Für Realschüler, die Karriere im Einzelhandel machen wollen, hat die Industrie- und Handelskammer Böblingen ein neues Angebot: Innerhalb von dreieinhalb Jahren machen die Kandidaten gleich mehrere Abschlüsse.

Böblingen - Für Realschüler, die Karriere im Einzelhandel machen wollen, bietet die Industrie- und Handelskammer im Kreis Böblingen neuerdings etwas: Innerhalb von dreieinhalb Jahren können sie eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann oder -frau und den Abschluss zum Handelsfachwirt machen. Damit wären sie für Führungsaufgaben qualifiziert.

 

„Ich finde das ein ganz tolles Modell für Realschüler“, sagt Karin Nickless-Rossow von dem Herrenberger Modehaus Zinser, „das ist in der Art einmalig momentan.“ Sie habe es in allen sieben Häusern publik gemacht, berichtet Nickless-Rossow. Die Resonanz darauf sei gut, „es gibt mehr Anfragen als gedacht“. Mit dem Projekt ließen sich „die eigenen Nachwuchskräfte fördern“, sagt auch die Ausbildungsleiterin bei Hofmeister Petra Lauer. An dem Modellprojekt beteiligen sich das Möbelhaus, das im Landkreis außer in Leonberg nun auch in Sindelfingen einen zweiten Standort betreibt, Zinser und die Einrichtungshäuser Gamerdinger in Böblingen und Ikea in Sindelfingen und Ludwigsburg. Denn anders als in anderen Branchen sei der Handel sehr „durchlässig“: „Da kann man mit 25 schon eine leitende Position haben“, sagt die Ausbildungsleiterin Petra Lauer. Mit dem Ausbildungsmodell gewinne der Einzelhandel an Attraktivität.

Arbeitgeber konkurrieren um Auszubildende

Für Unternehmen – nicht nur im Einzelhandel – wird es immer schwieriger, Auszubildende zu finden. Das ist eine Folge der demografischen Entwicklung. Es gibt immer weniger junge Menschen, um die immer mehr Arbeitgeber konkurrieren. Der Einzelhandel mit Arbeitszeiten bis 22 Uhr gehört da nicht zu den attraktivsten, auch wenn die Mitarbeiter nicht mehr als 38 oder 40 Stunden pro Woche arbeiteten, wie Irene Ebert betont, Ausbildungsberaterin bei der Bezirkskammer Böblingen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Vor diesem Hintergrund hat die IHK zusammen mit dem Kaufmännischen Schulzentrum Böblingen und Einzelhändlern im Kreis das kombinierte Ausbildungsmodell zum Einzelhandelskaufmann und Handelsfachwirt entwickelt. Böblingen habe, so Irene Ebert, eine Vorreiterrolle übernommen.

Dreieinhalb Jahr dauert die Ausbildung. In den ersten zweieinhalb Jahren werden die jungen Männer und Frauen zu Einzelhandelskaufleuten ausgebildet, im letzten Lehrjahr dann werden sie auf den Abschluss zum Handelsfachwirt vorbereitet. Das Ungewöhnliche an dem Modell ist, dass es eine Aus- mit einer Fortbildung kombiniert. Dafür werden die Azubis nicht nur an anderthalb, sondern an zwei Tagen in der Woche am Kaufmännischen Schulzentrum in Böblingen unterrichtet. So könnten Teile der Fortbildungen zum Handelsfachwirt bereits in den beiden ersten Lehrjahren eingebaut werden, sagt Heinrich Amann, Abteilungsleiter der Kaufmännischen Schule Böblingen.

Der Unterricht im letzten Lehrjahr kostet

Detailfragen dazu will er im Mai mit dem Verein zur Förderung der Berufsbildung – kurz VFB – klären. Denn die Dozenten der Weiterbildungseinrichtung der IHK-Bezirkskammern Böblingen und Ludwigsburg übernehmen den Unterricht im letzten Ausbildungsjahr. Dafür müssen die Betriebe, die sich an dem Pilotprojekt beteiligen, zahlen. Wie viel kann Irene Ebert von der IHK noch nicht sagen. Weil die Schüler der Turbo-Klasse von vornherein feststünden, bringe das mehr Stabilität und damit Qualität, ist Heinrich Amann überzeugt. Normalerweise dauert die Lehrzeit für Einzelhandelskaufmänner und -frauen drei Jahre. Doch gute Schüler können die Lehrzeit um ein halbes Jahr verkürzen. Da sich das auch erst während der Lehrzeit entscheidet, wechsle die Zusammensetzung der Schnellzug-Klasse, sagt Amann. Die Schule starte das Projekt – egal, ob sie die 16 Schüler beisammen habe oder nicht.