Eine Krypta ist keine alltägliche Bauaufgabe: Die Architekten Cukrowicz Nachbaur meistern sie – und schaffen in der Rottenburger Sülchenkirche einen mystischen Raum.

Rottenburg - Es kommt nicht alle Tage vor, dass Architekten mit der Planung einer Bischofsgrablege wie in Rottenburg beauftragt werden. Genau genommen handelt es sich um eine Jahrhundertaufgabe, bedenkt man, dass die erste Gruft für die verblichenen Oberhirten der Diözese 1868 geschaffen wurde. Hundertfünfzig Jahre sind im Angesicht der Ewigkeit zwar nicht mal ein Wimpernschlag, nach diesseitigen Maßstäben aber lang genug, um eindringendes Grundwasser, marode Elektrik und bröckelndes Mauerwerk zu einem gravierenden Problem werden zu lassen. Auch die spätgotische, um 1450 erbaute Sülchenkirche am östlichen Stadtrand von Rottenburg, unter der die Bischöfe beigesetzt werden, war in keinem guten Zustand. Bei einer simplen Instandsetzung, wie die Kirchenleitung zunächst gehofft hatte, konnte man es daher nicht bewenden lassen.

 

Die fällige Generalsanierung sollte denn auch gleich eine Erweiterung und Erneuerung der Grablege einschließen. Bei Grabungen waren zudem unter der bestehenden Friedhofskapelle Fundamente eines vorromanischen Vorgängerbaus entdeckt worden, unter denen Reste einer noch älteren Holzkirche aus dem 6. oder 7. Jahrhundert vermutet werden. Nicht nur archäologisch, sondern auch glaubensgeschichtlich war das ein aufregender Fund, da man hier auf früheste Spuren der Christianisierung im Südwesten gestoßen ist. Auch die Historie der Sülchenkapelle sollte darum für Besucher im museal gestalteten Chorraum der Unterkirche greifbar werden.

Den Wettbewerb für die am 4. November eingeweihte Krypta gewannen vor drei Jahren die Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur, hierzulande am ehesten als Planer des Landesmuseums in Bregenz bekannt und jüngst als glorreiche Sieger aus dem Wettbewerb für das neue Konzerthaus in München hervorgegangen. Die letzte Ruhestätte kirchlicher Würdenträger ist jedoch kein Entwurf wie jeder andere – nichts, wofür man als Architekt schon ein paar bewährte Patentlösungen in der Schublade hat. Der Personenkult alter Schule mit den in Stein gehauenen Bildnissen der hochmögenden Toten verbietet sich heutzutage von selbst. Cukrowicz Nachbaur entschieden sich für das Gegenmodell radikaler Einfachheit. Abstraktion, die an die Stelle der überkommenen Opulenz getretene Würdeformel der Moderne, empfahl sich für diese Aufgabe besonders, da das übliche Technikgedöns hier entbehrlich war – bis auf ein grün leuchtendes Fluchtwegschild, was dem Bauherrn anfangs notwendig schien, bevor ihm die unfreiwillige Komik eines solchen Hintertürchens in einer Grabkammer aufging: Der Tod kennt keinen Notausgang.

Die Schwelle zu einem anderen Reich

„Eine klare Raumdramaturgie schafft inszenierte Raumfolgen mit Bewegung und Spannung“, sagen die Architekten zu ihrem Entwurf. Über eine Treppe im Boden der Kapelle taucht man langsam ein in die Unterwelt und gelangt auf dem ersten Absatz zu einer dunklen Messingtür, durch die man auf die Grundmauern der Vorgängerkirche aus dem 9. Jahrhundert blickt. Betreten werden kann der Bereich nur bei Führungen, wobei dann auch die Vitrinen mit den archäologischen Funden zu besichtigen sind. Nach dem Zwischenpodest und einer Wendung um 180 Grad führt die Treppe in zwei seitlichen Läufen weiter hinunter zum Hauptpodest. Der Andachtsraum mit den Grabkammern ist dann nochmals durch zwei Stufen abgesetzt – die Schwelle in ein anderes Reich ist erreicht.

Raum, Material, Licht in äußerster Reduktion – elementarer als hier kann Architektur kaum sein. Wände, Decke und Boden sind in Stampflehmbauweise aus Erde errichtet, die aus den Grabungen vom Sülchenfriedhof stammt. Erde zu Erde: Wie in Sedimentschichten bildet das Material ein fast unmerkliches Streifenmuster, in dem sich kleine Steinchen und Ästchen abgelagert haben. Herzstück ist der Altar aus heimischem Travertin. Eine einzige Deckenleuchte lässt die Tischfläche des massiven Steinblocks fast weiß erstrahlen. Von ihm geht alles Licht im Dämmer des Raums aus, Sinnbild für Christus, der die Welt erhellt. Beigegeben ist ihm nur ein schmales, im Boden eingelassenes Messingkreuz.

In den seitlichen Wänden sind die mit schlichten schwarzen Schieferplatten verschlossenen Grabkammern der Bischöfe untergebracht. In Auftrag gegeben waren 21, die Architekten erhöhten auf 28, weil Platz genug vorhanden war und das ja auch eine Art Wechsel auf ein Fortleben der Kirche darstellt. Die darin verborgene Zahlensymbolik verweist wiederum auf „Maß, Zahl und Gewicht“, wie sie in der Bibel überliefert sind. Überhaupt basiert der ganze Entwurf auf einem komplexen System verschiedenster Proportionen und Verhältniszahlen. Man muss diese Kombinatorik aber nicht entschlüsseln können, um diesen mystischen Raum auf sich wirken zu lassen und zu verstehen, dass es hier um die letzten Dinge geht.