Yanqing - Die Welt ist nicht genug. Der Titel des James-Bond-Filmes ist der Anspruch von Francesco Friedrich, wenn er in einen Bob springt. Der Sachse will in seiner Karriere sämtliche Bestmarken übertreffen, die ein anderer aufgestellt hat. Auf der Bahn in Yanqing hat der 31-Jährige am Schlusstag der Winterspiele mit großem Werkzeug kräftig an seinem Status für die Ewigkeit gebastelt.
Friedrich gewann Gold im Vierer mit dem stattlichen Vorsprung von 37 Hundertstelsekunden auf den Berchtesgadener Johannes Lochner, der für den Bobclub Stuttgart-Solitude startet. Friedrich ist der erste Bobpilot, dem es gelungen ist, zweimal in Folge bei Olympia sowohl die Zweier- als auch die Vierer-Konkurrenz zu dominieren. „Diese Bestmarke ist jetzt gerade für mich völlig uninteressant“, entgegnete er jedoch, „erst mal ist mir eine Last von den Schultern gefallen – zwei von den Jungs hatten noch keine Medaille, und ich wollte alles tun, damit sie auch eine bekommen.“ Er meinte damit natürlich Gold, nicht Silber oder Bronze.
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Jetzt gerade, sagte er, sei diese Bestmarke uninteressant. Aber schon morgen wahrscheinlich nicht mehr. Denn Francesco „Franz“ Friedrich ist ein Perfektionist, der immer und überall das Beste will. Mit vier Goldmedaillen sowie insgesamt 13 WM-Triumphen (in beiden Schlitten) thront der Mann aus Pirna in der Liga der Erfolge über allen Bobfahrern. 66-mal stand er im Weltcup ganz oben, im Januar feierte er in Winterberg seinen 100. Podestplatz. Der Rennfahrer vom BSC Oberbärenburg aus dem Erzgebirge war im Kalenderjahr 2021 im Zweier und Vierer unbesiegt, erst im Januar rissen beide Serien. Rekorde über Rekorde liegen auf seiner Route. „Er ist der Beste“, sagte Bundestrainer Rene Spies, „ich bin seit 30 Jahren dabei, ich kennen viele, auch der André Lange war der Wahnsinn – aber der Franz ist noch eine Nummer obendrauf.“ Es ist das Zusammenspiel von mehreren Faktoren, die Friedrich über die Konkurrenz erheben.
Ein unermüdlicher Arbeiter
Punkt eins: Der 31-Jährige ist ein unermüdlicher Arbeiter, selbst um kleine Details kümmert er sich intensiv. „Für andere mag das manchmal schwierig sein, aber im Allgemeinen bin ich ein unkomplizierter Typ, der mit den meisten Leuten gut auskommt“, erzählte er. Nur wenn es ums Bobfahren geht, hat er eine ganz genaue Vorstellung von alldem, was gefordert ist. Nach dem Doppel-Olympiasieg gab er allerdings zu, dass eine kleine Pause dringend nötig sei. Besonders die Coronalage habe die gesamte Mannschaft sehr belastet. „Es wäre der Super-GAU gewesen, wenn sich einer oder mehrere infiziert hätten und damit alles vorbei gewesen wäre“, meinte Friedrich.
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Punkt zwei: Das Bobteam Friedrich zählt zu den besten Startern, was im Wettkampf um Hundertstel im Eiskanal ein immens wichtiger Erfolgsfaktor ist – nur beim Start kann man aktiv beschleunigen, in der Bahn kann der Fahrer nur so agieren, dass er durch Fahrfehler keine Geschwindigkeit verliert. Deshalb werden die Sitzpositionen hinter Friedrich im Windkanal festgelegt. Dabei werden die beiden Hauptfragen beantwortet: Welche Reihenfolge ist aerodynamisch die Beste? Wer steigt von welcher Seite am geschicktesten ein?
Experte und experimentierfreudig
Punkt drei: Der viermalige Olympiasieger ist ein Experte bezüglich des Materials und kann den vom Institut für Forschung und Entwicklung (FES) hergestellten Bob weiterentwickeln. In einem Vierer-Training in Yanqing landete Friedrich überraschend am Ende des Klassements. „Wir sind experimentierfreudig“, erklärte er, „da kann schon einmal nur die 25. Laufzeit rauskommen. Wer nicht wagt, kann nicht gewinnen.“ Die Kufen der Schlitten sind Spezialanfertigungen aus Holstein.
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Punkt vier: Friedrich gilt als hervorragender Teamführer. Neben den in Yanqing mit Gold dekorierten Anschiebern Alexander Schüller, Thorsten Margis und Candy Bauer gehören auch Martin Grothkopp, Florian Kunze und Alexander Rödiger zur Truppe. „Ich muss mich bei meinen Jungs bedanken, das waren super Startzeiten“, sagte Friedrich. Die Teammitglieder erhalten in der Saison erfolgsabhängige Prämien: für die beste Startzeit 200 Euro, die beste Laufzeit 300 Euro. Die Mannschaft trifft sich regelmäßig, es werden Leistungsdaten überprüft und Trainingsinhalte besprochen.
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Punkt fünf: Was Friedrich an fahrerischem Talent fehlt, macht er durch Arbeit und Training wett. Spies hält ihn nicht für den begnadetsten Piloten, aber den wohl fleißigsten. Friedrich arbeitet so hart an seiner Performance, bis sie höchsten Ansprüchen genügt. „Franz ist stets auf den Punkt in Form“, sagte der Bundestrainer, „er ist der Killer im richtigen Moment.“
Es gibt tatsächlich noch eine Marke, die sich der Perfektionist aus Pirna noch nicht gesichert hat. André Lange ist mit vier Gold- und einer Silbermedaille bei Olympia der erfolgreichste Bobfahrer. Diesen Rekord könnte sich Francesco Friedrich in Cortina in vier Jahren holen. Natürlich macht er weiter bis dahin. Denn: Die Welt ist nicht genug.