Wenn Ole Einar Björndalen (48) und Darja Domratschewa (35) auf die Ergebnisliste der ersten drei Biathlon-Rennen schauen, dürften ihnen viele Gedanken durch den Kopf schießen. Vorwiegend negative. Schließlich sind sie vor zweieinhalb Jahren angetreten, um das chinesische Team fit zu machen für die Heimspiele. Die Erwartungen waren hoch, auch ihre eigenen. „Wir wollen“, sagte Björndalen, „das Unmögliche möglich machen.“ Gemessen daran muss man sagen: Da ist zwei Superstars passiert, was in ihren Karrieren nicht oft vorkam – sie sind gescheitert.
Die Erwartungen waren im Vorfeld der Spiele hoch
Allerdings, so ehrlich muss man sein, die meisten haben genau das erwartet. Weil die Chinesen viel zu weit weg waren von der Weltspitze. Weil die Zeit viel zu kurz gewesen ist. Und weil Wunder im Sport ziemlich selten vorkommen. Von daher können sich Björndalen (Norwegen) und Domratschewa (Belarus), die seit Juli 2016 verheiratet sind, sicherlich damit trösten, dass sie für ihre Dienste fürstlich entlohnt werden. Und hoffen, dass ihre Schützlinge vielleicht doch noch den einen oder anderen Treffer landen.
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Bisher sind die Resultate allerdings ernüchternd. In der Mixed-Staffel kamen die Chinesen auf Rang 15 (unter 20 Teams), im Einzel der Frauen wurde Yuanmeng Chu 35., im Einzel der Männer kam Xingyuan Yan als Bester auf Platz 39. Konstant waren nur die Rückstände auf die Gold-Gewinner: 4:42,5 Minuten, 4:46,1 Minuten, 4:53,2 Minuten. Jeweils eine Biathlon-Welt. Und weit entfernt vom Ziel, bei den heimischen Winterspielen wenigsten einen Top-Ten-Platz zu schaffen. „Wir möchten die Athleten so weit wie möglich entwickeln“, hatte Björndalen bei seinem Amtsantritt gesagt, „wenn wir bei Olympia Medaillen holen können, wäre das großartig.“ Viel weiter könnten Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderliegen.
Die beiden waren die Topstars ihres Sports
Zugleich beweist das Projekt, dass es eben nicht reicht, von den Besten zu lernen. Domratschewa holte sechs Olympia-Medaillen (4x Gold, 1x Silber, 1x Bronze), dazu kommen sieben WM-Plaketten (2/4/1). Björndalen ist der beste Biathlet der Geschichte und hinter Langläuferin Marit Björgen (8/4/3) der erfolgreichste Sportler bei Winterspielen – mit acht Gold-, vier Silber- und einer Bronzemedaille. Zudem stand er bei Weltmeisterschaften 45-mal auf dem Podium (20/14/11). Kein Wunder, dass der Norweger einst „Kannibale“ genannt wurde. Er gönnte seinen Gegner nichts, gab sich nie zufrieden, wollte immer selbst gewinnen. Fest steht: Die beiden früheren Weltklasse-Athleten wissen, wie man sich auf Großereignisse vorbereitet, wie man sich schindet, wie man dem Sport alles unterordnet.
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Weshalb auch nicht die Expertise von Björndalen und Domratschewa infrage steht, sondern eher die Auswahl der Nation, für die sie arbeiten. „Sie haben sich in ein Haifischbecken begeben“, sagte Ex-Biathletin und TV-Expertin Kati Wilhelm, „sie hätten anderen Teams sicher mehr Nutzen bringen können.“ Und sich auch einige Kritik erspart.
Gegenwind bekommt Björndalen aus der Heimat
Gegenwind bekam Björndalen aus seiner norwegischen Heimat, vom dortigen Chef der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. „Wenn man ein wichtiges Amt in einem totalitären Staat übernimmt, muss man sich seiner Entscheidung bewusst sein. Unsere Aufgabe ist es, zu erzählen, wie schlimm die Menschenrechtslage in China ist“, erklärte John Peder Egenaes der Zeitung „Verdens Gang“. Der Biathlon-Star werde nur für die Zwecke Chinas benutzt, er sei eine Art Marionette: „Es ist vielleicht nicht der größte Sport, aber ihn ins Team zu bekommen, bedeutet Prestige, das für viel Aufsehen sorgt.“ Björndalen wies diese Vorwürfe umgehend zurück. „Ich konzentriere mich auf die Athleten und führe keine Gespräche über Propaganda mit irgendeinem Führer“, meinte er, „wir nutzen stattdessen gerne die Chance und helfen unserem Lieblingssport, sich weltweit zu entwickeln, in Ländern, in denen Biathlon und alle Wintersportarten ein enormes Potenzial haben.“ Die Frage ist nur: wie lange gilt dieser Satz?
Ursprünglich war das Engagement von Björndalen und Domretschawa, die auf ihren Reisen immer ihre Tochter Xenia (5) dabei haben, auf die Zeitspanne bis zu den Olympischen Spielen begrenzt. „Dann“, sagten sie, „müssen Ergebnisse her.“ Weil diese ausbleiben, könnte schon bald alles vorbei sein, auch wenn Domratschewa die Hoffnung noch nicht gänzlich aufgegeben hat: „Biathlon ist ein sehr unberechenbarer Sport, man braucht ein hohes Maß an Vertrauen in den Moment.“ Auch wenn im Moment (noch) wenig geht.