Die Leichen einer 52-Jährigen und ihres Sohnes werden in einer Wohnung in Hannover gefunden. Rechtsmediziner gehen davon aus, dass der Familien-Hund die beiden zu Tode biss. Waren sie zu schwach, den Angriff abzuwehren?

Hannover - Am Tag nach der blutigen Hunde-Attacke in einem Wohnblock in Hannover herrscht bei den Nachbarn Fassungslosigkeit. Kamerateams haben sich vor dem Eingang des siebenstöckigen Mietshauses versammelt, auch in der nahegelegenen Eisdiele am Roderbruchmarkt ist der tragische Tod einer 52-Jährigen und ihres 27 Jahre alten Sohnes Gesprächsthema. Die Schwester des jungen Mannes hatte am Dienstagabend vom Balkon aus ihren Bruder leblos in der Wohnung liegen sehen und die Polizei alarmiert. Dabei warnte sie vor dem Staffordshire-Terrier-Mischling. Als die Ermittler die Tür zur Wohnung aufbrachen, entdeckten sie auch die Leiche der 52-Jährigen. Der Hund wurde von Feuerwehrleuten mit einer Schlinge eingefangen und zunächst in ein Tierheim gebracht.

 

Um die Hintergründe der Tragödie aufzuklären, ordnete die Staatsanwaltschaft die Obduktion der Leichen an. Nach Einschätzung von Rechtsmedizinern wurden Mutter und Sohn totgebissen - über die Zahl der Bisse oder Art der Verletzungen gab es bisher keine Auskunft. Auf dem Balkon der Getöteten stehen am Mittwoch ein kleines rotes Fahrrad und Reste von Silvesterböllern. Ein Hundehaufen wurde noch nicht weggefegt. Nachbarn erzählen, dass der 27-Jährige seit seiner Kindheit schwer krank war. „Er hatte eine Figur wie ein 13-Jähriger und ist nur nachts mit dem Hund rausgegangen.“

Frühere Übergriffe nicht bekannt

Chico habe in der Wohnung immer laut gebellt, frühere Übergriffe seien ihnen aber nicht bekannt, sagen die Nachbarn, die den Hund auf etwa acht Jahre schätzen. Auf dem Rasenstück hinter dem Haus spielen am Mittwoch zwei kleine Jungen Fußball. Früher habe Chico hier auch herumgetobt, berichtet ein Anwohner. Die 52-Jährige sei oft von ihren Töchtern spazieren gefahren worden. Ein gewalttätiger Mann soll sie in den Rollstuhl gebracht haben.

Aus Sicht vieler Menschen im Viertel waren Mutter und Sohn mit dem Hund völlig überfordert. Chico soll in einem Stahlzwinger im Zimmer des 27-Jährigen gelebt haben. „Das Problem liegt immer am anderen Ende der Leine“, sagt eine 61-Jährige. Sie selbst sei auch schon im Stadtteil von einem Kampfhund angefallen worden. „Der hat danach einen Maulkorbzwang bekommen.“

Die Stadt Hannover muss nun entscheiden, ob Chico nach der tödlichen Attacke auf sein Herrchen und Frauchen eingeschläfert wird. Im Tierheim lag er am Mittwoch apathisch in seinem Zwinger.

Regeln für gefährliche Hunde verschärft

Vor 18 Jahren hatten zwei Kampfhunde in Hamburg den sechsjährigen Volkan zu Tode gebissen - bundesweit wurden danach die Regeln für gefährliche Hunde verschärft. Studien zufolge werden Hunde meistens auffällig, wen sie mit sehr viel Druck und Gewalt erzogen werden. „Ein Staffordshire-Terrier ist nicht gefährlicher als ein Labrador“, betont Dunia Thiesen-Moussa, die an der Tierärztlichen Hochschule Hannover eine Verhaltensmedizinische Sprechstunde anbietet. „Man kann Hunde allerdings darauf trainieren, Artgenossen zu verletzen oder gar zu töten“, räumt die Tierärztin ein.

In Niedersachsen ist die potenzielle Gefährlichkeit eines Hundes seit 2003 nicht mehr an die Rasse gekoppelt. Wer einen Hund neu anschafft, muss eine theoretische und praktische Sachkunde-Prüfung ablegen. „Damit setzen wir auf die Schulung des Halters und verzichten auf pauschale Rasselisten“, sagt Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast. Die CDU-Politikerin nennt die Beißattacke ein „schreckliches Unglück“.

Im zentralen Hunderegister sind nach Angaben des Agrarministeriums in Hannover zurzeit 348 504 Hunde gemeldet, nur 460 oder 0,1 Prozent davon wurden als gefährlich eingestuft. Am häufigsten wurde Gefährlichkeit bei Mischlingen festgestellt (130 Fälle), in 52 Fällen bei Schäferhunden und in 30 Fällen beim American Staffordshire Terrier, der gemeinhin als Kampfhund gilt.