In seinem neuen Band „Sammelsurium“ sind Politiker die Zielscheibe des Sprachvirtuosen Hans-Georg Müller. Er greift auch das Thema Stuttgart 21 kritisch-ironisch auf.

Im Flur hängen große Weltkarten, Nadeln kennzeichnen die Länder, die Hans-Georg Müller bereist hat. Besonders viele markieren die Türkei und Süd-Ost-Asien. „Oft stehe ich meinen Enkeln davor“, sagt der 75-Jährige, „um zu erklären, wo ihr Opa schon überall war.“ Auf einer riesigen Schrifttafel sind die koreanischen Zeichen aufgelistet, und Müller erklärt jedem Besucher gerne, wie sich die Buchstaben zusammensetzen.

 

Der Pensionär ist ein wissbegieriger Mensch, seine Erfahrungen gibt er

gerne an andere weiter. Deshalb schreibt er Bücher – und hat mit „Sammelsurium“ einen weiteren Band mit Gedichten und Geschichten herausgebracht mit seinem ureigenen sozialkritisch-hintergründigen, amüsanten Blick auf aktuelle Ereignisse und die Dinge des Lebens.

Politiker sind die Zielscheibe

In seinen Reimen kritisiert er das Bahnprojekt Stuttgart 21, gegen das er selbst zwei Wochen vor dem Wasserwerfereinsatz im September 2010 demonstrierte. Er trug damals Schilder vor sich her mit Texten wie „Stuttgarts Mappus-Show“, „Stuttgart verschustert“ oder „Stuttgart-Oettingen.“ Bei dem Vorhaben gehe es doch hauptsächlich nur darum, oberirdische Flächen zu gewinnen, um ein Einkaufszentrum zu errichten, sagt der Dagersheimer. Er sei grundsätzlich nicht gegen den Fortschritt: „Doch die Leute sind bei Stuttgart 21 regelrecht betrogen worden.“ Die Politiker hätten alles ausgemauschelt und die Kosten zunächst so niedrig wie möglich angesetzt, damit der Bahnhof gebaut werde. „Obwohl sie wussten, dass es viel teurer wird.“

Überhaupt sind Politiker die Zielscheibe des 75-Jährigen. Er nimmt den einstigen Bundespräsidenten ins Visier und hinterfragt den Begriff „wulffen“: „Heißt es nun schwindeln oder lügen, gestehen, doch nur scheibchenweise? Ist’s identisch mit betrügen, mit Verdrehen der Beweise? Drohen könnt’ es auch bedeuten, um den andern einzuschüchtern. Nachtigfall, ick hör dir läuten, da ist doch einer nicht ganz nüchtern." Und natürlich seziert Müller auch Lieblingsfeinde wie den früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg oder den einstige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß in seinen heiteren bis ironischen Versen.

Der Autor war ehemals für den Computerkonzern IBM in diversen Positionen tätig, nun scheint er selbst in seinem Kopf eine unerschöpfliche Festplatte zu besitzen, die er permanent füttert mit allem, was ihn interessiert. Nach dem Ausscheiden aus der Firma 1996 studierte er bis zum Magister Sprachwissenschaft und Islamkunde, hat von 2001 bis 2003 promoviert, spricht etliche Fremdsprachen, auch Türkisch, Japanisch und Koreanisch.

Und Hans-Georg Müller wäre nicht Hans-Georg Müller, wenn er nicht einen eigenen Blickwinkel entwickelt hätte: „Ich sammle Belege dafür, dass es sich bei diesen drei Sprachen um eine Sprachfamilie handelt.“ Dass diese These umstritten ist, kann ihn überhaupt nicht bei seinem Vorhaben bremsen – im Gegenteil.

Müller zerlegt mit Vorliebe Worte und fügt sie wieder neu zusammen, wie in seinem Gedicht „Kuckuck“, in Anlehnung an den experimentellen Lyriker Ernst Jandl. Und er kombiniert mit Leidenschaft. Selbst seine Kinder verschont er dabei schon bei der Namensgebung nicht. Seinen ältesten Sohn ließ er „Harmin“ nennen, zusammengesetzt aus den beiden Anfangsbuchstaben von Hans und den letzten vier des Vornamens seiner Ehefrau Irmin.

Der Sprachvirtuose schreibt die Bücher vor allem für seine Familie und Verwandten. Mit einer Auflage von 400 Exemplaren wie beim jüngsten Band sei das nicht mehr als ein Hobby. Aber es ist auch Vergangenheitsbewältigung. In dem Werk „Der Letzte löscht das Licht“ beschreibt der gebürtige Suhler das Leben in „Stasien“ und seine Flucht 1955 nach Westberlin.

Müller wurde in der einstigen DDR aus politischen Gründen nicht zum Studium zugelassen, weil sein Vater bei einer „stalinistischen Säuberungskampagne“ eingesperrt worden war. Das Buch fand große Anerkennung. Zum 50. Jahr des Mauerbaus stellte es Müller in seiner Heimatstadt vor. Dem Berliner Regierungschef Klaus Wowereit, der sich für sein Buch interessierte, überreichte er es bei einem Treffen im vergangenen August persönlich.