Der Saure Regen der 80er-Jahre wirkt noch heute nach. Das Forstamt setzt zur Regeneration des Erdreichs deshalb Hubschrauber und riesige Gebläse ein. Wie spektakulär das aussieht, zeigt unser Video

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Kaisersbach - Schon seit dem frühen Morgen hört man den Hubschrauber über dem Wald bei Kaisersbach seine Bahnen ziehen. Immer wieder fliegt der Pilot die gleiche Stelle am Waldrand an, dreht eine kleine Runde, bis sich geschätzt 20 Meter unterhalb des Helikopters eine etwa 15 Meter lange gelblich-braune Wolke über den Wipfeln entlädt.

 

Fred Burggraf von der Firma Helix ist mit seinem „Eichhörnchen“ im Dienste des Waldes unterwegs: die Bodenschutzkalkung aus der Luft ist sein Metier. Das Ziel der Aktion, die jetzt im vierten Jahr in Folge im Rems-Murr-Kreis durchgeführt wird, sei der Versauerung des Waldbodens entgegenzuwirken und diesen wieder in eine Art Urzustand zu versetzen, sagt Jürgen Baumann von der Unteren Forstbehörde des Landratsamts.

Auch Rudersberg und Alfdorf kommen noch an die Reihe

Baumann hat in diesem Jahr die Einsatzleitung übernommen. Seit Ende Juli wird über Teilen des Staatsforstes im Norden des Kreises der erdfeuchte Kalk aus Dolomitgesteinsmehl ausgebracht. Auf Murrhardt, Welzheim und Kaisersbach sollen noch Rudersberg und Alfdorf folgen.

Wo eine Zufahrt für Spezialfahrzeuge möglich ist, wird das Gemisch, das je nach Bodenbeschaffenheit noch mit Holzasche angereichert wird, hingegen buchstäblich in den Wald geblasen. Lukas Schmidt von der gleichnamigen Firma aus Neumarkt in der Oberpfalz hat sich darauf spezialisiert. „So wie wir können das in ganz Deutschland nur insgesamt drei Firmen“, sagt Schmidt. Ein eigenentwickeltes doppeltes Gebläse, das auf einem Unimog montiert ist, kann das Gemisch bis zu 80 Meter weit in den Wald hinein befördern. Rund 220 Tonnen pro Tag werden im Schnitt auf diese Weise „verblasen“.

Natürlich sei das die vom Forst bevorzugte Methode, sagt Jürgen Baumann, schließlich dürfte sie um einiges günstiger sein, als einen Hubschrauber anzuheuern. Aber mit den Fahrzeugen könne man nun einmal nicht überall tief genug in den Wald hinein fahren.

Rund 200 Flüge pro Tag

Diese Aufgabe übernimmt in dieser Saison nun Fred Burggraf. Der 36-jährige Salzburger ist schon im achten Jahr bei der Helix Fluggesellschaft aus Neuenstein im Hohenlohekreis beschäftigt und ein Routinier in Sachen Kalkung. Wie ein Landwirt sein Feld abmäht, zieht der Pilot mit dem Hubschrauber seine Bahnen, öffnet alle anderthalb Minuten per Fernauslöser den Streuteller des Kübels, der an langen Stahlseilen an dem Helikopter befestigt ist. Eine Tonne Kalk fasst der Kübel. Das reicht etwa für einen Drittel Hektar Fläche. Immer wieder kehrt der Hubschrauber zu einer Stelle zurück, wo der Kübel von einem Radlader erneut mit Kalk befüllt wird, etwa 200 Mal pro Tag. Das Ganze wird im Flugbetrieb erledigt, denn jede Landung kostet laut Burggraf „ein Heidengeld“. Nur zum Auftanken geht er für kurze Zeit an den Boden.

Die Flächen werden gemäß den Vorgaben der Forstbehörde nahezu punktgenau per GPS-Koordinaten „abgegrast“. Auf einem Display sind auch die Ausschlussflächen markiert, wo ganz bewusst kein Kalk hinkommen soll: Bannwälder, Wasser- oder auch Auerhuhnschutzgebiete nennt Jürgen Baumann als Beispiele.

10 000 Hektar Wald werden pro Jahr im Land bekalkt

10 000 Hektar Wald würden pro Jahr in Baden-Württemberg auf diese oder ähnliche Art bekalkt, sagt Baumann, im Rems-Murr-Kreis seien es rund 1500 Hektar, eine Fläche von mehr als 1500 Fußballfeldern. Die Förster hoffen, dass so irgendwann die Folgen des sauren Regens aus den 1980er-Jahren beseitigt werden können und sich die für den Waldboden wichtigen Mikroorganismen und Kleintiere wieder wohlfühlen werden. Denn gerade in extremen Trockenperioden wie in diesem und den vergangenen Jahren werde spürbar, dass die Widerstandsfähigkeit einzelner Baumarten stark gelitten habe.

Die Grundlagen für die von der Europäischen Union geförderte Bodenschutzkalkung haben Voruntersuchungen der in Freiburg ansässigen Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg geschaffen. Die Freiburger Wissenschaftler haben die potenziellen Kalkungsflächen auf der Grundlage von Bodenproben ermittelt und die geeignete Materialmischung empfohlen. Auch auf Kreisebene werde das jeweils überprüft, sagt Jürgen Baumann: „Wir kalken nur, wenn es notwendig ist“.

Darum wird der Wald gekalkt

Versauerung
Die Hauptursache für die Schädigung des Ökosystems Wald waren und sind Niederschläge von Säuren und Stickstoff. Vor allem in den 1980er-Jahren ist eine enorme Menge des sauren Regens verzeichnet worden. Die Schadstoffe stammen von Immissionen aus Verkehr, Landwirtschaft, Industrie und der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und Öl.

Neutralisierung
Der im Wald ausgebrachte Kalk soll die Säure im Boden neutralisieren und den pH-Wert stabilisieren. Dieser und andere bodenphysikalische Eigenschaften sind wichtig, um für Mikroorganismen, Regenwürmer und andere Bodenlebewesen bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Diese wiederum sorgen unter anderem dafür, dass Bäume wieder tiefer wurzeln können. Das ist für die Pflanzen gerade in länger anhaltenden Trockenheitsphasen wichtig, um an tiefer liegende Wasserschichten heranzukommen.