Früher lernten Blinde das Bürstenmachen, heutzutage werden sie IT-Fachleute. Die Nikolauspflege in Stuttgart ist maßgeblich daran beteiligt. Jetzt geht ihr langjähriger Vorstand Dieter Feser in Pension.

Stuttgart - Vor 24 Jahren kam Dieter Feser als Direktor zur Nikolauspflege. Im Berufsbildungswerk gab es damals drei Klassikerberufe für Blinde und Sehbehinderte: Korbmacher, Bürsten- und Pinselmacher und Telefonisten. „Alle drei Berufe bilden wir hier in Stuttgart nicht mehr aus“, sagt Dieter Feser. Körbe, Bürsten und Pinsel sind längst verdrängt von billiger Kunststoffware, und Behörden und Institutionen beschäftigen keine Telefonisten mehr. „Heute machen die Leute eine Ausbildung im IT-Bereich zum Fach- oder Netzwerkinformatiker“, sagt Feser, „das ist ganz klar der beliebteste Ausbildungsgang bei den jungen Leuten neben den kaufmännischen Berufen oder der Ausbildung zum Umgang mit CNC-Fräsmaschinen“.

 

Eine Spezialschule fehlte

Die Moderne und der neue Direktor aus München veränderten auch die Angebote der Stiftung. Feser hatte nach seinem Studium in Sport, Politik und Deutsch und einem Aufbaustudiengang 13 Jahre lang das Blindeninstitut in München geleitet. Aus Bayern brachte der damals 41-Jährige die Idee mit, eine Spezialschule aufzubauen. Bis dahin war es eher üblich, dass dieser Personenkreis auf Sonderschulen mit geistig oder körperlich behinderten Kindern unterrichtet wurde.

Heute – Feser ist seit dem Jahr 2001 Vorstandsvorsitzender der Nikolauspflege – gehören eine Schule mit Internat für schwerstbehinderte Kinder, Kitas und Horte zum Angebot für die Jüngsten, wo auch Sehende aufgenommen werden. Die Inklusion sei ein Gewinn für beide Seiten, so Feser: „Die Blinden und Sehbehinderten können Kontakt mit Sehenden haben, umgekehrt erleben die Sehenden, dass es auch Menschen gibt, die anders sind.“ Außerdem schätzten Eltern die kleinen Klassen, die Ganztagsbetreuung und den musischen Bereich.

Mehrfachbehinderungen nehmen zu

Auch wenn das Ziel der Nikolauspflege ist, ihre Klienten zur Selbstständigkeit zu befähigen, ist die Einrichtung auf den Bedarf von Mehrfachbehinderten, auch über Schule und Beruf hinaus, eingestellt. Es habe vermehrt Anfragen von Eltern gegeben, die sich bei der Einschulung ihres Kindes gefragt hätten: Was wird danach, wenn wir beide alt sind? „Das war der Grund, warum wir auch zu einer Einrichtung für Erwachsene wurden, anfangs auf dem Limeshof in Welzheim.“ Heute gibt es solche Angebote auch an den Standorten Weinheim, Esslingen, Welzheim, Mannheim, Heidenheim und Stuttgart, womit ein weiteres Ziel von Feser erreicht ist: „Gleichwertige stationäre und ambulante Angebote zu machen.“ Die Inklusion hat die Nikolauspflege am Kräherwald an ihre Grenzen gebracht. „Die Neubebauung mit einer Öffnung zum Quartier war mein Herzenswunsch. Wir können dann dort alle sehenden und nicht sehenden Schul- und Kita-Kinder zusammenführen, auch die schwerbehinderten Kinder aus dem Unteren Dornbusch dazu holen“, so Feser. Außerdem stammten die Bauten aus den 70er Jahren mit „viel zu kleinen Räumen für unsere Klassen und sie sind nicht barrierefrei“.

So schnell wie gehofft ging das Bauprojekt allerdings nicht voran. „Ich dachte: das ziehe ich noch vorm Ruhestand durch, es hätte 2020/21 fertig sein sollen“, sagt Feser. Nach heutigem Stand ist die Eröffnung der Neubauten für 38 Klassen erst in vier Jahren geplant. Die Einweihung des 42-Millionen-Euro-Projekts wird Feser als Pensionär erleben, am 1. August geht er in den Ruhestand. Von der Ursprungsidee, wieder nach München zurückzukehren, sei die Familie inzwischen abgerückt; man habe sich sehr gut eingelebt hier. „Jetzt kann ich mir endlich mal Zeit nehmen für meinen Sport, fürs Zeitunglesen. Außerdem haben meine Kinder angefragt, ob ich als ehemaliger Sportlehrer meinen Enkeln das Skifahren und Schwimmen beibringen könnte.“ Feser hat vier Kinder und vier Enkel.

Zeit für die Enkel

Eine Lücke beim Ausbau der Hilfen für sehbehinderte ältere Menschen habe er noch nicht füllen können, sagt Dieter Feser. Darum kümmert sich seine Nachfolgerin Anne Reichmann. Sie studierte in Heidelberg Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, war Schulleiterin im Haus am Dornbuschweg und leitet seit neun Jahren den Geschäftsbereich Frühkindliche und Schulische Bildung.