gelebt.
Fürst: Die beiden Kirchen haben große Schritte aufeinander zu gemacht. Eine wichtige Station auf diesem Weg war die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Wir sind darin einig, dass man sich – vereinfacht ausgedrückt – die Gnade Gottes nicht erkaufen kann, sondern dass er sich uns schenkt und uns liebt, unabhängig von unseren Leistungen. Damit ist ein entscheidender Streitpunkt, der am Anfang der Reformation stand, beseitigt.
Welche konkreten Fortschritte in der Ökumene hat es seitdem gegeben – abseits von symbolischen Akten?
July: Wir wirken zusammen gegen die Gottvergessenheit und positionieren uns gemeinsam in gesellschaftsethischen Fragen zum Beispiel gegen Rechtsradikalismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir ziehen in der Flüchtlingshilfe an einem Strang. Natürlich gibt es noch theologische Fragen, die der Klärung bedürfen. So trennen uns die Amtsfrage und das Kirchenverständnis, was aus katholischer Sicht ein gemeinsames Abendmahl bisher unmöglich macht. Ich würde es gerne noch erleben, mit Bischof Fürst Abendmahl zu feiern. Doch die Umsetzung dieses Wunsches liegt nicht in unseren Händen.
Warum noch diese Trennung?
Fürst: In der katholischen Kirche werden die Kinder intensiv auf den Erstkommunionempfang vorbereitet. Sie lernen dabei das katholische Verständnis der Eucharistie. Wer dieses Verständnis nicht teilt, den können wir nicht zur Kommunion einladen. Bei der evangelischen Kirche erscheint da manches leider diffus zu sein, etwa im Blick auf die Frage, ob Christus wirklich in Brot und Wein gegenwärtig ist. Aber wir sollten uns auf das Verbindende konzentrieren. Die großen Konfessionen und die verschiedenen christlichen Gemeinschaften haben in dieser säkularen Welt die Aufgabe, das zu tun, was Luther besonders wichtig war, nämlich die Gottesfrage in die Mitte zu rücken.
Was schätzen Sie an Luther, Bischof Fürst?
Fürst: Zunächst seine große Ernsthaftigkeit, mit der er sich der Gottesfrage stellt, und als Zweites, dass er Jesus Christus als Heilsbringer zur Geltung gebracht hat.
Bischof July, was schätzen Sie an der katholischen Kirche?
July: Mich beeindruckt ihr universaler Charakter, der bei großen gottesdienstlichen Versammlungen in Rom deutlich wird, wenn aus aller Herren Länder Christen vertreten sind. Natürlich spielt dabei auch der Papst eine wichtige Rolle. Das römisch-katholische Verständnis des Papstamtes kann ich nicht teilen, ich erkenne aber an, dass er weltweit und medial als Stimme der Christenheit wahrgenommen wird. Zudem schätze ich, dass uns die römisch-katholische Kirche die Sensibilität für liturgische Formen in Erinnerung ruft. In diesem Bereich haben sich die Protestanten in den letzten Jahren immer wieder bedient. So gibt es in vielen evangelischen Gemeinden wieder Gottesdienste in der Osternacht.
Fürst: Vor dem Konzil galt die evangelische Kirche als Kirche des Wortes, also der Predigt, und die katholische Kirche als Kirche des Sakramentes. Da hat sich vieles angenähert. Das Konzil hat die Bedeutung des Wortes Gottes neu erkannt. Und die evangelische Kirche hat ein tieferes Verständnis für Sakrament und Liturgie entwickelt.
Frage: Rücken die Kirchen auch deshalb zusammen, weil Christen in vielen Teilen der Welt momentan stark unter Druck sind?
July: Es entsteht da eine Ökumene der Märtyrer, weil im Nahen Osten wie in Syrien nicht mehr unterschieden wird, ob jemand evangelisch, katholisch oder orthodox ist. Alle werden von den Gegnern des Christentums liquidiert. In der gemeinsamen Hilfe für diese Christen wächst eine neue Gemeinschaft.
