Bisher werden Temposünder an einem Punkt fotografiert und dadurch überführt. Eine neue Technik erfasst die Fahrzeuge über einen längeren Streckenabschnitt. Das Verfahren hat große Vorteile.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stutrtgart/Hannover - Zumindest in einer Beziehung ist Rainer Hillgärtner, der Sprecher des Auto Club Europa (ACE) von der grün-roten Landesregierung enttäuscht: beim Thema Geschwindigkeitsüberwachung habe Stuttgart die Chance verpasst, eine bundesweite Vorreiterrolle zu spielen, die eigentlich schon mit dem Innenministerium verabredet gewesen sei. Doch statt die Section Control – eine Verkehrsüberwachung über größere Steckenabschnitte hinweg – im Rahmen eines Modellversuchs zu testen, warte die Landesregierung noch darauf, dass der Bund die gesetzlichen Grundlagen für die Methode schafft. Niedersachsen ist dagegen schneller und macht den Pionier – wieder einmal.

 

Denn schon den Führerschein mit 17 hatte Hannover einst im Alleingang einfach geprobt und sich nicht um scheinbar fehlende bundesrechtliche Regeln geschert. Der Erfolg gab den Niedersachsen hernach Recht. Mittlerweile ist der Führerschein mit 17 bundesweit etabliert. Er trägt heute stark dazu bei, die Unfallzahlen der Fahranfänger zu senken.

Haben die Blitzer bald ausgedient?

Der Sicherheit dienen soll auch die „section control“ (Abschnittskontrolle). Bei ihr wird nicht punktuell das Tempo gemessen wie bei einer Radarfalle. Stattdessen wird über einen längeren Bereich die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt, indem sämtliche Fahrzeuge am Anfang und am Ende einer längeren Strecke fotografisch erfasst werden. Ist das errechnete Tempo zum Schluss zu hoch, wird der Verstoß geahndet. Das System hat nach Einschätzung von Fachleuten Vorteile: Es kommt nicht mehr zum plötzlichen Abbremsen an den Blitzern, was zuweilen die Gefahr von Auffahrunfällen noch erhöht. Außerdem sind die Autofahrer eher bereit, diese Art der Überwachung zu akzeptieren, weil eine versehentliche kurzzeitige Tempoüberschreitung dabei nicht ins Gewicht fällt. Dazu kommt, dass die Erfahrungen in anderen Ländern mit der Methode gut sind. In der Schweiz oder Italien gehört das Verfahren zum Alltag. Und die Betreibergesellschaft der österreichischen Autobahnen bilanziert, dass die Unfallzahlen in ihren überwachten Abschnitten stark zurückgegangen sei.

Niedersachsen prescht vor

Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Verkehrsgerichtstag bereits vor fünf Jahren einen Modellversuch mit der Technik gefordert, allerdings nicht einer grenzenlosen Überwachung das Wort geredet. Das Verfahren solle vielmehr nur an gefährlichen Stellen zum Einsatz kommen, also etwa dort, wo es auf einem Kilometer mindestens drei schwere Unfälle innerhalb von drei Jahren gegeben habe. Außerdem sollen Schilder auf die Überwachung hinweisen. Auch dürften die Daten ausschließlich für die Tempokontrolle genutzt werden. Und es müsse garantiert sein, dass Daten über Fahrzeuge, bei denen kein Verstoß festgestellt wird, automatisch und sofort wieder gelöscht werden.

An diese Vorgaben will sich der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius halten. Der SPD-Politiker betont auch, die Bedenken der Datenschützer im Blick auf die von allen Autos gemachten Bilder zu berücksichtigen. Da das System technisch anspruchsvoll ist, kalkuliert das Land Kosten von rund mehreren Hunderttausend Euro je Streckenradar ein. Momentan sucht Hannover noch die geeigneten Strecken für den Versuch. Der soll im nächsten Jahr starten, über 18 Monate laufen und dann wissenschaftlich ausgewertet werden. Womöglich ist Niedersachsen damit ein Trendsetter wie beim Führerschein mit 17. Den hat Baden-Württemberg damals unter Schwarz-Gelb als letztes Bundesland offiziell eingeführt. Das soll sich nach Ansicht des ACE bei der Section Control keinesfalls wiederholen.