Ein 60-Jähriger ist eigens aus Australien angereist, um seine Ehefrau zu töten. Er hält seine Tat für Notwehr. Nicht sein Leben, sondern sein Vermögen wollte der Angeklagte schützen – gegen das Scheidungsrecht.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Das ist so ganz anders, als man es sich vorstellt.“ Den Satz spricht der Angeklagte in diesem Mordprozess. Er hatte sich den Tod seiner Ehefrau anders vorgestellt. Er dachte, dass sie nach seinem ersten Messerstich in den Hals bewusstlos zusammenbrechen würde. Stattdessen hörten noch die Wartenden an der nächsten Bahnhaltestelle die Schreie der 57-Jährigen. Zeugen versuchten vergeblich, den Mann an weiteren Stichen zu hindern. Der tödliche „war der letzte“, sagt der Angeklagte, „der hat’s gemacht“. Erst als ein Polizist mit einer Maschinenpistole vor ihm stand, ließ er das Messer fallen. Eigentlich hatte er die Leiche noch fotografieren und das Bild dem Scheidungsanwalt seiner Frau schicken wollen. Sie starb drei Tage später.

 

Der 60-Jährige Auswanderer hatte die Tat lang geplant. Er war für sie von Australien nach Deutschland geflogen. Er hatte an jenem Morgen des 5. November 2018 zweieinhalb Stunden in einem Mietwagen gewartet, bis seine Frau auf einem Parkplatz in Sindelfingen zu ihrem Auto kam, einem grellroten Kleintransporter. Damit sie ihn nicht sofort erkennt, hatte er sich einen schwarze Faschingsperücke gekauft, in einem Laden, der nur ein paar hundert Meter vom jetzigen Verhandlungsort entfernt ist, dem Stuttgarter Landgericht.

Der Angeklagt leugnet nicht, dass er töten wollte

Der Angeklagte hat nie versucht zu leugnen, dass er töten wollte. Er versucht auch nicht, seine Strafe zu mildern, indem er sich für unzurechnungsfähig erklären lässt. Dem Gespräch mit dem Gerichtspsychiater Peter Winckler verweigert er sich. „Mit Ihnen nicht“, sagt er dem Gutachter, von dessen Urteil das Strafmaß wesentlich beeinflusst werden dürfte.

Der 60-Jährige fordert seinen Freispruch. Er habe in Notwehr getötet. Nicht sein Leben wollte er schützen, sondern sein Vermögen. Mit Immobiliengeschäften hatte er das Erbe seiner Eltern bis zur Höhe von 3,8 Millionen australischer Dollar gemehrt, umgerechnet 2,4 Millionen Euro. Seine Frau wollte die Scheidung. Danach hätte ihr etwa die Hälfte des Geldes zugestanden. „Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“, sagt der 60-Jährige, „die Tat war geboten“. Nicht für sich, für die gemeinsamen drei Kinder habe er das Geld vor dem Vater seiner Ehefrau retten wollen. „Natürlich hätte ich ihr Leben erhalten sollen, aber ich sollte auch das Erbe erhalten“, sagt der 60-Jährige, „das war eine Pflichtenkollision“.

Der schwarze Anzug lag wegen des Prozesses im Koffer

Die Folgen waren dem Angeklagten bewusst. Wofür er einen schwarzen Anzug im Gepäck gehabt habe, will der Staatsanwalt Wolfgang Friedrich wissen. „Für heute“, sagt der 60-Jährige und zupft an seinem Kragen. Er habe nie daran geglaubt, zurück zu fliegen, jedenfalls nicht, ohne sich einem Gerichtsprozess zu stellen.

Der Mann scheint geradezu der Gegenentwurf zu einem typischen Gewalttäter. Der 60-Jährige ist in Hamburg in gehobenem Elternhaus aufgewachsen. Der Vater war ein renommierter Versicherungsjurist. Er selbst hat Physik studiert. Seine Diplomarbeit schrieb er über Kraftwerksemissionen. Wegen des Nato-Doppelbeschlusses entschied er sich 1984, mit seiner späteren Ehefrau nach Australien auszuwandern. Dort arbeitete er als Lehrer für Naturwissenschaften. Fragen des Gerichts beantwortet er gelegentlich mit Zitaten aus Gedichten von Friedrich Schiller. Er scherzt auch ab und an: „Heute vor 35 Jahren sind wir in Australien angekommen, kriege ich jetzt ein Geschenk?“

Seine Ehe beschreibt der 60-Jährige als Martyrium

Noch kurz vor der Tat hatte er seine Ehefrau gebeten, sich auf einen Kompromiss zu einigen. Dies per Handynachricht in zwar eindringlichen, aber ebenso wohl gewählten wie höflichen Sätzen. Vor Gericht spricht er von seiner Ehefrau anders: „Sie war eine Nutte“, sagt der 60-Jährige. Seine 34 Jahre währende Ehe beschreibt er als Martyrium. „Das war die allerschlimmste Männermisshandlung, mich zu unterdrücken, war ihr ein sportliches Vergnügen.“ Wegen der Scheidungsgesetze habe er sich nicht wehren können. Nach seiner Rechnung hätte nicht er seiner Frau Geld überweisen müssen, sondern sie ihm. Auf umgerechnet 2,5 Millionen Euro rechnet der Angeklagte die Summe hoch, die seine Frau ihn im Verlauf der Ehe gekostet habe.