Für ihren Einsatz im Tafelladen, bei der Obdachlosenhilfe und beim Ökumenischen Hospizdienst erhält Marianne Seifert den Sozialpreis der Stadt.

Böblingen - Sie hat sich immer gewundert, wie viel in einem Supermarkt weggeworfen wird. Kistenweise Obst, vor allem Bananen und Orangen, Gemüse und vieles mehr. Eines Tages fasste sie sich ein Herz und fragte beim Filialleiter nach, ob sie die Waren aussortieren

 

und die noch genießbaren Lebensmittel für die Bedürftigen des Böblinger Tafelladens mitnehmen dürfe, in dem sie seit fünf Jahren mitarbeitet. Marianne Seifert engagiert sich zudem seit 14 Jahren bei der Obdachlosenhilfe der Stadt Böblingen und ist seit zwölf Jahren für den Ökumenischen Hospizdienst tätig. Die 70-Jährige bekommt in Kürze den Sozialpreis 2015 der Stadt Böblingen verliehen.

Die Ehrenamtlichen des Tafelladens waren bereits vor zwei Jahren bei der Preisverleihung für ihr soziales Engagement geehrt worden. „Wir wollten eigentlich damals schon, dass auch Marianne Seifert ausgezeichnet wird“, sagt die Leiterin Mary Kraus. Doch zum einen hätte sich das „irgendwie gedoppelt“, zum anderen habe Marianne Seifert damals abgewunken. „Ich möchte nicht im Rampenlicht stehen“, sagt die gebürtige Ostpreußin bescheiden, die als Spätaussiedlerin im Jahr 1959 nach Böblingen kam und in der Uhlandschule den Hauptschulabschluss machte. Auch dieses Mal wollte sie eigentlich nicht für die alle zwei Jahre stattfindende Auszeichnung nominiert werden. „Bärbel Feuersänger von der Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstelle für die sozialen Dienste und ich haben sie dann aber vorgeschlagen“, sagt Mary Kraus, „Marianne Seifert hat den Preis mehr als verdient.“

Dreimal pro Woche holt sie kistenweise Lebensmittel ab

Marianne Seifert und ihr Ehemann Werner fahren seit zwei oder drei Jahren – so genau weiß sie es nicht mehr – regelmäßig montags, mittwochs und freitags zu dem Supermarkt auf der Böblinger Diezenhalde und transportieren in ihrem VW Golf Plus die noch brauchbaren Esswaren in den Tafelladen der evangelischen Gesamtkirchengemeinde. „Manchmal fahren wir auch zweimal“, sagt Marianne Seifert. Sie gehört zu den insgesamt derzeit 62 Helferinnen und Helfern, die im Tafelladen mehrere Stunden in der Woche mitarbeiten. Sie bestücken die Regale mit den Lebensmitteln zu stark reduzierten Preisen, die Einzel- und Großhändler zur Verfügung stellen oder spenden. Sie bedienen die Kasse und räumen nach Ladenschluss wieder auf.

In der Regel ebenfalls ein Mal in der Woche ist Marianne Seifert mehrere Stunden beim Ökumenischen Hospizdienst eingespannt und betreut eine Hundertjährige: „Sie freut sich immer, wenn ich komme.“ In dem Böblinger Privathaushalt unterstützt sie die Angehörigen. „Es geht einfach nur darum, Zeit zu haben, zuzuhören und dabei zu sitzen“, sagt die ehemalige Zahnarzthelferin, In ihrem Beruf lernte Marianne Seifert, mit Menschen umzugehen. Manchmal liest sie der alten Dame auch etwas vor. Sich mit Sterbenden zu beschäftigen, sei nicht ganz leicht, räumt die 70-Jährige ein. Es komme darauf an, „ganz ruhig zu bleiben in den letzten Stunden, die Hand zu halten“. Marianne Seifert hat das nicht nur einmal getan.„Ich bin gläubig“, sagt sie, „ich rede viel mit Gott und mit meinem Mann darüber.“ Als Ehrenamtliche des Hospizdienstes hat sie eine Ausbildung absolviert und ein sechswöchiges Praktikum in einem Altersheim gemacht. Jedes Vierteljahr finde eine Supervision statt und alle vier Wochen ein Treffen mit den Sterbebegleitern: „Dabei tauschen wir uns aus. Ich kann die Erlebnisse ganz gut bewältigen.“

Kassler, Sauerkraut und Schupfnudeln an Weihnachten

Nachdem Marianne Seifert in Rente gegangen ist, wollte sie zu Hause „nicht einfach nur Däumchen drehen“, sagt sie burschikos. Bei zwei Enkelkinder im Alter von sieben und neun Jahren, die bisweilen ebenfalls Zuwendung benötigen, würde es ihr nicht langweilig werden. Doch sind ihr auch die Obdachlosen im Böblinger Asyl in der Eugen-Bolz-Straße ans Herz gewachsen. Angefangen hat es damit, dass sie ihnen Sachen zum Anziehen gebracht hat, Bettwäsche, Handtücher und Töpfe.

„In dem Heim hat es an allen Ecken und Enden gefehlt“, erinnert sich Marianne Seifert. 24 Männer und vier Frauen leben zur Zeit dort. Mit allen ist sie per Du. Als sie das Nötigste hatten, „haben sie mir eines Tages auch anvertraut, dass sie Hunger haben“, sagt die 70-Jährige. Zuerst habe sie kleinere Sachen auf den Tisch gestellt, „Weißwürste oder Saitenwürschtle“. Seit einiger Zeit kocht sie ein Mal im Monat ein richtiges Essen. An Weihnachten gab es Kassler, Sauerkraut und Schupfnudeln, Stollen und Apfelstrudel zum Nachtisch. Und natürlich waren alle wie immer eingeladen. Für Marianne Seifert ist das selbstverständlich. Schließlich lautet ihr selbst gewähltes Motto: „Tue Gutes, und rede nicht darüber.“

Insgesamt vier Preisträger

Als Einzelperson wird neben Marianne Seifert auch Gerhard Vieser ausgezeichnet, der seit 21 Jahren seine Zeit, Fähigkeiten und buchhalterischen Kenntnisse der Lebenshilfe in Böblingen zur Verfügung stellt und sich um die Finanzen kümmert. Er unterstützt den Vorstand und sorgte für die Renovierung eines Freizeithauses. In der Sparte Vereine, Organisationen, Projekte erhält den Böblinger Sozialpreis 2015 die Rollstuhlfechtgruppe der Sportvereinigung Böblingen, die seit dem Jahr 2004 besteht. Fünf Ehrenamtliche organisieren derzeit den Sportbetrieb, an dem auch Fechter ohne Handicap teilnehmen. In der Rubrik Unternehmen wird zudem die Firma Hewlett-Packard ausgezeichnet, die seit drei Jahren Mitarbeiter für soziale Projekte bis zu vier Stunden monatlich von der Arbeit freistellt, damit sie ohne Aufwandsentschädigung in einer gemeinnützigen Organisation mitarbeiten können. Die Preisträger werden in Böblingen am 21. Januar von 19 Uhr an in der Aula am Murkenbach geehrt.