Touristen gibt es viele in Konstanz, Tagungsgäste weniger. Beim Versuch, das zu ändern, hat sich die Stadt ein dickes Minus eingefangen. Auch anderswo schreiben Kongresszentren rote Zahlen. Soll man es lieber bleiben lassen?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Konstanz - Endlich ist mal wieder etwas los im Bodenseeforum (BFK). Dort, wo zuletzt immer seltener das Licht brannte, erwartet der Konstanzer Oberbürgermeister Ulrich Burchardt (CDU) am kommenden Sonntag mehr als 800 Bürger zu seinem Neujahrsempfang. Eigentlich sollte das Haus die Bodenseestadt 600 Jahre nach dem Konzil wieder zu einem Kongressstandort mit internationaler Ausstrahlung machen. Doch nicht einmal die Schweiz nahm nennenswert Notiz, obwohl in Zürich gerade umgebaut wurde. Auch manch Konstanzer fremdelt. Im aktuellen Geschäftsbericht wird es als Erfolg verbucht, dass in diesem Jahr auch eine Abifeier im Bodenseeforum stattfindet. Im vergangenen Jahr, welche Schmach, feierten die Pennäler in der Singener Stadthalle.

 

Für die Kommunalpolitik ist die Entwicklung ein Schock. Statt eines kontinuierlichen Wachstums verzeichnete das BFK im zweiten vollen Geschäftsjahr einen empfindlichen Einbruch bei den Buchungen. 2,3 Millionen Euro musste die Stadt 2017 zuschießen, 2018 waren es schon 2,8 Millionen: Das sind 118 Euro pro Gast. Zum Jahresende verließ auch noch der glücklose Geschäftsführer Jochen Lohmar „im besten gegenseitigen Einvernehmen“, wie es hieß, das Haus – wohl weniger wegen der roten Zahlen als wegen Personalquerelen. Nicht einmal zu einer Weihnachtsfeier mit dem Chef waren die Mitarbeiter bereit. Er war der vierte Chef in zweieinhalb Jahren.

Immer mehr Städte buhlen um Tagungsgäste

Dabei boomt das Kongressgeschäft. Die bundesweiten Wachstumsraten bewegten sich seit Jahren stabil zwischen 1,5 und drei Prozent, heißt es im Eventbarometer des German Convention Bureau (GCB), der Dachorganisation der Veranstaltungszentren. Und immer mehr mittelgroße Städte tummeln sich auf dem Markt. So buhlen auch Radolfzell, Singen, Friedrichshafen, Bregenz und Lindau um die Tagungsgäste.

Dennoch wurden die Konstanzer Aktivitäten in den Nachbarstädten damals positiv aufgenommen. „Es war überfällig, dass die größte Stadt am See so etwas hat“, fasst Stefan Luppold, Professor für Messe-, Event- und Kongressmanagement an der Dualen Hochschule in Ravensburg, die verbreitete Stimmung zusammen. Doch mittlerweile herrscht Verunsicherung. Der ursprünglich gehegte Plan für den Neubau eines Konzert- und Kongresshauses auf dem see- und grenznahen Grundstück Kleinvenedig hätte „eine ganz andere Kraft gehabt“, bedauert Gerhard Stübe vom Kongresszentrum in Bregenz. Nun wächst rund um den See die Furcht, Konstanz könnte dem Ruf der ganzen Destination schaden.

„Jahrhundertchance“ mit Geburtsfehlern

Es sei eine Kombination aus Geburtsfehlern und Schwächen im Management, die für die Misere verantwortlich seien, glaubt Luppold. Das beginne bei der Immobilie. Statt des Neubaus auf Kleinvenedig, den ein Bürgerentscheid stoppte, erklärte OB Burchardt eine nie genutzte Industriehalle aus der Konkursmasse einer Solarfirma auf der anderen Rheinseite zur „Jahrhundertchance“. Für 17 Millionen Euro wurde das Gebäude umgebaut. Doch nun sind Kompromisse bei der Funktionalität unumgänglich, die manchen Veranstalter abschrecken. Derweil wird anderswo geklotzt: Reutlingen investierte 42 Millionen Euro in eine neue Stadthalle. In Heidelberg ist im Sommer Spatenstich für ein Kongresszentrum in der neuen Bahnstadt, das 70 Millionen Euro kostet.