Fürst: Bei den Verfolgungen spielen natürlich politische, soziale und kulturelle Faktoren jeweils eine Rolle. Dennoch richtet sich der Zorn eben gegen Christen in ihrer speziellen Eigenart. Es gibt keine Religionsgemeinschaft, die zahlenmäßig so stark von Verfolgung betroffen ist, vielleicht auch, weil der Glaube der Christen ein Stachel im Fleisch dieser Welt ist. Der Stachel nämlich, dass nicht die Stärke das Wichtigste ist im Leben, sondern dass sich Gott aller Menschen und besonders der Schwachen und der Armen annimmt. Papst Franziskus hat gesagt: Wenn die Christen als Märtyrer, also im Tod, vor Gott vereint sind, warum sind sie in diesem Leben dann noch getrennt?
Apropos Gemeinsamkeit, erkennt der Vatikan mittlerweile die evangelische Kirche als vollgültige Kirche an?
Fürst: Das ist sicher noch eine strittige Frage. Ich erinnere aber an den früheren Ökumene-Referenten des Papstes, Kardinal Walter Kasper, der davon gesprochen hat, evangelische und katholische Kirche seien zwei unterschiedliche Typen von Kirche.
July: Dieser Sprachgebrauch gefällt mir auch besser als die Verlautbarung aus dem Vatikan, die uns vor einigen Jahren abgesprochen hatte, Kirche im eigentlichen Sinne zu sein. In der Praxis existieren katholische und evangelische Kirche gleichberechtigt neben- und miteinander, und das funktioniert bei uns im Südwesten besonders gut.
Luther hat den Papst als Antichristen charakterisiert und dabei seine Machtfülle aufs Korn genommen. Hatte er damit nicht im Grundsatz recht – bezogen auf die Machtfülle?
Fürst: Ich halte es für einen Menschen nicht angemessen, in einem anderen den Antichristen zu sehen. Da könnte die heutige evangelische Kirche auch mal sagen, da stehen wir nicht mehr auf der Seite von Martin Luther, sondern haben dazugelernt. Andererseits: Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ist Papst Franziskus zwei Mal in großer Herzlichkeit begegnet. Daraus leite ich ab, dass er im Papst nicht mehr den Antichristen sieht. Wir brauchen deshalb keine Urkunde mit sieben Stempeln, in der steht: Wir Protestanten sehen den Papst nicht mehr als Antichristen.
July: Wenn wir auf die Luther-Zeit blicken, dann entdecken wir viele verletzende Vergleiche. Man hat sich ständig gegenseitig verdammt und verflucht. Vieles würde heute so nicht mehr ausgesprochen werden. Klar ist: Der jetzige Papst Franziskus zeigt eindrücklich, dass er das Papstamt als Dienst an der Einheit der Kirche versteht und nicht als Herrschaftsamt über die Seele, wie Luther es ausdrückte. Damit können auch Protestanten sagen: Obwohl wir nicht alle kirchenrechtlichen Konstruktionen anerkennen, respektieren wir den Dienst des Papstes am Evangelium. Klar ist auch: Wir betrachten Luther nicht als unfehlbar. Er ist ein wichtiger Zeuge, der dem Evangelium neu den Weg gebahnt hat, aber er war auch eine Persönlichkeit mit Licht- und Schattenseiten. Ich gehöre nicht zu denen, die Luther auf einen Sockel stellen. Die evangelische Kirche distanziert sich ja auch sehr deutlich von seinen antijudaistischen Schriften.
Bischof Fürst, Sie sagten zu Jahresbeginn, sie hätten noch nie mit so großer Sorge in die Zukunft geblickt, was den Zustand der Demokratie betrifft. Was besorgt Sie?
Fürst: Das Ausmaß, in dem heute auf vielen medialen Kanälen und in Internetplattformen bewusst Verwirrung gestiftet wird und Menschen heruntergemacht werden. Darunter leidet das Vertrauen. Darin sehe ich eine große Gefahr für die Gesellschaft und unsere Demokratiefähigkeit.
