Experten empfehlen, pro Tag maximal fünf Gramm Salz zu essen. Doch nun zeigen aktuelle Studien: Natriumsalz ist wohl nicht so gefährlich, wie bislang weithin vermutet wurde. Was ist daran?

Stuttgart - Es soll Bluthochdruck und Infarkte provozieren, dick machen und sogar dem Gehirn schaden. Das Image von Salz in der Ernährung ist ähnlich miserabel wie das von Zucker. Doch aktuelle Studien zeigen: Vermutlich schadet uns Natriumchlorid weitaus weniger als befürchtet. Denn das Problem liegt wohl eher darin, dass unser Speisezettel zu wenig Kalium enthält.

 

Ein internationales Forscherteam um Andrew Mente vom kanadischen Population Health Research Institute hat anhand von Urinproben die Salzverzehrsdaten von knapp 96 000 Menschen ausgewertet und sie mit ihrem Gesundheitszustand verglichen – etwa mit ihrer Herzinfarkt- und Schlaganfallquote. Die Probanden stammten aus 396 Gemeinden in 18 Ländern. Der Erhebungszeitraum betrug acht Jahre, in denen auch die Todesfälle erfasst und in Beziehung mit dem Salzkonsum gesetzt wurden.

Das Ergebnis der Studie zeigt, dass ein hoher Salzkonsum nur dann mit Bluthochdruck und einem erhöhten Schlaganfallrisiko einhergeht, wenn täglich mehr als 12,5 Gramm Salz verzehrt werden. Und das geschieht so eigentlich nur in China, wo 80 Prozent der Gemeinden die Grenze überschreiten. Der übrige Teil der Welt – etwa Polen, Schweden, Kanada und die Türkei – ist davon weit entfernt. In Deutschland kommen Männer im Durchschnitt auf zehn und Frauen sogar nur auf 8,4 Gramm Kochsalz pro Tag. Sie müssen somit nicht befürchten, dass sie ihren Blutdruck damit nach oben treiben.

Salz könnte sogar einen Schutzeffekt für das Herz haben

Doch selbst die in China üblichen Mengen scheinen gar nicht so gefährlich zu sein. Die Adern der starken Salzliebhaber sind zwar einem größeren Druckstress ausgesetzt, doch ihre Sterblichkeit zeigt sich davon unbeeindruckt, besagt ein weiteres Ergebnis der Studie. Die Betroffenen leben im Schnitt trotz höherer Schlaganfallquote genauso lange wie andere Menschen.

Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass ihr Herz nicht so anfällig für Infarkte ist. So resümiert Franz Messerli von der Universität Bern in einem Kommentar zu der Studie: „Offenbar reagieren nicht alle Organe mit gleicher Empfindlichkeit auf Salz.“ Was dem Gehirn schade, müsse dem Herzen noch lange nicht schaden. Im Gegenteil: Der Schweizer Kardiologe geht davon aus, dass Salz einen Schutzeffekt für das Herz hat. Denn bei Tagesdosierungen unter fünf Gramm steigt das Herzinfarktrisiko an.

Doch ist die Studie ernst zu nehmen? Immerhin widerspricht sie der derzeitigen Auffassung der meisten Expertengremien. So empfehlen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sowie die Deutsche Hochdruckliga maximal sechs Gramm und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Obergrenze sogar nur fünf Gramm Kochsalz pro Tag. Außerdem schockierten US-Epidemiologen erst kürzlich mit einer Berechnung, wonach weltweit jährlich 2,3 Millionen Todesfälle auf exzessiven Salzkonsum zurückzuführen seien. Wäre es also möglich, dass die Studie von Mente und seinen Kollegen erhebliche methodische Schwächen hat – oder sogar von der Salzindustrie gefördert wurde? Den Vorwurf der Befangenheit kann man getrost zu den Akten legen, denn keiner der beteiligten 32 Autoren ist bisher als Referent oder Gutachter für die Salzindustrie aufgefallen. Methodisch gibt es auszusetzen, dass der Kochsalzverzehr anhand eines einmalig erhobenen Urinwertes ermittelt wurde, was nicht als sehr präzise gilt. Doch sonst lässt sich wenig beanstanden. „Ich halte die Studie für sehr sorgfältig durchgeführt“, urteilt Messerli. „Das muss man jetzt zur Kenntnis nehmen.“ Ansonsten wäre die Arbeit wohl auch kaum in der renommierten Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlicht worden.

