Ein tätowierter Taxifahrer oder Bankangestellter? Das geht für viele immer noch nicht. Jugendliche haben Leute mit Kunst am Körper befragt.

Böblingen - Sie trägt ein Lippen- und ein Zungen-Piercing, ein Tattoo mit der Aufschrift „non timebo mala“ („Ich werde das Böse nicht fürchten“), ein Totenkopf-Tattoo auf dem rechten Oberschenkel, hat Tunnels im Ohr mit einem Durchmesser von zwölf Millimetern und

 

ein Industrial – einen Stab – in der Ohrmuschel. Mit ihren grünen Haaren ist Jasmin Lüttke ein echter Hingucker. Mit anderen jungen Böblingern interviewte die 19-Jährige Gleichgesinnte und befragte sie nach ihren Erfahrungen. „Die Selbstdarstellung wird immer mehr toleriert, aber noch bei Weitem nicht von allen akzeptiert“, bringt der Projektleiter Tobias Föller das Ergebnis seiner Studie „Zeichen setzen“ auf den Punkt, die er als Student der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg anfertigt.

Bankangstellter muss Tattoo verbergen

Knapp 50 Träger von Tattoos und Piercings haben er und die Jugendlichen in der Böblinger City angesprochen. Die meisten seien begeistert gewesen, dass sich jemand für sie interessiere, berichtet Föller. Der 36-Jährige traf einen Bankangestellten, der sein Tattoo unter dem Hemd verbergen muss, „weil er sonst von seinem Chef nicht geduldet würde“. Auch wer bei der Bundespolizei arbeiten möchte, muss im Übrigen laut einem Gerichtsbeschluss auf einen auffälligen Körperschmuck verzichten.

Ein 20-jähriger Böblinger habe die Abneigung besonders krass zu spüren bekommen, dokumentiert Föller: „Während eines Arztbesuches hat man beim Blutabnehmen eine neue Arzthelferin an ihm üben lassen, weil er keine Angst vor einer Nadel habe, wie es hieß.“ Und ein Taxifahrer erzählte ihm, dass Kunden schon vor einer Fahrt mit ihm zurückgeschreckt seien. Doch mache er sich nichts daraus. „Wer Probleme mit meinen Tattoos hat, hat bei mir nichts verloren“, notierte Föller.

Im städtischen Kindergarten abgelehnt worden

Einige der Befragten ließen sich fotografieren – ein paar Aufnahmen werden an diesem Samstag beim Lakeside Open Air in Böblingen gezeigt. Darunter sind vor allem jene, die auf Akzeptanz gestoßen sind. „Meine Mutter hielt es zuerst allerdings für einen Aprilscherz, als ich ihr sagte, dass ich mich stechen lassen werde“, erzählte eine 23-jährige Böblingerin, die sich mit 19 Jahren ein Zungenpiercing verpassen ließ. Danach sei das aber kein Thema mehr gewesen. Auch einigen der Interviewer, die fast alle aus dem Böblinger Jugendhaus Casa Nostra kommen, geht es so. Jasmin Lüttke sagt: „Viele gucken, fragen aber nicht.“ Sie absolviert eine Ausbildung zur Erzieherin: „Die Kinder im Hort interessiert das nicht, wie ich aussehe.“ Allerdings sei sie im städtischen Kindergarten in Waldenbuch abgelehnt worden, sagt Lüttke. „Im katholischen hat man mich genommen“, berichtet die Breitensteinerin. Ihr Freund hat kein Problem mit ihrem Körperschmuck: „Ihm ist es egal, dass ich gepierct bin.“

Sehen und gesehen werden – besonders Tattoos sagen etwas über eine Person aus. „Ich habe eines von meiner Lieblingsband Slipknot. Ich traf einen Kollegen, den ich vorher nicht kannte. Er hatte auch ein solches Tattoo. Wir gingen einen trinken“, erzählt der 22-jährige Moritz Bettermann, der als Veranstaltungstechniker arbeitet. „In manchen Kreisen gehört die Tätowierung einfach dazu“, weiß Föller. Bisweilen auch unter Studenten. Föller studiert im dritten Semester Soziale Arbeit. Er habe sich ein Tattoo mit „Praise the Lord“ stechen lassen, weil er Gott danke, dass er nach einem unverschuldeten Unfall und einem Wirbelbruch wieder auf die Beine gekommen sei. Auch Jasmin Lüttke verbindet mit ihrem „non timebo mala“ eine besondere Geschichte. Sie will darüber aber nur so viel preisgeben: „Ich bin damit über eine schwere Zeit hinweggekommen.“