Der Wandel der afroamerikanischen Identität spiegelt sich in gesellschaftspolitischen Debatten und Kunstformen. Heute: Schwarze Musiker zwischen Hip-Hop, Pop, Jazz, Blues, Gospel und Soul.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Kleine Quizfrage: Welche bekannten schwarzen Punkmusiker fallen uns eigentlich ein? Klar, die Bad Brains natürlich, eine ausschließlich aus Afroamerikanern bestehende Band. Darren „Peligro“ Henley aus St. Louis, Missouri, der langjährige Schlagzeuger der Dead Kennedys. Yvonne Ducksworth von Jingo de Lunch. Aber schon bei ihr, der kanadischen Sängerin einer deutschen Band, wird’s eng. Denn sowohl die mildeste musikalische Form zur Benennung gesellschaftlicher Missstände – der Protestsong – wie auch ihr radikalster künstlerischer Gegenentwurf – der Punk – waren und sind in den USA nahezu ausnahmslos ein Ausdrucksmittel der Weißen. Auf den ersten Blick könnte dies verstören, aber dazu besteht kein Grund; dem Wunsch nach Teilhabe an einer Gesellschaft muss man ja nicht zwingend mit der Negation ihrer Werte Ausdruck verleihen.

 

Außerdem fällt uns doch noch einer von ihnen ein. Tracy Lauren Marrow, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Ice-T und als Mitgründer der Metal-Punk-Crossoverband Body Count, die mit dem allerdings radikalen Titel „Cop Killer“ eine enorme politische Debatte in den Vereinigten Staaten entfachte. Besser bekannt war Ice-T, Sohn eines Afroamerikaners sowie einer hellhäutigen Kreolin und somit seit seiner Jugend Anfeindungen aus allen Ecken ausgesetzt, jedoch in seiner ursprünglichen Profession als Rapper. Er ist einer der Hip-Hop-Gründerväter, er hat mit seinem anspielungsreich „Rhyme pays“ betitelten Debütalbum der dunkelhäutigen Jugend einen Fingerzeig geliefert, wie sie ihre Frustration über ein perspektivloses Leben in den Elendsvierteln amerikanischer Großstädte, den alltäglichen Rassismus und die unverhältnismäßige Polizeigewalt gegen Schwarze ventilieren könnte: im Sprechgesang mit seinen Chiffren und Verhaltensmustern, die zunächst nur abgeschotteten Schwarzenzirkeln zugängig waren

Vor den Trümmern der Karriere

Die Wutschreie machten die Protagonisten des Genres reich, aus den armen Frustrufern wurden umschwärmte Stars mit Taschen voller Dollarbündel, die sich plötzlich eher für Protzkarren und Goldklunker denn für die Hängengelassenen in ihrer Black Community interessierten. Und irgendwann kam der Tag, an dem sich ein Junge aus dem Bodensatz der weißen Gesellschaft, aus dem White Trash der Trailerparks, aufmachen sollte, um ihnen den Rang abzulaufen. Marshall Bruce Mathers hieß und heißt er, das weltweit führende Musikfachblatt „Rolling Stone“ krönte ihn zum „größten Rapper aller Zeiten“; ausgerechnet ihn, Eminem, der sich als König des Hip-Hop eine schwarze Subkultur zum Untertanen machte.

Ein anderer König hatte zu dieser Zeit die Blüte seiner Regentschaft längst überschritten. In jener Woche zu Beginn des neuen Jahrtausends, als der weiße Rapper Eminem dem schwarzen Rapper Snoop Doggy Dogg den bisherigen Rekord für die verkaufsstärkste Erstveröffentlichungswoche eines Hip-Hop-Albums abnahm, stand Michael Jackson, der King of Pop, vor den Trümmern seiner Karriere. Abgestempelt als Sonderling, eine behördliche Untersuchung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes hinter und eine weitere vor sich. Durch diverse Schönheitsoperationen und die Krankheit Vitiligo, die seine Haut immer weißer werden ließ, auch äußerlich der Black Community entfremdet und doch nie in der weißen Gesellschaft angekommen. Der größte aller schwarzen Superstars: ausgerechnet er taugt angesichts der selbst zugeführten Stigmata auch über sieben Jahre nach seinem Tod nicht zur posthumen Verklärung, zur Ikone einer schwarzen Minderheit, die selbstbewusst das Joch der Stigmatisierung abgeschüttelt hätte.

Wunderbare Meilensteine

Anerkennung fanden Afroamerikaner vielmehr im freilich auch lange als „Negermusik“ verfemten Jazz, dem Musiker wie Charlie Parker oder Duke Ellington zur wahren Blüte verhalfen. Zuflucht finden und fanden die Afroamerikaner, überwölbt vom Dach des Glaubens, außerdem in einer ihrer ureigensten musikalischen Ausdrucksformen, dem Gospel. Trost finden und fanden sie in ihren anderen beiden Stilen: in Blues und Soul, den eigentlichen Genres, in denen seit jeher die Sorgen, Nöte und Hoffnungen der Schwarzen beschworen wurden. Und wenn heutzutage jemand propagiert, dass doch Eric Clapton der größte Bluesman und Adele die größte Souldiva unserer Tage seien, zwei weiße Briten also, dann ignoriert er einiges. Das Fundament, das etwa Robert Johnson oder Aretha Franklin für sie gelebt haben. Epochale Werke, die in diesen zwei stilprägenden Genres entstanden. Wunderbare Meilensteine, die schwarze Musiker mit ihren Liedern setzten; vorgebracht von schwarzen Seelen und Herzen, aus denen einerseits die Hilflosigkeit schrie und sich anderseits stolzes Selbstbewusstsein entwickelte. Das dankbarerweise in eine Selbstverständlichkeit mündete, mit der man alle hier oben aufgeworfenen Einwände mühelos beiseite wischen kann.

Denn natürlich wirkten die in Black Music gegossenen harten Lebensrealitäten mit einem süßen Klangkleid umhüllt oft viel eindringlicher als die herausgebellte Wut des Punkrock. Natürlich ist Eminem die Ausnahme von der Regel, noch immer sind nahezu alle Stars des zeitgenössischen Hip-Hop Afroamerikaner, deren Verse sich bei weitem nicht nur in Plattitüden erschöpfen. Natürlich wird von Michael Jackson in erster Linie ein kolossales künstlerisches Vermächtnis in Erinnerung bleiben. Natürlich waren es James Brown oder B.B. King und sind es Rihanna oder Beyoncé, die als Ikonen des Souls, des Blues, des R’n’B oder des Pops gelten.

Und natürlich, dies ist womöglich der wichtigste Aspekt des gesellschaftlichen Aufstiegs, gibt es keine einzige künstlerische Gattung und schon dreimal keinen anderen Bereich des öffentlichen oder ökonomischen US-amerikanischen Lebens, in dem Schwarze derart gehäuft und exponentiell positioniert sind wie in der Unterhaltungsmusik. Vielleicht kann das schwarze Amerika gerade hieraus Mut schöpfen.