Bismarckstraße statt Kultgastronomie? Im Fragola ist man erschrocken, was im Zuge der Sanierung des Stuttgarter Bismarckplatzes vor dem Eiscafé passieren soll. Unterkriegen lässt das Familienunternehmen sich jedoch nicht.

S-West - So ganz beruhigt hat man sich im Eiscafé Fragola noch nicht. Einige Tage nachdem der Architekt Philip Dechow vom Internationalen Stadtbauatelier erste Ideen für die Umgestaltung des Bismarckplatzes vorgestellt hat, schüttelt man vor Ort noch immer die Köpfe. „Es ist das schlimmste Projekt, das ich je gesehen habe“, klagt eine Stammkundin, die seit Jahren regelmäßig im Fragola ein und aus geht, ihren Namen aus beruflichen Gründen aber lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. „Das ist Stadtplanung, die vom Schreibtisch aus gemacht wurde. Stattdessen hätte sich lieber mal jemand hier hinsetzen und beobachten sollen, wie das Leben wirklich aussieht.“

 

Das Fragola ist für Anwohner ein zweites Wohnzimmer

Denn davon gibt es im Eiscafé Fragola eine ganze Menge. Seit 24 Jahren führen Angelo Carbone, sein Bruder Antonio und dessen Frau Donatella den italienischen Familienbetrieb in der Vogelsangstraße. „Wir sind hier inzwischen alle eine Familie“, betont Antonio Carbone und schaut zu den vereinzelten Gästen hinüber, die es sich an diesem Januarvormittag auf den orangenen Polstermöbeln bequem gemacht haben. Sie nicken einvernehmlich.

Jeder von ihnen hat seine ganz eigene Fragola-Geschichte zu erzählen, ein personalisiertes Stück Stadtgeschichte. „Für mich ist das hier wie ein Wohnzimmer“, sagt eine Frau mit dickem Wollschal und nippt an ihrem Cappuccino. „Es trifft sich ein ganz gewachsenes, inhomogenes Publikum und man tauscht sich über alles Mögliche aus.“ Hinter ihr wackelt zeitgleich eine zierliche Frau mit Hut durch den schmalen Gang des Cafés – auch sie ist Stammkundin. Zum Geburtstag hat sie Antonio Carbone heute ein kleines Geschenk mitgebracht. „Bedankt habe er sich natürlich sofort“, sagt sie mit schwäbisch-italienischem Akzent und zwinkert Antonios Frau Donatella zu.

Die Stimmung zwischen den Ladenbesitzern und ihrer Kundschaft ist herzlich. Viele Eltern hinterlegten zum Beispiel mittags ihre Hausschlüssel am Tresen, damit ihr Nachwuchs sie auf dem Heimweg von der Schule abholen könne, erzählt Antonio Carbone. Wenn jemand aus der Nachbarschaft ein Paket bestelle, lasse er es außerdem oft an das Café liefern, um es abends dort einzusammeln. Und als sein Bruder Angelo vor 16 Jahren heiratete, sei gleich eine ganze Gruppe der Fragola-Stammgäste nach Süditalien gefahren, um bei der Feier dabei zu sein.

Bismarckstraße soll versetzt werden

Diese emotionale Verbindung haben die Planer bei ihrem Besuch im Westquartier deutlich unterschätzt. Im Rahmen der Reihe „Platzgespräche“, die vom Forum Lebendiger Westen organisiert wird, stellten Philip Dechow und Martin Holch, der das Sachgebiet Stadterneuerung beim Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung leitet, Ideen für den Platz vor dem Fragola vor: Konkret will Dechow die Bismarckstraße näher an das Eiscafé heran verlegen – wofür wohl einige Bäume und ein Teil der Grünfläche weichen müssten.

So einfach könne man das mit ihnen jedoch nicht machen, meinen die anwesenden Gäste einige Tage danach einvernehmlich. Vorher würde man demonstrieren und sich auf die gute, alte Stuttgarter Protestkultur berufen. „Auf der Wiese spielen eben die Kinder“, relativiert Antonio Carbone die Wut seiner Stammkunden. Verlieren wolle man diesen Platz deshalb auf keinen Fall. „Wir haben Kinder hier aufwachsen sehen. Früher kamen sie mit ihren Eltern, heute sitzen sie hier mit ihren Freunden“, pflichtet ihm auch Donatella Carbone bei. „Der Architekt soll einfach mal vorbeikommen. Man muss die Freude selbst spüren, wenn man einer Schlange von Kindern im Sommer ihr Eis verkauft.“

Für die Familie Carbone gibt es nur eine Alternative

Eine Alternative zum jetzigen Standort sehen die Inhaber stattdessen einzig am Bismarckplatz unterhalb der Schwabstraße, wo auf einer weiteren Grünfläche heute ein Toilettenhäuschen steht. Nach Dechows Planung soll dort im Rahmen der Platzsanierung so oder so ein Café entstehen. Wenn es nach der italienischen Familie geht, wäre das der optimale Ort für ein neues Fragola. „Dort wäre genügend Platz für Familien und Kinder, das ist mir wichtig“, schließt Antonio Carbone.