Im Prozess gegen mutmaßliche Black Jackets Mitglieder gibt die Richterin ihre vorläufige Einschätzung bekannt - und hofft auf Geständnisse.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stammheim - Es könnte der Anfang vom Ende des Mammutprozesses sein, was sich am Mittwoch hinter den Stacheldrahtzäunen und grauen Mauern der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stammheim zugetragen hat. Die Vorsitzende Richterin Sina Rieberg erläuterte den 21 Angeklagten und ihrer Verteidigerschar, wie die Jugendkammer das Verfahren gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Bande Black Jackets einschätzt. Sie müssen sich wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht verantworten, weil sie im Juni 2009 Mitglieder der rivalisierenden Bande La Fraternidad auf einem Esslinger Schulhof zusammengeschlagen haben sollen. Bei 15 der 21 Angeklagten bleibt die Kammer nach vorläufiger Einschätzung dabei, dass sie wegen versuchten Mordes angeklagt sind. Sechs der jungen Männer sehe man als Mitläufer der blutigen Tat an. Die Bekanntgabe des möglichen Strafmaßes soll die Männer, die beharrlich schweigen, zu Geständnissen bewegen.

 

Vollkommene Ruhe herrscht so gut wie nie im Zweckbau der JVA Stammheim, in dem Stuttgarts größter Gerichtssaal untergebracht ist. Den füllen die 21 Angeklagten und ihre rund 40 Strafverteidiger. In den Reihen wird viel gemurmelt. Als die Richterin mit ihren Ausführungen beginnt, ist es still und nur noch ab und zu ein sanftes Klirren zu vernehmen - das Geräusch rührt von den Ketten der Fußfesseln der Angeklagen. Gespannt und gebannt erwarteten die 18 bis 25 Jahre alten Männer, welchen Strafrahmen die Richterin für den Fall eines Geständnisses angeben würde. Als die Vorsitzende die ersten Zahlen nannte, scharrten die Füße unruhig, die Ketten klirrten lauter. Strafmaße zwischen knapp drei Jahren und mehr als acht Jahren nannte Sina Rieberg. Die vergleichsweise niedrigen Strafen sind für die Handlanger in Aussicht gestellt, deren Beitrag etwa darin bestanden hatte, die Schläger zur Esslinger Waisenhofschule zu fahren.

Mit acht Jahren Gefängnis müssen die Angeklagten rechnen

Mit ungefähr acht Jahren müssen jene rechnen, die durch Aussagen und Spuren wohl als Haupttäter zur Verantwortung gezogen werden können. Sie haben auf dem Gewissen, dass eines der Opfer nie wieder ein normales Leben führen wird. Dem Mann wurde ein Stück des Schädels so zertrümmert, dass es entfernt und durch eine Stahlplatte ersetzt werden musste.

Zwar sehe die Kammer das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erfüllt, da die Täter schreiend auf den Hof gerannt seien, sie gehe aber davon aus, dass es andere niedere Beweggründe gebe, die die Tat als versuchten Mord qualifizieren. Beim Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gehe die Kammer nun vom strenger geahndeten Delikt der schweren Körperverletzung aus. Dafür sprächen die Beeinträchtigungen des am Kopf verletzten Mannes.

Das Urteil kann am Ende ganz anders ausfallen

Zwischen knapp vier und etwas mehr als fünf Jahren bewegen sich die Haft- beziehungsweise Jugendstrafen für die Heranwachsenden - für diejenigen, die in die Massenschlägerei verwickelt waren, aber vermutlich nicht zu den Haupttätern gehören. Die Richterin machte immer wieder deutlich: "Das ist das, was wir nach dem aktuellen Stand sagen können. Wir haben ein Mosaikbild, bei dem noch viele Steinchen fehlen. Deswegen kann das Urteil am Ende anders ausfallen", sagte sie. Die Angeklagten hätten die Möglichkeit, durch Geständnisse das Bild zu ergänzen. Zum weiteren Vorgehen sagte die Richterin, dass für die Geständigen das Verfahren abgetrennt werden könnte. Sie müssten dann nicht das gesamte Mordverfahren absitzen, sondern könnten bald mit einem Urteil rechnen.

Für diejenigen, die mit Haftstrafen zwischen drei und vier Jahren zu rechnen haben, könnte das die baldige Freiheit bedeuten, da sie schon seit knapp zwei Jahren in Haft sitzen. Im Jugendstrafrecht ist es möglich, entlassen zu werden, wenn sieben Zwölftel der Haftzeit verbüßt sind.

Das Verständigung soll die Verfahren verkürzen

Die von der Richterin vorgetragene Einschätzung war das Ergebnis mehrerer Gespräche zwischen Richtern, Staatsanwalt und Verteidigern. Seit dem vergangenen Herbst hatten die Anwälte darauf gedrungen, eine solche Verständigung anzustreben, wie sie die Strafprozessordnung vorsieht. Das Gesetz regelt dieses Vorgehen, um die Verfahren zu verkürzen. Mit allzu viel Bewegung rechneten die Anwälte jedoch nicht, als sie am Mittwoch den Saal verließen. "Da war kein Schnäppchen dabei", sagte einer von ihnen. Da die mutmaßlichen Bandenmitglieder mit Repressalien rechnen, sind sie nicht sonderlich motiviert zu reden. Erst vor wenigen Wochen war einer von ihnen, der gestehen wollte, auf dem Weg in den Gerichtssaal geschlagen worden - danach schwieg er.