Bob Hanning von den Füchsen Berlin „Beim TVB Stuttgart haben wir die Meisterschaft verschenkt“

Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning kam erst zum European-Leauge-Endspiel nach Flensburg, beim Halbfinale am Samstag war er als Coach für den VfL Potsdam gegen Balingen im Einsatz. Foto: IMAGO/Eibner/IMAGO/Eibner-Pressefoto/Marcel von Fehrn

Bob Hanning gewinnt mit den Füchsen Berlin den Titel in der European League. Vor dem Handball-Bundesligaspiel bei Frisch Auf Göppingen spricht der Geschäftsführer über das Meisterschaftsrennen, die Trainerdiskussion über Alfred Gislason und den 1. FC Heidenheim.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Die Füchse Berlin haben mit dem Gewinn der European League erstmals seit fünf Jahren wieder einen Titel geholt. Jetzt will der Handball-Bundesligist noch versuchen, die Champions League zu erreichen. Geschäftsführer Bob Hanning schätzt vor dem Spiel bei Frisch Auf Göppingen (4. Juni, 16.05 Uhr/EWS-Arena) die Lage ein.

 

Herr Hanning, bringen Sie den Europapokal am Sonntag mit nach Göppingen?

(lacht) Um ihn nach dem Final Four in Flensburg noch einmal auszuspielen? Als zweite Chance für Frisch Auf? Nein, den behalten wir, zumal ihn uns Göppingen 2017 beim EHF-Pokal-Finale in der EWS-Arena weggeschnappt hatte.

Was bedeutet der Titel für die Füchse?

In einer Stadt wie Berlin sehr, sehr viel. Wir haben ungemein viel Spitzensport hier: Basketball, Eishockey, Volleyball, zweimal Fußball. Um uns zu behaupten, brauchen wir solche Erfolge, zudem tut er uns nach fünf Jahren Titelpause richtig, richtig gut.

Ihr Lieblingsclub Hertha BSC spielt jetzt allerdings nur noch in der zweiten Liga, eine Klasse unter dem 1. FC Heidenheim.

Das tut mir in der Seele weh, aber gerade das Beispiel Heidenheim zeigt ja, wie faszinierend der Sport ist. Dieses Gefühl, diesen Erfolg kannst du nicht in einer Tüte im Supermarkt kaufen.

Die Teilnahme an der sehr lukrativen Club-WM in Doha auch nicht. Haben die Füchse eine Chance, dabei zu sein?

Die Anfrage beim Weltverband geht mit Sicherheit raus. Wir hoffen sehr, dass wir im September am Start sein dürfen. Aber sicher ist das nicht.

Für die deutsche Meisterschaft wird es bei vier Punkten Rückstand auf den THW Kiel nicht mehr reichen.

Sicher nicht, auch deshalb war der Europapokalsieg so wichtig. Es war unsere letzte Titelchance, die wir souverän genutzt haben.

„Druck auf SCM hochhalten“

Ihr Team lag lange Zeit sehr aussichtsreich im Meisterschaftsrennen. Warum hat es nicht gereicht?

Wir haben uns selbst rausgekegelt. Mit dem Patzer beim TVB Stuttgart haben wir die Meisterschaft verschenkt, mit der Niederlage beim Bergischen HC die Teilnahme an der Champions League so gut wie verspielt. Um die Minichance zu wahren und den Druck auf den SC Magdeburg hochzuhalten, müssen wir unbedingt in Göppingen gewinnen.

Bei den Aussetzern haben Sie die Blamage bei Absteiger Minden vergessen.

Das war relativ früh in der Saison, so etwas sollte nicht passieren, kann aber passieren. Es war ärgerlich, aber nicht entscheidend.

Wo liegen die Gründe für diese Blackouts?

Wir haben nicht die nötige Konsequenz und Körperlichkeit gezeigt, wir sind in diesen Spielen der Situation entsprechend nicht angemessen aufgetreten.

Wie sehr greift in solchen Fällen ein Bob Hanning ein?

Ich werde nicht zum Rumpelstilzchen, das während einer Saison in Aktionismus verfällt. Dafür ist unsere Sportliche Leitung mit Vorstand Stefan Kretzschmar und Trainer Jaron Siewert auch zu gut.

„Jaron ist kein Emotionsbolzen“

Ihr erst 29 Jahre alter Coach wirkte auch beim Final Four in Flensburg sehr introvertiert.

Jaron ist kein Emotionsbolzen und schon gar kein Selbstdarsteller. Er geht die Dinge sehr analytisch an. Der Erfolg gibt seiner Arbeitsweise recht.