In Konstanz habe man hingegen vollkommen unrealistische Vorstellungen gehabt, sagt Luppold. „Kein einziges Kongresszentrum kommt ohne Zuschuss aus.“ Die Konstanzer aber wählten sich im Vorfeld die einzige Beraterfirma, die ihrer Halle – abgesehen von den Abschreibungen – eine schwarze Null prophezeite. Dabei entstehe der Gewinn für eine Stadt durch die „Umwegrendite“. Tagungsgäste sind zahlungskräftig. Wer über Nacht bleibt, gibt laut GCB täglich 170 bis 180 Euro aus. Zudem sei ein Kongresshaus wichtig für das Image, betont Armin Dellnitz, Geschäftsführer der Stuttgart-Marketing GmBH. „Es ist die Visitenkarte einer Stadt.“

Neuausrichtung mit der Konzilschefin

In Konstanz ist nun die nächste Beratungsfirma am Zug. Selbst die Schließung ist kein Tabu mehr. „Man holt sich ständig Beratung und ist doch beratungsresistent“, sagt Manfred Hölzl. Der CDU-Stadtrat ist Vorsitzender des örtlichen Hotelerie- und Gaststättenverbands und Konzilspächter. Er hoffe auf die neue Interims-Geschäftsführerin Ruth Bader. Sie verantwortete zuletzt das fünfjährige Konzilsjubiläum und gilt weniger als Kongress-, denn als Programmspezialistin. Offenbar soll sie das BFK stärker in der Bevölkerung verankern. „So ein Haus muss kulturell führen“, sagt Georg Sommer, zuständig für die Kongressgesellschaft in Böblingen/Sindelfingen. Ein Erfolg wäre nicht zuletzt für OB Burchardt wichtig. Er muss sich im Jahr 2020 zur Wiederwahl stellen.

Kein Kongresszentrum läuft ohne Zuschuss

2018 fanden im Bodenseeforum Konstanz 73 Veranstaltungen statt, 23 566 Besucher wurden gezählt. Der Zuschussbedarf betrug 2,8 Millionen Euro. Allerdings werden auch andere der als Eigenbetriebe oder städtische Gesellschaften geführten Veranstaltungs- und Kongressunternehmen von den jeweiligen Kommunen unterstützt. Bregenz vermarktet außerhalb der dreimonatigen Festspielzeit sein Festpielhaus. Dort finden 150 Veranstaltungen mit 210 000 Besuchern statt. Der Zuschuss beträgt 800 000 Euro.

Radolfzell hat ein ehemaliges Milchwerk umgebaut.
Dort finden jährlich 500 Veranstaltungen mit 80 000 Besuchern statt. Der Zuschussbedarf beträgt 670 000 Euro.

Reutlingen hat in seiner vor sieben Jahren neu erbauten
Stadthalle jährlich 175 000 Besucher bei 250 Veranstaltungen. Der Zuschussbedarf liegt bei 750 000 Euro.

Das Esslinger Neckarforum zählt 175 Veranstaltungen, 55 000 Besucher und benötigt 600 000 Euro Zuschuss. Böblingen und Sindelfingen
stemmen in ihrer gemeinsamen Congress-Gesellschaft 540 bis 600 Veranstaltungen, 259 000 Besucher kommen. Beide Städte zahlen je 650 000 Euro. Bei allen Städten handelt es sich aber nicht nur um Kongresse. Ebenfalls gibt es ein teils selbst veranstaltetes Kulturprogramm.