Fußball ist schon immer sein Ding gewesen. Der Warmbronner Ulrich Pfisterer hat keine „normale“ sportliche Karriere hingelegt – vom ehemaligen Fußballprofi zum Funktionär oder Trainer. Der 61-jährige gebürtige Berliner ist seit 2007 ehrenamtlicher Bundestrainer der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft und betreut zugleich die Spieler des MTV Stuttgart.

Leonberg - Fußball ist schon immer sein Ding gewesen. „Wenn man einmal gespielt hat, kommt man nicht wieder davon los“, sagt Ulrich Pfisterer. Der Warmbronner hat keine „normale“ sportliche Karriere hingelegt – vom ehemaligen Fußballprofi zum Funktionär oder Trainer. Der 61-jährige gebürtige Berliner ist seit 2007 ehrenamtlicher Bundestrainer der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft und betreut zugleich die Spieler des MTV Stuttgart, die zum großen Teil den Kader des National-Teams stellen. Hauptberuflich arbeitet der Sportlehrer, der auch ein Studium zum Psychotherapeuten absolviert hat, bei der Nikolauspflege in Stuttgart, einer Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen.

 

Zum Gespräch kommt Pfisterer – typisch Sportler – leger sommerlich gekleidet. Jeans, helles Hemd, bequeme Schuhe. Er ist ein offener Mensch, in seinen Augen sprüht das Leben. Er geht nicht den geraden Weg, sondern sucht die Herausforderung, auch wenn er dabei manchmal Rückschläge erleidet und sich wieder mühsam aufrappeln muss.

Seine Lebensgeschichte beginnt in Berlin, wo er im November 1951 geboren wird. Fußball spielt er natürlich schon als kleiner Junge. Im Alter von 17 Jahren wird er Deutscher Jugendmeister mit dem FC Hertha 03, dem Fußballverein aus dem Süd-Berliner Stadtteil Zehlendorf, und schafft es in verschiedene Auswahlmannschaften. 1970 lädt ihn der Bundestrainer Helmut Schön zum Lehrgang ein. Pfisterer ist im Olympiakader, doch zum Zuge kommt ein besserer Spieler auf der Stürmerposition – Uli Hoeneß. „Insofern war das Thema Nationalmannschaft für mich dann auch erledigt“, sagt Ulrich Pfisterer.

Bei einer Weltreise nach Australien lernt er seine spätere Frau kennen und wandert 1976 auf den fünften Kontinent aus. Juventus Melbourne bietet ihm einen Zwei-Jahres-Vertrag als Profi an und Pfisterer verdient in der australischen Fußball-Liga sein Geld. Ein Traumjob für den jungen Abenteurer.

Doch Fußball alleine ist ihm zu wenig. „Ich wollte mich nützlich machen.“ In einer Blinden-Schule fängt er als Sportlehrer an, studiert nebenbei Diplomsport und konzentriert sich hier auf Menschen mit Behinderung und Blinde. Im Alter von 28 Jahren beendete er seine aktive Fußball-Karriere und vertieft sich in seine Arbeit.

Die Menschen und deren Wesen interessieren ihn schon immer. Also macht er eine zusätzliche zweijährige Ausbildung zum Psychotherapeuten, eröffnet eine eigene Praxis. Diese Richtung schlägt er nicht ganz ohne Eigennutz ein. In seiner Ehe kriselt es bereits, die Trennung ist nicht mehr abwendbar. Mit seiner Ex-Frau hat er zwei Kinder, die in Australien leben und studieren. Nach diesem persönlichen Schnitt stellt er fest: „Australien ist ein Land für Familien, als Single fühlte ich mich dort nicht mehr wohl“, so Pfisterer. Das wird ihm bei einem einjährigen Lehreraustausch im Jahr 2004 so richtig klar. Eine deutsche Kollegin unterrichtet ein Jahr lang in seiner Schule in Melbourne, Pfisterer kommt nach Berlin. Und hier ist, im Gegensatz zu Australien, der Bär los. „Gesellschaftliches Leben gibt es in Australien nicht, weil die Distanzen riesig sind, so kurz mal Freunde oder Nachbarn auf ein Bierchen besuchen, ist nicht drin.“ Ulrich Pfisterer spürt wieder seine deutschen Wurzeln. „Es war toll, wieder die winterliche Kälte und den Schnee zu erleben, Eichhörnchen vor der Tür zu sehen und auch richtig gutes Brot zu essen.“

Sein Entschluss steht fest, er will zurück. Seine Ex-Frau und die beiden Söhne bleiben in Australien. „Das war ein sehr schwerer Schritt, doch im Nachhinein richtig.“ Einen neuen Job findet er nach einigen Bewerbungen in Stuttgart in der Nikolauspflege. Sein Haus mit Swimmingpool in Melbourne tauscht er zunächst gegen eine kleine Kellerwohnung in Warmbronn – später findet er dann ein paar Häuser weiter eine Bleibe, wo er mit seiner Partnerin seit ein paar Jahren lebt.

