Friedrich Klumpp lässt Gäste an Buchenblättern knabbern, vom Adlerfarn, Schlangenknöterich, Mädesüß naschen und zarte Triebe kosten. Eine Wanderung mit dem Baiersbronn Koch und lauter natürlicher Zutaten.

Baiersbronn - Schnell geht es um Badezusatz, Mäusefabeln und Weißtannen. Es geht um das Leben, seine Vergänglichkeit und die wenige Zeit, die wir haben. Schwere Kost zu früher Stunde. Die Sonne spickt noch nicht lange durch den blassblauen Himmel, Nebel steigt aus den Wiesen. Die Luft in Baiersbronn ist so klar an diesem milden Aprilmorgen, so leicht und unverbraucht, dass man meinen könnte, die Welt sei eben erst entstanden.

 

Friedrich Klumpp, 48, bleibt stehen, schaut ins Tal, klettert dann in seiner blitzsauberen Kochjacke eine Böschung empor und rupft ein Büschel Spitzwegerich ab. „Die Blüten schmecken wie Champignons, davon kann man eine Suppe herstellen, ohne einen einzigen Pilz zu verwenden – das gefällt den sparfuchsigen Schwaben.“

Der Koch auf den Wiesen oberhalb der Schwarzwaldgemeinde versetzt hier niemanden in Erstaunen. Die Einheimischen grüßen freundlich. Man kennt sich. Sein Wunsch, „die Enge der Küche“ seines Hotels zu verlassen, sein Drang, seinen Gästen etwas Besonderes zu bieten, seine Freude an regionaler Flora und Fauna haben Klumpp zu den Wildkräutern gebracht. Schnell entwickelte sich daraus die Idee zu Schlemmerwanderungen, die ein großer Erfolg wurden und mittlerweile schon über Monate hinweg ausgebucht sind.

Empfangen wird der Teilnehmer im Salon wildromantischer Natur mit einem Holunderblütensekt, dann geht es durch Wald und Flur. Es wird an jungen, knackigen Buchenblättern geknabbert, die leicht säuerlich schmecken und prima als Salatbeigabe geeignet sind. Es wird haltgemacht an plätschernden Bächen, dabei Sauerklee, Wiesenthymian oder Adlerfarn verkostet. Und es wird an den Blüten des Mädesüß geschnuppert, die verführerisch nach Mandeln und Honig duften und einen Wirkstoff enthalten, aus dem früher ein Mittel gegen Kopfschmerzen gemacht wurde.

Brot mit Frischkäse und Brunnenkresse

An dieser Station serviert Friedrich Klumpp ein knuspriges Baguette mit Hirschschinken und Mädesüß-Sahne. An anderer Stelle wird Brot mit Frischkäse und Brunnenkresse gereicht. Dabei handelt es sich natürlich nicht um Kraut aus dem Gewächshaus: Hier wird die unberührte Naturversion geboten, so würzig und scharf, dass beim Essen kurz die Nasenflügel flattern. „Die Gäste sind überrascht von der Vielzahl an intensiven Geschmäckern. Die Exotik einer gewöhnlichen Wiese ist so viel größer als die eines gut sortierten Supermarkts.“

Friedrich Klumpp ist kein lauter Mensch. Stets spricht er in gelassenem, heiterem Ton. Umso gespannter lauscht man ihm. Freiherzig bewirtet der Wanderkoch die Gäste aus einem Kelch umfangreichen Wissens, nicht oberlehrerhaft, immer mit Humor und Respekt vor der Natur. Und so manchem Gast wird dabei schmerzlich klar, dass er mehr von Download-Funktionen als von Fotosynthese versteht.

„Oft sehe ich auch glänzende Augen bei älteren Menschen, die über diese Naturschätze früher gut Bescheid wussten, aber vieles wieder vergessen haben. Da kommt ein Stück Kindheit zurück“, sagt Klumpp. Manche schreiben, dass sie den Wald nach der gemeinsamen Exkursion mit anderen Augen sehen. „Das macht mich glücklich.“

Er erzählt eine Fabel: Eine Mäuseschar wirtschaftet emsig das ganze Jahr hindurch. Die Tiere horten Lebensmittel, schaffen sie angestrengt unter die Erde. Nur eine Maus liegt herum, lässt sich die Sonne auf den Pelz scheinen und sammelt lieber „Geschichten, die der Wind erzählt“. Im langen Winter haben die Mäuse dann eine volle Speisekammer, aber in der Dunkelheit und Kälte werden sie traurig. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir mit unserer Zeit falsch wirtschaften“, sagt Klumpp. Im Mäusebau sei es ja am Ende der Querdenker und Tunichtgut, der die anderen vor der Depression bewahrt mit seinen Geschichten vom Sommer.

