Als Chef des Verkehrsausschusses will Cem Özdemir Druck machen, damit die Bundesregierung für bessere Stadtluft und saubere Diesel sorgt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt er, wie er das anstellen will.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Nach fast zehn Jahren als Grünen-Parteichef muss Cem Özdemir sich neu erfinden. Ab jetzt ist er „nur“ noch Stuttgarter Wahlkreisabgeordneter und Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Dass er bis vor wenigen Monaten selbst regieren wollte, am liebsten wohl das Außenamt übernommen hätte, ist passé. Kaum als Ausschusschef installiert, ist nicht mehr Verantwortung und Gestalten seine Devise, sondern Attacke. Dass deutsche Autofirmen nach dem Dieselskandal mit Abgasversuchen an Affen und Testpersonen in die Schlagzeilen gerieten, liefert Özdemir dafür eine Steilvorlage.

 

„Kultur des Wegschauens hat sich breitgemacht“

„Ich fordere die Bundesregierung auf, zu erklären, was sie über die unfassbaren Methoden der Autoindustrie wusste, und ob diese vielleicht sogar mit öffentlichen Geldern gefördert wurde“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung im Blick auf die aktuelle Stunde des Bundestags zum Thema an diesem Freitag. „Bei der Bundesregierung und den zuständigen Kontrollbehörden hat sich über Jahre eine Kultur des Wegschauens breitgemacht.“ Nicht nur die Industrie trage die Verantwortung. „Mit ihrem Unwillen zur vollständigen Aufklärung garantiert die Bundesregierung selbst immer neue Fortsetzungen des Abgasskandals“, klagte der Grünen-Politiker und forderte die Politik auf, die enge Verbindung mit den Autokonzernen zu lösen und nicht länger auf deren Selbstkontrolle zu vertrauen.

Bis 2020 sieht es flau aus für Verbesserungen

Dass Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) vor wenigen Tagen in Brüssel war und gegenüber der EU-Kommission einräumte, dass zwanzig deutsche Städte die europäischen Stickoxid-Grenzwerte, die seit 2010 gelten, trotz aller Anstrengungen wohl auch 2020 noch nicht einhalten werden, geht ihm so gegen den Strich, dass er ein fraktionsübergreifendes Bündnis besonders betroffener Regionen schmieden will. „Ein Teil unserer Jobbeschreibung im Ausschuss ist, auf wirksame Maßnahmen für saubere Luft zu drängen“, betonte Özdemir. „Ich richte mich explizit auch an die Abgeordneten anderer Fraktionen, die aus betroffenen Wahlkreisen mit hoher Luftbelastung kommen.“ Allein mit Abgeordneten aus dem Südwesten könnte Özdemir dafür eine stolze Zahl von Mitgliedern zusammentrommeln.

Nach den jüngsten Daten des Umweltbundesamtes, haben im vergangenen Jahr rund siebzig Kommunen die Grenzwerte nicht eingehalten – im Jahr zuvor waren es noch neunzig. Aus Baden-Württemberg gehören Reutlingen, Heilbronn, Ludwigsburg, Freiburg, Tübingen, Mannheim und Leonberg sicher dazu. Wahrscheinlich werden auch Backnang, Marbach, Esslingen, Herrenberg, Ravensburg, Leinfelden-Echterdingen, Pleidelsheim, Heidenheim und Schwäbisch-Gmünd die Grenzwert-Messlatte reißen. Zwar hat Stuttgart (73 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft) die rote Laterne als am stärksten belasteten Stadt im vergangenen Jahr an München (78 Mikrogramm) abgegeben, aber mehr als ein Schritt in die richtige Richtung ist die gesamte Entwicklung nach Einschätzung des Umweltbundesamtes noch nicht.

„Groko muss mit Vogel-Strauß-Prinzip Schluss machen“

Verkehrsausschusschef Cem Özdemir pochte denn auch erneut auf die Einführung einer blauen Plakette. „Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass CDU/CSU und SPD sich weiterhin weigern, den Kommunen mit der blauen Plakette endlich ein wirksames Instrument zur Verbesserung der Luft in die Hand zu geben“, mahnte er. „Mit Groko-Verkehrspolitik nach dem Vogel-Strauß-Prinzip wird die Luft sicher nicht besser.“