Blutsverwandtschaft hat über Jahrhunderte unser gesellschaftliches Zusammenleben strukturiert. Die Unsicherheit des Vaterschaftsbeweises war ein Grund für die Etablierung des Patriarchats. Heute erfährt der Glaube daran eine tiefgehende Verunsicherung. Ein Gastbeitrag von Christina von Braun.

Berlin - Was Verwandtschaft ist, erscheint eindeutig: Verwandt sind Menschen, die eine gemeinsame leibliche Herkunft – also dieselben Gene – haben. Bevor die Gene ein Begriff waren, sprach man von Blutsverwandtschaft. Dieses Verständnis von Verwandtschaft ist keineswegs universell. In vielen anderen Kulturen konstituiert sich Verwandtschaft durch soziale Bindungen – denselben Boden zu bearbeiten, von demselben Herd ernährt zu werden oder Verantwortung für einander zu übernehmen. Diese Vorstellung war auch im Denken der christlichen Gesellschaft neben dem Konzept der Blutsverwandtschaft lange präsent gewesen. Darauf verweist das englische Wort für Verwandte, relatives (von relation, Beziehung): Verwandte sind Menschen, mit denen man in Beziehung steht.