Sie nennen sich Cyber Punks oder Pirates of Love. Die Models erotischer Fotokunst sind bei einer Performance in Degerloch quasi aus den Bildern gestiegen, um real mit ihren Fans zu feiern – auch mit dem „Fellini von Stuttgart“.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Voll. Fett. Lecker. Hinter jedes Wort hat der Künstler einen Punkt gesetzt. Bei diesen drei Wörtern, die dank der Punkte dazwischen noch stärker betont werden, ist ziemlich klar, worum es geht. Um nicht viel weniger geht’s als um die pure Lust am Genuss, um die Kunst der Verführung – und das mitten in Degerloch.

 

Der Fotograf Claus Friedrich Rudolph, der von Künstlerkollegen schon mal bewundernd „Fellini von Stuttgart“ genannt wird, ist seit Jahren bekannt für aufwendige Inszenierungen opulenter Bilderwelten. Seine neue Schau mit dem Titel „Voll. Fett. Lecker.“ ist eine Verneigung vor alten Meistern. Holländische und flämische Maler haben von Mitte des 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert den Überfluss und die Genussfreude auf die Leinwand gebracht. Mit einer Leica-Kamera hat der 65-Jährige die Szenen mit üppig leuchtenden Farben nachgestellt. „Röter als bei ihm kann eine Tomate nicht sein“, lobt Laudatorin Martha Götz.

Das Fest hat was von einer Fetischparty

In der neuen Leica-Galerie an der Calwer Straße werden Rudolphs volle, fette und leckere Fotos in Kürze ausgestellt. Erst einmal aber können sie mitten in Degerloch bewundert werden – beim Sommerfest des Galeristen Norbert Nieser, das ein bisschen was von einer Fetischparty hat. Ein Teil der Gäste ist mit Latex, Leder und freizügiger Aussicht auf sonst verborgene Tattoos erschienen. Darunter sind Models von Vince Voltage, des zweiten Fotokünstlers, der an diesem Abend die Vernissage seiner Ausstellung „Retox“ feiert (zu sehen bis zum 20. September). Sie nennen sich Cyber Punks oder Pirates of Love. Wie man diese Fachwörter auf Schwäbisch übersetzt? Unter den Gästen denken Äffle und Pferdle alias Heiko Volz und Volker Lang darüber nach. Die Antwort ist schnell gefunden: „A scheene Sauerei!“ Merke: Der Schwabe findet oft schön, was nicht brav und bieder ist.

Der Mann trägt eine „Susi“

Der weiß gekleidete Fotograf und Musiker Vince Voltage, ein Mitglied des Künstlerkollektivs Plattform 11 um den in seiner Heimatstadt Esslingen gerade erst wie ein Popstar gefeierten Tim Bengel , trägt ein Suspensorium. Balletttänzer sagen liebevoll „Susi“ dazu. Normalerweise sorgt dieser Schutz für Weichteile unter der Hose dafür, dass sich nicht jedes Detail abzeichnet. Voltage hat seine „Susi“ nicht unter, sondern über die Hose umgebunden. „Das ist der Wonderbra für den Mann“, bemerkt eine Besucherin. Was noch auffällt: Das Vernissage-Publikum ist aus Anlass einer wild-bizarren Nacht noch bunter gekleidet als sonst.

Ines Witka liest erotische Texte aus ihrem Buch „Mut“

In seinen Werken spielt Vince Voltage mit sexuellen Tabubrüchen. Doch selbst Menschen aus Degerloch haben mittlerweile so viel gesehen, dass sie sich von geheimen Begierden nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. Ines Witka liest auf ihrem Sesselthron erotische Texte aus ihrem Roman „Mut“. Hinter ihr hängt das Foto von Claus Rudolph zum Thema Wollust. Mehrere Käselaibe sind darauf zu sehen sowie die Fotografin Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer, die als Model lebensfroh und sinnlich auf dem Tisch sitzt, als sei auch sie zum Genuss freigegeben.

Gab’s nach dem Shooting eine leckere Käseplatte? „Wir hatten den Käse vom Käsestand ausgeliehen“, sagt Rudolph, „und danach alles zurückgegeben.“ So praktisch ist heutzutage Kunst, eben dreifach stark: Voll. Fett. Lecker.