Mit dem Blindenfußball kommt Ulrich Pfisterer zum ersten Mal 2006 in Berlin in Kontakt. Bei einem internationalen Turnier für Blinde im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft (der Sehenden). Eine Veranstaltung der englischen Botschaft und des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV). „Ich war schwer beeindruckt, wie sicher sich die blinden Fußballer mit Hilfe der Zurufe eines sehenden Guides auf dem Platz bewegten und an mir vorbei sprinteten. Weil der Ball Rasseln unter der Haut hat, konnten sie ihn hören“, erinnert sich der Warmbronner an dieses Erlebnis, das ihn wieder zu neuen Ufern bringt.

Denn vor Ort ist auch ein griechischer Weltschiedsrichter, der Ulrich Pfisterer zu einem Turnier in sein Land einlädt. Gegner sind die Mannschaften aus Brasilien, Frankreich und Spanien. Doch Sportlehrer Pfisterer hat ein Problem: Er hat gar kein Team. Mit acht Lehrgangsteilnehmern von Berlin reist er nach Griechenland. „Unsere Mannschaft hat nur mit 0:4 gegen den Europameister Spanien verloren, das war ein großer Erfolg, weil wir dachten, wir gehen völlig unter“, sagt er.

Zurück in der Nikolauspflege hält der Pädagoge Ausschau nach sportlichen Typen und ruft eine Trainingsgruppe für Blindenfußballer ins Leben. Als einer seiner Leistungsträger und besten Acht-Meter-Schützen der Welt soll sich später Mulgheta Russom entwickeln, der vor einigen Jahren durch einen Autounfall sein Augenlicht verloren hatte. In der Nikolauspflege macht er eine Ausbildung zum Korbflechter und winkt zunächst nur ab, als Ulrich Pfisterer von seiner Idee mit dem Blindenfußball erzählt. Der Mann, der in Deutschland geboren ist und eritreische Wurzeln hat, willigt ein. Später macht Russom eine Ausbildung zum Fitness-Trainer und arbeitet beim MTV Stuttgart. Ein weiterer Leistungsträger ist der Tübinger Alexander Fangmann, der Rhetorik studiert.

Beim MTV Stuttgart gründet Ulrich Pfisterer 2007 eine Blindenfußball-Mannschaft. Das erste Spiel bestreitet das Team gegen den FC St. Pauli in Liechtenstein. Der Warmbronner selbst ernennt sich zum Bundestrainer, weil der komplette Nationalkader zunächst aus Spielern des MTV besteht. „Es war ja sonst keiner da, der das gemacht hätte.“ Bei der Europameisterschaft in Athen 2007 wird sein Team Siebter. „Da wurden wir als Neueinsteiger überrollt“, so Pfisterer. 2009 kämpft sich das deutsche Team bereits auf den fünften Platz vor. Bei der EM 2013 im italienischen Loano wird Deutschland Gruppensieger und verliert später im Spiel um Platz drei im Sechsmeterschießen gegen die Türkei. Jetzt hofft Pfisterer dennoch, dass sein Team für die Paralympics nominiert wird.

Mit dem MTV Stuttgart feiert er mehrere Jahre in Folge die Deutsche Meisterschaft. „Es gibt momentan acht Mannschaften in Deutschland, die in der Bundesliga spielen“, sagt Pfisterer, der auch im Weltverband des Blindensports tätig ist. Er wünscht sich, dass der Sport in Deutschland an Popularität gewinnt. „In Spanien oder Brasilien kommen Tausende von Zuschauern zu den Spielen“. Beste Gelegenheit, den Sport kennen zu lernen, gibt es am 14. September. Pfisterer hat sich dafür stark gemacht, dass der letzte Spieltag der Bundesliga um 14 Uhr vor dem Stuttgarter Schloss ausgetragen wird. Da hofft er dann auf zahlreiche Zuschauer, die für eine südländische Atmosphäre sorgen.