Wie weit lässt sich das Weiterführen der bisher von der CDU geprägten Wirtschaftspolitik mit dem Linke-Programm vereinbaren, in dem es heißt: „Wo vor allem der Profit regiert, bleibt kein Raum für Demokratie...“
Die Frage ist doch, auf welcher Basis ich arbeite. Und das ist der Koalitionsvertrag, dem meine Landespartei zu 96 Prozent zugestimmt hat. Auch der Parteivorstand unterstützt uns, ebenso die Bundestagsfraktion. Im Übrigen habe ich stets öffentlich gesagt: Ich sitze nicht für meine Partei in der Staatskanzlei. Ich bin hier der Repräsentant dieser Koalition und der Ministerpräsident auf Basis des Koalitionsvertrages. Auch im Bundesrat agiere ich für diese Koalition, nicht allein für die Linke.
Zwingt Ihr Amt den langjährigen Gewerkschafter nicht manchmal zum Spagat?
Da ist kein Spagat! Gerade als Gewerkschafter musste ich mich auch mit Wirtschaftspolitik beschäftigen. In den 25 Jahren, die ich in Thüringen bin, fand sehr viel Transformation in den Unternehmen statt. Dabei kämpften immer auch Gewerkschafter und Betriebsräte für Sanierung, Neuaufstellung, Neuproportionierung. Ich war einst zuständig für Handelsorganisationen wie den Konsum. Es gab auch Stilllegungen. Aber das Konsum-Fleischwerk in Dornheim ist nun das Unternehmen „Die Thüringer“, ein Betrieb, in dem der Gewerkschafter Ramelow als Aufsichtsratsvorsitzender Verantwortung trug. Heute liegen dessen Markenprodukte in jedem Supermarkt. Nein, das herkömmliche „Links“ und „Rechts“ funktioniert da nicht.
Gibt es rote Linien, die Sie dennoch nicht überschreiten würden? Im Umgang mit Konzernen etwa oder in Bezug auf soziale Aspekte von Unternehmensführung?
Ich finde, es geht nicht, dass sich Konzerne, die in Deutschland tätig sind, einer Tarifverhandlung verweigern. Amazon im hessischen Bad Hersfeld, wo ein Drittel der Belegschaft aus Thüringen kommt, ist solch ein Beispiel. Oder der Online-Versandhändler Zalando mit 2500 Beschäftigten allein in Erfurt. Er zahlt zwar den im Fördermittelbescheid festgesetzten Ecklohn, inzwischen sogar darüber, trotzdem wünschte ich mir, dass endlich ein adäquater Tarifvertrag abgeschlossen wird. Das nenne ich eine Selbstverständlichkeit und keine rote Linie. Wer sich den ganzen Tag mit roten Linien beschäftigt, vergisst zu handeln. Scannerkassen haben rote Linien. Ich bin keine Scannerkasse, ich mache Politik, will Politik gestalten. Und wenn ich mit einem Unternehmer etwas zu bereden habe, berede ich das mit ihm – sehr klar und deutlich.
Große Unternehmen fehlen aber in Thüringen. Wie wollen Sie das ändern?
Das geht nicht so leicht. Perspektivisch wünsche ich mir aber schon, dass mehr Konzerne ihre Zentrale in Thüringen haben, hier ihre Steuern zahlen, Forschung und Entwicklung betreiben. Wir haben nicht einen DAX-Konzern im Land. Darin sehe ich das eigentliche Problem. Denn das macht uns strukturell weiter abhängig vom Westen.
Kann Landespolitik solchen Wünschen nicht auf die Sprünge helfen, etwa durch strukturpolitische Voraussetzungen?
Die großen Unternehmen kommen nicht hierher. Das hat schon die CDU 24 Jahre vergeblich versucht. Denn dazu sind sie dort, wo sie jetzt sitzen, jahrzehntelang zu sehr gepampert worden. Nur tangiert das damit auch die ostdeutsche Steuerkraft negativ. Wer hier keine Umsatzsteuer zahlt, keine Konzernabrechnung macht, seine Umsatzströme nicht bündelt, sorgt auch nicht dafür, dass wir hier Arbeitsplätze im höheren Einkommensbereich haben. Thüringen verfügt über viele verlängerte Werkbänke, über wunderbare Produktionseinrichtungen. Nehmen Sie MDC Power in Kölleda: Wir sind dankbar dafür, aber es ist eine Werkbank des Daimler-Konzerns. Mit Forschung und Entwicklung hat das nichts zu tun. Auch Opel Eisenach ist ein hochleistungsfähiger Endfertigungsstandort, aber ohne jede Forschung und Entwicklung.
Wie lange benötigen Thüringen und der Osten noch Westtransfers?
Da reicht ein Blick auf die Zahlen: Thüringens Steuerkraft pro Kopf liegt bei 53 Prozent des Bundesdurchschnitts, die Wirtschaftskraft bei 74 Prozent. Dies auszugleichen, verlangt schon das Grundgesetz. Die deutsche Einheit ist erst wirklich vollzogen, wenn auch die ostdeutschen Länder ihre Geldeinnahmen aus der eigenen Wirtschaft generieren. Immerhin – wir bilden jene Ingenieure aus, die Bayern dann noch stärker machen. So haben wir dem Westen immerhin das Beste gegeben, was wir haben: unsere Kinder.