Stichwort Arbeitsweise. Wie schaffen Sie es, nebenher den VfL Potsdam zu trainieren und beim Zweitligisten noch eine weitere Saison dranzuhängen?

Wir spielen eine super Saison, die riesig Spaß und einfach Lust auf mehr macht. Dieses tolle Projekt möchte ich stabilisieren. Und natürlich geht das nur mit einem funktionierenden Team, das mir vieles abnimmt. Aber ich muss zugeben: In der Phase, als ich acht Wochen lang den kranken Jaron Siewert als Trainer vertrat, war das Raubbau am Körper.

Also keine Rückkehr in ein vielleicht etwas ruhigeres Amt beim Deutschen Handballbund?

Sicher nicht, wenn ich etwas zu sagen haben, sage ich das auch so. Ohne etwas weichzuspülen. Im Sinne unserer Sportart.

Wie zuletzt in einem Interview, als Sie klar sagten, dass unter Bundestrainer Alfred Gislason… 

…nichts besser geworden ist gegenüber der Zeit unter seinem Vorgänger Christian Prokop. Das heißt aber nicht, dass ich gegen Alfred bin. Im Gegenteil: Die Trainerdiskussion, die von manchen geführt wird, macht doch so kurz vor der Heim-EM im kommenden Januar, mit nur noch ganz wenigen Trainingseinheiten, überhaupt keinen Sinn. Wirklich nicht. Dagegen beschäftigt mich etwas anderes viel mehr.

„Nationalmannschaftstourismus tut nicht gut“

Bitte.

Dieser Nationalmannschaftstourismus tut uns nicht gut. Es kann doch nicht sein, dass die Spieler selbst entscheiden, wann und wie sie in der Nationalmannschaft spielen sollen. Dass das fahrlässig ist, habe ich Alfred klar und deutlich gesagt. Noch immer ist unklar, ob Spieler wie Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek oder Fabian Wiede, die uns ohne jeden Zweifel gut tun würden, bei der Heim-EM spielen. Dabei hätte man das schon vor einem halben Jahr zwingend klären müssen. Genauso hätte ich das im Übrigen auch gesagt, wenn ich noch im DHB-Präsidium sitzen würde.

Ihr Amt wurde nach Ihrem Rückzug nicht besetzt. Deshalb taucht immer wieder das Thema Nationalmannschaftsmanager auf. Sie brachten Stefan Kretzschmar ins Spiel.

Ich wurde gefragt und habe gesagt, dass Kretzsche ein Topmann ist. Das ist ja auch der Grund, warum ich ihn zu den Füchsen geholt habe. Aber die Nationalmannschaft steht nun mal über allem. Deshalb hatte ich 2014 auch Dagur Sigurdsson als Bundestrainer vorgeschlagen, obwohl er Füchse-Trainer war. Doch es gibt nicht nur Kretzsche, es gibt auch noch andere fähige Leute.

An wen denken Sie?

Es muss jemand sein, der in der Liga Anerkennung genießt und die Leute vereinen kann. Sven-Sören Christophersen und Benjamin Chatton fallen mir da ein – oder auch ein Pascal Hens.

Würde die DHB-Auswahl mit einem Manager denn besseren und erfolgreicheren Handball spielen?

Es geht um die Vermarktung der Sportart, um eine bessere Koordinierung. Das Thema Reaktivierung von Spielern ist zum Beispiel sehr vielschichtig. Da bedarf es vieler Diskussionen mit verschiedenen Personen, nicht zuletzt mit den Vereinsverantwortlichen.

Was erwarten Sie von den kommenden Heim-Titelkämpfen?

Ich erwarte, dass die deutsche A-Nationalmannschaft bei der EM im Januar 2024 eine Euphorie entfacht und ins Halbfinale kommt. Ganz sicher bin ich, dass unsere Junioren bei der WM im Juni Gold holen. Da wäre ich bereit, zu wetten.

Wenn wir schon bei Prognosen sind: Wer wird deutscher Meister?

Der THW Kiel, und der SC Magdeburg gewinnt die Champions League. Wir sind European-League-Sieger – und das alles zeigt, dass wir die beste Liga der Welt sind.

Zur Person

Karriere
Bob Hanning wurde am 9. Februar 1968 in Essen geboren. Nach zahlreichen Trainerstationen übernahm er 2005 den insolventen Hauptstadtclub Füchse Berlin und führte ihn als Manager in die Bundesliga und in die Champions League. Von 2013 bis Oktober 2021 war der frühere Assistent von Heiner Brand Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB).

Persönliches
Hanning ist ledig, als seine Hobbys bezeichnet er selbst den 1. VfL Potsdam, den er als Trainer in die zweite Liga führte, Theater, Pferde und (schrille) Pullover. (jüf)

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