Sie halfen zusammen. Und sie feierten jetzt zusammen: Die Initiatoren der privaten Künstlersoforthilfe haben im Jazzclub Bix in Stuttgart eine Bilanz gezogen.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Das Schlussbild sagt oft mehr aus als alle Mosaiksteinchen vorher, auch wenn jedes für sich genommen noch so glänzt. Das Schlussbild der Show zum dreijährigen Bestehen der ehrenamtlichen Künstlersoforthilfe im Jazzclub Bix besteht aus einem gemeinsamen Auftritt von Künstlerinnen und Künstlern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Popsängerin Eva Leticia Padilla und Diana Haller, Kammersängerin der Staatsoper Stuttgart, stimmen zusammen mit den anderen hier versammelten Musikern den Blues „Sweet Home Chicago“ an. Was heißt anstimmen? Sie jammen und jazzen. Die goldenen Wände im Bix wackeln, und im Publikum hüpfen die Herzen.

 

Die Künstlersoforthilfe hat rund 1,6 Millionen Euro gesammelt und ausgeschüttet

Dieses Schlussbild, es handelt von einem musikalischen Cross-over, noch mehr aber von einem menschlichen Miteinander. Mittendrin Joe Bauer, der Initiator und Gastgeber des Abends, der zum Abschluss des Programms „die längste Rede seines Lebens ohne Manuskript hält“. Sie ist kompakt genug, um den Kern seines Anliegens zu transportieren. Er fordert Solidarität – in Krisenzeiten und auch sonst. „Wir alle können etwas tun!“, sagt er und meint damit: sich engagieren, politisch sein, sich zusammenschließen, sichtbar werden. Er will Entwicklungen und Ereignisse nicht nur hinnehmen, sondern aktiv werden. Ereignisse wie die Pandemie.

Joe Bauer (3. von links) hält „die längste Rede seines Lebens ohne Manuskript“.

In seinem geschliffenen Beitrag „Erinnerungen der Kühlschrankfüller“, den er zuvor gelesen hat, schildert Bauer, wie er mit anderen Aktivposten, Peter Jakubeit, Tom Adler, Goggo Gensch, im März 2020 im benachbarten Brunnenwirt die Künstlersoforthilfe ins Leben gerufen hat. Ihr Ziel: Kulturschaffenden und Studierenden helfen, die Kühlschränke zu füllen, nachdem ihre finanzielle Existenzgrundlage im Lockdown häufig von einem auf den anderen Tag weggebrochen war. Begonnen haben Bauer und seine „Helfershelfer“ mit „5000 Euro aus eigenem Anbau“. Daraus entwickelte sich eine beeindruckende Spendenkampagne. Bis heute hat die private Künstlersoforthilfe, die sich korrekt KünstlerInnensoforthilfe nennt, rund 1,6 Millionen Euro an Spenden in der Stadt gesammelt und verteilt. Rund 4000 Überweisungen wurden ausgestellt.

„Die Freiheit der freien Radikalen bleibt unerreicht“

Dafür gibt es an diesem Abend im gut gefüllten Bix reichlich Applaus, auch von Kunstministerin Petra Olschowski und dem Stuttgarter Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner, der in seiner Rede „die Handvoll Rentner“ um Joe Bauer preist, die in den Coronajahren auf unnachahmliche Weise Hilfe mobilisiert hätten: unkompliziert und unbürokratisch. Vorsichtig erinnert er daran, dass auch die Stadt ihren Beitrag geleistet habe. Eben auf andere, weniger spontane Weise. Denn: „Die Freiheit der freien Radikalen bleibt unerreicht.“

Auch Thomas Koch, Kommunikationschef der Staatsoper, zieht vor dem Team Bauer den Hut. Er erinnert an die Formate, wie die Eins-zu-Eins-Konzerte, die im Lockdown entstanden sind, und das kreative Zusammenspiel mit Akteuren wie dem Bix, dem Club Kollektiv und der Künstlersoforthilfe zum Wohle notleidender Kulturschaffender. Exemplarisch dafür steht an diesem Abend der kraftvolle Auftritt von Kammersängerin Diana Haller. Begleitet von Vlad Iftinca am Klavier rockt sie den Jazzclub mit zwei Arien.

Joe Bauers Instrument ist die Sprache

Joe Bauer, der Meister der musikalischen Kollaboration, hört und sieht das alles mit stillem Wohlgefallen. Je älter, desto mehr ist der stadtbekannte Journalist und Autor zum Aktivisten geworden. Er kämpft für das kulturelle Leben in der Stadt und gegen Rassismus. Kultur ist für Bauer „eine Lebensart“, die er nach Kräften pflegt. Die Not der Kulturschaffenden, meint er, wäre in der Pandemie nicht so groß gewesen, wenn die Arbeit Kulturbetrieb besser bezahlt würde.

Bauer singt nicht, er spielt nicht Klavier. Sein Instrument ist die Sprache. Die setzt er ein zum Wohle der Kultur – nicht ohne sie zu ermahnen: „Die Häuser müssen sich für unterschiedliche Menschen öffnen und hineinwirken in die Räume der Stadt“. Dann lässt er einen Spendeneimer kreisen, „der auf Münzen empfindlich reagiert“. Wie? Macht die Künstlersoforthilfe über die Pandemie hinaus weiter? Eigentlich nein, sagt Bauer. Es klingt ein bisschen nach vielleicht.