Schwarzwaldmomente für düstere Zeiten

Deswegen will Klumpp den Teilnehmern nicht nur die Bäuche mit extravaganten Lebensmitteln füllen, sondern ihnen auch ein bisschen Seelennahrung mit auf den Heimweg geben. Schwarzwaldmomente als Proviant für düstere Zeiten. Die kleine Reise mit ihm wirkt sehr beruhigend. Es hat etwas Andächtiges, wenn man es sich nach zwei Stunden auf einer Waldlichtung bequem macht, dem Zwitschern der Vögel lauscht, dem Rascheln im Unterholz, in das sich sanft das rhythmische Klacken eines Küchenmessers mischt.

Es ist nämlich Zeit für das Hauptgericht: Schafsgarbe, roter Wiesenklee, Bärwurz, Sauerampfer, Schlangenknöterich, Bärlauch, Wiesenknopf, Giersch, Taubnessel, Frauenmantel, Wiesenschaumblüten, Gundermann, Glockenblumen werden je nach Saison von Klumpp fein gehackt, dann alles mit Kopfsalat und einer Himbeer-Vinaigrette angemacht, um das würzige Aroma der Kräuter zu mildern. Et voilà: der Wildkräutersalat in rustikaler Baumstammkulisse darf verkostet werden. Dazu gibt es Semmelknödel und Pilze.

Schon als Kind ist Klumpp viel im Schwarzwald unterwegs gewesen. Er sammelte Steine mit seinem Vater, seinerseits Koch, Bäcker und Wirt. „Er liebte die unendlichen Formen und Farben der Mineralien, dabei konnte er vom Alltag wegtauchen“, sagt der Sohn. Einmal fanden sie einen versteinerten Holzstamm. Das Fundstück wurde zersägt, eine Hälfte bekam Friedrichs Schwester, die andere lagert bis heute in seiner Vitrine. „Der Brocken ist gut und gerne 200 Millionen Jahre alt. Die Natur kann uns so viel über die Zeit lehren, über den Kreislauf des Lebens.“

Weil ihm naturwissenschaftliche Themen lagen, besuchte er das Technische Gymnasium in Freudenstadt. Er machte Abitur und entschloss sich für eine Kochlehre. „Da gab es kein großes Überlegen, ich wollte den Beruf lernen. Es war sicher auch ein Hochschauen an meinem Vater.“ Friedrich Klumpp spricht viel von ihm: „Ein bescheidener Mann, den selten etwas aus der Ruhe brachte. Aber wenn er Feuer gefangen hatte, dann konnte er die Menschen mitnehmen.“

1994 steigt er im elterlichen Restaurant ein

Die Beschreibung würde auch gut zum Sohn passen. Friedrich Klumpp denkt eine Weile nach: Ja, das sei sicher richtig. Wobei er lieber in die Tiefe reise als in die Ferne. Sein Vater war ein Globetrotter. In seinem Todesjahr war er noch mit einem Militärhubschrauber im russisch-kasachischen Grenzgebiet unterwegs: Mineralien sammeln mit einem ehemaligen Oberleutnant.

1994, in dem Jahr, als Friedrich Klumpp sein Studium zum Tourismusbetriebswirt abschloss, stieg er zu Hause ein und leitete den Gasthof seiner Eltern. Ein paar Jahre später lernte er seine Frau Carmen kennen, selbst ein Gastro-Kind. „Wir denken und ticken gleich“, sagt er. Sie verkauften den einen Familienbetrieb und übernahmen den anderen, das Hotel Rosengarten, das sie bis heute erfolgreich führen.

Auch als Chef ist Klumpp kaum vorstellbar als ein Mensch, der poltert und krakeelt und in der Hitze des schlimmsten Küchenstresses zum typisch cholerischen Koch wird, der Pfannen wie Keulen schwingt. Er findet seinen Ausgleich im Wald. Er hat zwei, drei Lieblingswege, die er manchmal ganz allein für sich geht. An einem steht sein Lieblingsbaum: eine Weißtanne mit riesigen Wurzeln. „Der Baum war vor mir da und ist noch nach mir da“, sagt er. „In seiner Gegenwart kann ich mich einordnen. Das lehrt mich Bescheidenheit.“

Den stattlichen Baum bekommt man auf der Schlemmerwanderung nicht zu Gesicht, dafür aber einige seiner jüngeren Artgenossen. Die kann man sogar probieren: Friedrich Klumpp reicht zarte Kiefern-, Tannen- und Fichtentriebe mit ihren kräftigen Aromen, die sich geschmacklich aber deutlich unterscheiden, sogar Orangennuancen sind wahrnehmbar. Höllisch aufpassen müsse man mit dem Zeug in der Küche, sagt der Experte. Denn falsch dosiert, schmecke das Essen schnell wie ein Schluck aus einer Flasche Badezusatz.

Zum Abschluss der Tour residiert die kleine Wandergruppe in einer Blumenwiese oberhalb von Baiersbronn. Berghänge reihen sich aneinander. In der Ortsmitte streckt sich ein Kirchturm in die Höhe. Hier gibt es noch ein sündhaft cremiges Fichtenspitzennadel-Parfait, das eine frische, ätherische Note besitzt und wie süßer Waldnektar auf der Zunge zergeht. Davon lässt sich eine ganze Weile zehren.