July: Die Herausforderung der Kirchen besteht darin, dass wir das Spiel neuer nationaler Abschottung nicht mitmachen. Wo sich Hassphänomene einnisten, müssen die Kirchen klares Profil und Kante zeigen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx hält AfD und Christentum für unvereinbar. Ist das auch Ihre Position?
Fürst: Ich würde das anders formulieren: Mit dem Christentum nicht vereinbar sind rassistische, nationalistische, antisemitische und völkische Positionen. Die gibt’s nicht nur in der AfD, sondern auch in anderen Parteien und Gruppierungen. Ich halte es für wichtig, mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die Ängste haben angesichts undurchschaubarer Entwicklungen und sich so von großen Vereinfachern angesprochen fühlen.
Wie wäre es mit einer gemeinsam Erklärung der Kirchen vor der Bundestagswahl?
July: Ich kann mir vorstellen, dass wir zur Gewissensschärfung aufrufen. Den genannten Entgleisungen zu widersprechen, ist eine christliche Pflicht.
Fürst: Die Bischofskonferenz wird ein gemeinsames Wort verabschieden. Das kann durchaus aufeinander abgestimmt erfolgen.
Sie engagieren sich innerhalb Ihrer Kirchen für Europa. Was schlagen Sie vor? Demonstrieren wie die Bewegung Pulse of Europe?
July: Erstens find ich das gut, dass man auch mal für was Positives demonstriert. Zweitens kann ich mir eine europäische Synode vorstellen. Es wird auch einen europäischen Kirchentag geben. Damit zeigen wir, dass Europa eine Seele hat – ohne dass wir allein ein christliches Europa im Sinn haben.
Fürst: Die Europäische Union hat 2012 den Friedensnobelpreis erhalten „für den Dienst des Friedens und der Versöhnung“. Das ist ein Exportartikel für die Konflikte der Welt. Ich darf auch an den von mir vorangetriebenen Martinsweg erinnern, der auf einer Strecke von 2500 Kilometern durch Europa führt. Das ist auch ein Weg, Europa eine Seele zu geben. Der Heilige Martin steht für Gottesverwurzelung und die Hinwendung zum Nächsten. An beidem krankt Europa. Wir sind gottvergessen und liefern uns dem Geld aus. Deshalb: Martinsweg!
Zurück zu Luther und seiner Grundsatzfrage nach dem gnädigen Gott. Wie erreichen Sie die Menschen heute damit noch?
July: Viele Menschen meinen, sie müssten sich ständig selbst produzieren und neu erfinden. Der Lebenssinn hängt aber nicht von eigenen Erfolgsmaßstäben in Beruf und Freizeit ab, sondern ist uns von Gott geschenkt. Jeder Mensch besitzt durch Gottes Gnade eine eigene Würde. Diese Botschaft Luthers ist hochaktuell.
Fürst: Wie geht’s mir persönlich mit Gott? Diese Frage treibt die Menschen heute leider nicht mehr so stark um wie einst Martin Luther. Seine Antwort aber spricht auch den modernen Menschen an: Gott unterdrückt mich nicht, sondern befreit mich beispielsweise vom Hang des Perfektionismus. Gott ist kein Leistungsgott, sondern einer, der uns gnädig ist und der jeden Menschen bedingungslos liebt. Das bringt Erlösung von den Sachzwängen dieser Welt.
Zur Person

Gebhard Fürst wurde 1948 in Bietigheim geboren.

Nach dem Theologiestudium in Tübingen und Wien wurde er 1977 zum Priester geweiht.

Von 1986 bis 2000 war er Direktor der Akademie der Diözese in Hohenheim.

2000 wurde er zum Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart geweiht.

Seit 2006 ist er Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Frank Otfried July stammt aus Darmstadt; dort wurde er 1954 geboren.

Er studierte Evangelische Theologie in Tübingen und Wien.

1987 übernahm er die Leitung des Bischofsbüros Württemberg.

1996 wurde er Direktor des Diakoniewerks Schwäbisch Hall.

Seit 2005 ist er Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Der Vater von vier Kindern ist auch Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes.