Häufige Standortwechsel sind ein Teil der Geschichte des Böblinger Amtsgerichts. Nun ist für 8,8 Millionen Euro ein Neubau geplant. Wenn es los geht, ziehen die Bediensteten in Container um.

Böblingen - Tobias Brenner kann es kaum erwarten. „Im nächsten Jahr wird es vermutlich losgehen mit den Bauarbeiten“, sagt der Direktor des Böblinger Amtsgerichts. 8,8 Millionen Euro will das Land für einen Neubau aufbringen. Zudem ist das Gerichtsgebäude in der Steinbeisstraße 7 marode und muss saniert werden. In den Räumen, in denen das Zivilgericht tagt, herrscht drangvolle Enge. Moderne Zeiten sollen anbrechen – darauf hatten in der 200-jährigen Geschichte des Böblinger Amtsgerichts auch schon Brenners Vorgänger gehofft.

 

Ein Richter für 22 000 Einwohner

Den Überlieferungen zufolge trat in Böblingen im Juni 1819 Immanuel Gotthold David Conz (1758–1830) seinen Posten als Oberamtsrichter an. Er stammte aus einer pietistischen Pfarrersfamilie und war zunächst für rund 22 000 Einwohner zuständig. Im 19. Jahrhundert gab es viele Klagen wegen Beleidigungen, die Zahl der Fälle stieg permanent. Auch die Einwohnerzahl wuchs zunehmend – Conz hatte immer mehr Klagen zu bearbeiten. Vor allem Frauen wandten sich nach Ehrverletzungen an das Gericht. Oft wurden auch Konkursverfahren eröffnet, weil viele Handwerker und Händler in den damaligen Krisenzeiten finanziell nicht über die Runden kamen.

Um das Jahr 1900 waren in Böblingen bereits drei Richter im Einsatz. Kompetenzen in der Handelsgerichtsbarkeit waren dazugekommen, und das Gericht wurde mit der Führung der Handelsregister beauftragt. Neu hinzu kamen auch Vollstreckungen und Zwangsversteigerungen. Mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wurden die Amtsgerichte zudem mit der Führung der Vereinsregister beauftragt. Vom Jahr 1914 an sprachen sie auch bei Streitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern ihre Urteile.

Ein Erbgesundheitsgericht

Unter den Nazis wurde von 1934 an das sogenannte Erbgesundheitsgericht gebildet, das über die Zwangssterilisation geistig und körperlich behinderter Menschen und über die Einweisung in psychiatrische Heil- und Pflegeanstalten entschied. Dort wurden viele der Opfer getötet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Gerichtsbarkeit nur schwer in Gang. 1946 gab es für 78 000 Bürger zunächst einen einzigen Richter. Dessen Zuständigkeitsbereich war auf den Bezirk des ehemaligen Amtsgerichts Herrenberg ausgeweitet worden. Noch bis 1974 hielt das Amtsgericht Böblingen in Herrenberg einen Gerichtstag pro Woche ab.

Im Alten Amtsgericht ist jetzt ein Kulturzentrum

Über die frühen Jahre des Amtsgerichts ist nur wenig bekannt. Möglicherweise tagte es im 19. Jahrhundert im Verwaltungsgebäude des Oberamts am Marktplatz und zog später, als es zu eng wurde, auf den Schlossberg um. Dort steht heute noch das Gebäude, das den Namen Altes Amtsgericht trägt und ein Ort für Kulturveranstaltungen geworden ist. Im Untergeschoss, wo sich Galerieräume befinden, war einst das Gerichtsgefängnis. Auch dieses Gebäude wurde bald zu klein. 1964 dann zog das Gericht in einen Neubau in die Steinbeisstraße 7 um.

Laut Brenner, seit 2011 Amtsgerichtschef und davor Vorsitzender Richter am Landgericht in Stuttgart, haben die derzeit 21 Richter jährlich rund 6500 Fälle zu bearbeiten. Zu je einem Drittel handelt es sich um Straf-, Zivil- und Familiengerichtsverfahren. Dazu kommen rund 6000 Zwangsvollstreckungen und 400 Betreuungsfälle im Jahr. Während die Jugendrichter eine leicht steigende Zahl von Strafverfahren verzeichnen, sind die Zivilsachen etwas rückläufig. „Meistens sind es Zahlungsklagen. Wir sind für Summen bis 5000 Euro zuständig“, berichtet Brenner.

Das Haupthaus wird saniert

Inklusive des Grundbuchamts auf dem Flugfeld ist das Amtsgericht auf vier Standorte verteilt. Das soll sich ändern. Während das 1960 erbaute, dreigeschossige Haupthaus als Gebäude erhalten bleibt, wird der einstöckige Anbau mit den Sitzungssälen abgerissen und durch einen modernen Neubau ersetzt. „Das wird für uns nicht leicht“, sagt der 57-jährige Gerichtschef, „während der Bau- und Sanierungsarbeiten werden wir wohl zwei Jahre lang in Containern untergebracht.“