Bob Geldof braucht kein Stargehabe, er ist einer. Sein beeindruckender Auftritt bei Leonpalooza-Festival hat viele Nebenschauplätze.

Die Nacht vor dem großen Auftritt ist kurz – oder lang, je nachdem wie man es sieht. Um 23.59 Uhr – mit anderthalb Stunden Verspätung und eine Minute vor Beginn des Nachtflugverbots – setzt in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag der British-Airways-Flug BA 922 von London-Heathrow in Stuttgart auf. Prominentester Gast an Bord: Bob Geldof.

 

Auf den irischen Altmeister und seine Musiker wartet bereits Carsten Neugebauer. Der Mitarbeiter der Leonberger Stadthalle chauffiert Geldof und seine Band direkt zum Leonpalooza-Festivalgelände, wo bereits ein Buffet gerichtet ist. Die Musiker haben Hunger und Durst, bis vier Uhr wird die Ankunft in Leonberg gefeiert. Nur der Chef zieht sich früher ins benachbarte Amber-Hotel zurück.

Die Instrumente fehlen

Ermüdungserscheinungen sind der Band, die sich vornehmlich aus Musikern der Boomtown Rats zusammensetzt, wenige Stunden später, am Donnerstagabend, allerdings nicht anzumerken. Dabei ist der feucht-fröhliche Einstieg des Leonberg-Gastspiels nicht die einzige Besonderheit, mit der sich die Crew und das Team um den Festival-Chef Nils Strassburg auseinandersetzen müssen.

Bummel durch die Altstadt

Bob Geldof, der die Welt kennt und mit ihr die große Not vielerorts, will nicht nur einfach in einer Stadt spielen, er will sie auch erleben. So nutzt der Mitinitiator des legendären Live-Aid-Festivals, das vor 37 Jahren die Menschheit bewegte, den Tag für einen Bummel durch die Leonberger Altstadt.

Ein Mittagessen beim Edel-Japaner, ein Gang über den pittoresken Marktplatz mit Brunnen und durch den Renaissancegarten hinterm Schloss – so etwas gefällt dem Iren, der sein musikalisches Wirken auch stets mit politischen Botschaften verbindet.

Kurzes Gedenken an die Opfer von Uvalde

Entsprechend begrüßt Geldof seine Fans am Abend in Deutsch: „Guten Abend, meine Damen und Herren in Leonberg, willkommen meine deutschen Freunde.“ Er startet sanft mit dem „Great Song of Indifference“, seiner Hymne gegen die Gleichgültigkeit, und setzt damit schon einer erste politische Botschaft. Geldof, ganz in weiß und mit Sonnenbrille, und seine Musiker sind gut drauf. Die Geige im musikalischen Repertoire unterstreicht die irische Herkunft, der Sound ist entspannt, Geldof, immerhin schon 70, ruht in sich selbst.

Das Publikum setzt sich vor allem aus jener Generation zusammen, die schon bei Live Aid vor den Bildschirmen der Analogfernseher Partys gefeiert hat. Sie singen mit, sie tanzen, sie sind ihrem Star ganz nah. Festival-Macher Strassburg hat recht, wenn er sagt, dass die Gäste bei Leonpalooza selbst Weltstars in einer familiären, fast intimen, Atmosphäre erleben können.

Und Bob Geldof ist ein Weltstar. Einer, der kein Gehabe nötig hat. Den Meister stört es nicht, wenn die Fans direkt an die Bühne kommen und mit dem Handy filmen, was das Zeug hält. Er zeigt, dass er zu den Großen gehört.

Beim Klassiker „I Don’t Like Mondays“ etwa. Der Song über eine 16-Jährige, die 1979 in San Diego zwei Menschen erschossen und acht weitere verletzt hat, kommt musikalisch locker flockig daher. Plötzlich stoppt der Chef seine Band. Es ist für einen Moment unheimlich still. Dann erinnert er an den Amoklauf vom Mai in Texas, bei dem 19 Grundschulkinder ermordet wurden. „Amerika ist eine gestörte Gesellschaft“, sagt er seinem Publikum. Die Band spielt weiter.

Durch und durch politisch

Bob Geldof ist ein durch und durch politischer Musiker, der fast alle Stücke mit einer Aussage verbindet. Den Boomtown-Rats-Hit „Banana Republic“ definiert er als brandaktuelle Absage gegen aufkeimenden Nationalismus. In „Rat Trap“ geht es um einen Jungen, der seine düstere Stadt wie eine Rattenfalle empfindet.

Das Auditorium ist hin und her gerissen zwischen Partystimmung und Bewunderung für einen Musiker, der ein professioneller und mitunter schriller Frontmann ist, andererseits auf der Bühne eine natürliche Autorität ausstrahlt. Sein politisches Engagement kommt alles andere als künstlich rüber, eben weil er die Freude am Leben und an der Musik nicht verliert.

So gönnt die musikalisch hervorragende Band ihren Fans in Leonberg ein ausführliches Zugabe-Set, das mit einer rockigen Variante des Openers endet – dem Song gegen die Gleichgültigkeit. „Tschüss, Leonberg“, sagt der Chef noch, bevor zu einem Schluck Wein in die Garderobe verschwindet. Ein fürwahr außergewöhnlicher Abend.