Eine Unterdosierung könnte sogar gefährlicher sein als eine Überdosierung

Außerdem kommen auch andere Forscher immer öfter zu dem Fazit, dass Natriumsalz die Herz-Kreislauf-Gesundheit positiv beeinflussen kann und nur dann schädlich ist, wenn es in sehr großen Mengen aufgenommen wird. So zeigten sich Harvard- und Cambridge-Forscher 2013 geradezu überrascht von den Ergebnissen ihrer Untersuchung, wonach weltweit weitaus mehr Salz als empfohlen konsumiert wird, ohne dass dies die Lebenserwartung sonderlich beeinflussen würde. „Unser Körper braucht Natrium, die Frage ist nur: wie viel?“ betont Mente. So könnten Nerven und Muskeln ohne das essenzielle Mineral schlichtweg nicht arbeiten, vom dauerarbeitenden Herzmuskel wird es geradezu verschlungen. Eine Unterdosierung sei prinzipiell gefährlicher einzuschätzen als eine Überdosierung – sofern die nicht exzessiv wird.

„Zwischen fünf und zehn Gramm, also ungefähr zwei Teelöffeln pro Tag, hat man in der Regel nichts zu befürchten“, sagt Kardiologe Messerli, der noch vor einigen Jahren selbst zu den Ärzten gehörte, die ihren Patienten eine salzarme Kost predigten. In Hongkong hätten Frauen die weltweit höchste Lebenserwartung. Dort verzehre man täglich acht bis neun Gramm Kochsalz, also fast das Doppelte der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Menge.

Deutsche Verbraucher müssen also nicht unbedingt etwas an ihrer Kochsalzzufuhr ändern. Ganz zu schweigen davon, dass dies ohnehin schwierig ist, weil die größten Natriumchloridmengen ja nicht im heimischen Salzstreuer, sondern in industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln lauern, deren Packungsaufschriften mit den Inhaltsstoffen nur die wenigsten lesen. Stattdessen sollte man lieber die Kaliumzufuhr im Auge behalten. Denn dort – genauer gesagt im Kaliummangel – scheint der wahre Feind der Gesundheit zu liegen. „Herz-Kreislauf-Probleme sanken genau dort, wo wir einen erhöhten Kaliumkonsum beobachten konnten“, berichtet Mente. Was nicht weiter verwundert, weil dieses Mineral bei der Muskel- und Nervenarbeit als Gegenspieler zu Natrium arbeitet. Die Tagesdosis von Kalium sollte über vier, am besten über 4,5 Gramm täglich liegen. Das schafft man beispielsweise mit Mittelmeerkost, die reichlich frisches Gemüse und Olivenöl sowie Pistazien, Mandeln und Walnüsse enthält.

Info: Salz verleitet indirekt zu mehr Zuckeraufnahme

Soft-Drinks Auch wenn Salz vermutlich weniger schädlich ist als befürchtet: Es kann indirekt eine ungesunde Ernährung fördern. Salz fördert Durst – und den lindern gerade Kinder oft mit zucker- und kalorienreichen Soft-Drinks.

Der englische Kardiologe Graham MacGregor von der Queen Mary University in London hat ausgerechnet, dass eine Reduktion der täglichen Salzzufuhr um ein Gramm dazu führen würde, dass Kinder 100 Gramm weniger Flüssigkeit brauchen. Rund 27 Gramm davon nehmen sie in Form von süßen Getränken zu sich. Wäre im Kinderessen nur die Hälfte der üblichen sechs Gramm Kochsalz, würden sie 250 Kilokalorien weniger pro Woche konsumieren.