Auf einem Hochhaus in der Amsterdamer Straße in Böblingen steht seit dem Sommer eine Mobilfunkantenne – sehr zum Unmut einiger Anlieger. Im Landkreis ist das nicht der einzige Funkmast, der für Zündstoff sorgt.
Böblingen - Helga Jakubetz sitzt im Esszimmer ihres Hauses in der Böblinger Bergamastraße. Auf dem Esstisch vor ihr liegt ein Artikel, den die Lehrerin aus einer Lokalzeitung ausgeschnitten hat. Ihre Kollegin Simona Palermo sitzt zu ihrer Linken. Auf dem Tisch hat Jakubetz Brezeln und Kuchen angerichtet, doch die Pädagoginnen rühren nichts davon an.
Wenn sie über den Mobilfunkmast sprechen, der diesen Sommer auf einem Hochhaus in ihrer Nachbarschaft aufgestellt wurde, vergeht ihnen der Appetit. Zu groß ist ihre Wut darüber, dass in redaktionellen Berichten, wie dem ausgeschnittenen, scheinbar für neue Funkmaststandorte geworben wird. Zu groß ist der Ärger, dass die Anwohner nicht über den Bau der Anlage auf dem Dach des Hochhauses in der Amsterdamer Straße 31 informiert wurden. Und zu groß ist Sorge um die eigene Gesundheit – und noch größer die Sorge um die der Kinder.
Auch Nachfrage sei von Dachreparaturen gesprochen worden
Bevor Palermo vor rund vier Jahren ins Orplid gezogen ist, ein am Böblinger Stadtrand angesiedeltes Hochhaus, hat sie in Gärtringen gewohnt. „Mein Sohn hat damals mit den Zähnen geknirscht und der Zahnarzt hat gesagt, wir sollen nachts alle Geräte mit Internetverbindung ausmachen und schauen, was passiert“, erzählt die 41-Jährige. Das habe funktioniert – und so sei sie mit dem Thema in Berührung gekommen. „Jetzt wohne ich hier, jetzt knirschen alle, bei meiner Tochter ist es besonders schlimm“, sagt die Mutter dreier Kinder. Der Mast auf dem Hochhaus sei laut Jakubetz zwar noch nicht am Netz, doch die Frauen fühlen sich hintergangen, weil ihnen Arbeiter vor Ort gesagt hätten, „dass da nur Dachreparaturen gemacht werden“, sagt die 61-Jährige. „Wir waren dann doch überrascht, als da plötzlich so eine riesige Antenne stand.“
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Laut Gianluca Biela, dem stellvertretenden Pressesprecher der Stadt Böblingen, habe die Baurechtsbehörde Ende 2018 die Genehmigung für den Bau des Masts erteilt. „Die Hausverwaltung wurde von der Baurechtsbehörde ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt“, sagt er. Im Gegensatz zur Baugenehmigung stünden die Arbeiten selbst in keinem Zusammenhang mit der Stadt. Diesbezüglich könne man zu der Anschuldigung, dass der wahre Zweck der Arbeiten verschwiegen wurde, keine Aussage treffen.
Ein Fall in Nufringen steht vor Gericht
Im ganzen Landkreis sind in den vergangenen Monaten neue Mobilfunkstationen in Betrieb gegangen. Das teilte die Deutsche Telekom Ende September mit. Sie stehen in Böblingen, Magstadt, Nufringen, Sindelfingen, Weil der Stadt, Weil im Schönbuch, Weissach und zweimal in Leonberg. Die Deutsche Funkturm GmbH (DFMG), eine Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, mietet geeignete Flächen an. Bis in drei Jahren sollen weitere 26 Standorte im Kreis hinzukommen.
Auch in Nufringen sorgt ein geplanter Funkmast für ordentlich Zündstoff. Die Telekom-Tochter ist vor das Stuttgarter Verwaltungsgericht gezogen, weil der Gemeinderat, das Landratsamt und das Regierungspräsidium ihre Zustimmung zum Bau eines 25 Meter hohen Antennenmasts in einem Wohngebiet verweigert hatten. Die Anlage soll den bestehenden Masten auf dem Rathausdach ersetzen, denn der Gemeinderat hat vor vier Jahren entschieden, den Pachtvertrag mit der DFMG zum Mai nächsten Jahres zu kündigen – weil Anwohner Bedenken hatten.
In Böblingen fehle ein Mobilfunkkonzept
Vor knapp zwei Jahren wollte der Telekommunikationsanbieter zwei Sendemasten in Ehningen aufstellen, einen davon auf einem Gemeindegrundstück in der Nähe der S-Bahnhaltestelle. „Wir wollten den Mast dort nicht haben“, sagt der Bürgermeister Claus Unger. Bis heute habe sich nichts getan. Finde die Telekom ein Privatgrundstück als Alternative, rede der Gemeinderat aber wieder bei der Baugenehmigung mit. „Die Verwaltung regt aber immer an, vorhandene Masten zu nutzen“, ergänzt Unger.
Das hätte sich Jakubetz auch in Böblingen gewünscht. Sie versteht nicht, warum auf dem Hochhaus in der Amsterdamer Straße 31 eine Antenne aufgebaut wurde, obwohl auf dem benachbarten Hochhaus bereits ein Mast steht. Das Orplid liegt versetzt dazwischen und Palermo „bekommt die Strahlung jetzt von beiden Seiten voll ab“, sagt Jakubetz. Laut Biela habe die Stadt mit dem Thema Strahlung nichts zu tun. Das liege im Aufgabenbereich der zuständigen Regulierungsbehörde, in diesem Fall der Bundesnetzagentur. Wenn die Grenzwerte eingehalten würden, was für den Standort nachgewiesen sei, sei eine Anlage nicht zu beanstanden. Für Jakubetz ist trotzdem klar: „Böblingen hat überhaupt kein Mobilfunkkonzept. Da wird einfach irgendwo was hingestellt.“