Der katholische Theologe Marian Schirmer hilft als Seelsorger den Arbeitnehmern im Dekanat Böblingen.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Böblingen - Er war bei der Betriebsversammlung von Karstadt in Leonberg, als verkündet wurde, dass die Filiale auf der Kippe steht, er hat den Schock und die Tränen der Mitarbeiter hautnah miterlebt. Er war in Schönaich und ist den Leuten beigestanden, als das Ende von Honeywell beschlossen wurde. War das Gottes Wille? „Nein“, sagt der katholische Theologe, „das war der Wille von irgendwelchen Hauptaktionären.“

 

Marian Schirmer ist einer von einem Dutzend Betriebsseelsorger der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die knapp zwei Drittel des Landes Baden-Württemberg umfasst. Er selbst arbeitet für das Dekanat Böblingen und kümmert sich um die Belegschaft in den Betrieben. Schirmer hilft den Menschen, die die Arbeit krank gemacht hat, er hilft Arbeitslosen und unterstützt die Belegschaften in den Arbeitskämpfen. Sein Credo formuliert er klar: „Die Würde der Arbeit ist wichtiger als der Gewinn. Der Mensch kommt immer vor der Arbeit.“

Im Versammlungshaus des Katholischen Arbeiter-Zentrums neben St. Bonifatius hängt ein alter Aufruf, Gewerkschaften zu gründen: „Nur wenn sich die Arbeitnehmer zusammenschließen, können sie der Macht der Arbeitgeber Einhalt gebieten“, steht da. Jahrhunderte waren die Kirchen und die Gewerkschaften spinnefeind. Erst mit der sozialen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts und mit der Befreiungstheologie in der Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die beiden Partner zueinander. Armenhilfe war immer ein Thema der Kirchen, aber Arbeitnehmerhilfe? „Das ist in der Bibel gut begründet“, sagt der Theologe, nicht nur im Neuen, auch im Alten Testament, als Gott Israel von der Fronarbeit in Ägypten erlöste.

Arm zu sein, heißt auch arm an Freiheit

Und Schirmer denkt wieder in den Bahnen der Befreiungstheologie: Arm zu sein bedeutet in der Bibel nicht nur arm an Geld zu sein. Es bedeutet auch arm zu sein an Freiheit, arm an Rechten. Auch hier gibt das Alte Testament ein Vorbild, die Befreiung Israels aus der babylonischen Gefangenschaft. In diesem Licht sieht er auch seine Arbeit, den Propheten nachzufolgen, die immer ihre Stimme erhoben hatten, um die Mächtigen zu warnen, wenn sie auf dem falschen Weg waren. Ist dann der Kapitalismus Sünde? „Sünden sind die Gier und der Geiz. Wenn man fünf Millionen Euro erwirtschaftet hat und im nächsten Jahr zehn Millionen Euro will“. Auch das hat er auf Betriebsversammlungen erlebt. Er ist überzeugt: Auch als Geschäftsmann könne man die christlichen Gebote halten.

Marian Schirmer ist keinen klassischen Weg gegangen. Er ist katholisch aufgewachsen in Kiebingen bei Rottenburg, lernte Sportkaufmann und sah da schon wie Lehrlinge als Billigkräfte schamlos ausgenutzt wurden. Er wollte mehr aus sich und seinem Leben machen und begann das Studium der Theologie, vor allem weil es so breit gefächert ist: Es geht von der Geschichte bis zur Soziologie oder zur Pädagogik. Altgriechisch und Hebräisch? „Da hab ich mich durchgebissen, und mir nach der Prüfung eine Flasche Sekt aufgemacht“, gesteht der 29-Jährige. Pfarrer wollte er nicht werden, und so ging er in die Betriebsseelsorge. Für ihn ein ganz wichtiger Weg, den er auch innerhalb der Kirche verteidigen muss: „Ich will von einer Geh-hin-Kirche zu einer Geht-raus-Kirche.“ Arbeit müsse sinnstiftend wirken. „Wenn die Arbeit den Menschen krank macht, dann ist grundlegend etwas falsch.“