Elena Kolesnitschenko eröffnet das Böblinger Pianistenfestival im Württembergsaal der Kongresshalle. Mit 70 Zuhörern ist das Auftaktkonzert nach aktuellen Pandemie-Richtlinien ausverkauft.

Böblingen - Sie ist dem treuen Publikum des Pianistenfestivals bestens vertraut, ja sie ist allen ans Herz gewachsen. Das liegt sicher nicht nur an der sympathischen Ausstrahlung von Elena Kolesnitschenko, sondern auch an ihrem großen musikalischen Herzen, das sie immer öffnet.

 

Bereits bei ihrer Mitwirkung beim Beethoven-Sonaten-Projekt von 2014 bis 2016 spielte sie beim Pianistenfestival nicht nur Beethoven auf höchstem Niveau, sondern hatte auch immer weitere kapitale Brocken im Reisegepäck. Darunter zum Beispiel Sigismund Thalbergs „Souvenir Beethoven“ über Themen aus dessen siebter Sinfonie – eine Komposition, die einem schon Schrecken einflößt, wenn man die Vielzahl an schwarzen Noten erblickt. Oder Robert Schumanns fordernde „Symphonische Etüden“, die sie mit Empfindsamkeit und Wucht realisierte.

Mit 70 Zuhörern ausverkauft

Jetzt eröffnete sie das internationale Pianistenfestival – nach einer auch für sie langen Konzertpause. Böblingens Kulturamtsleiter Peter Conzelmann griff diesen Umstand in seiner Begrüßungsansprache auf. Nach aktuellen Pandemie-Richtlinien war der eigentlich für mehr als 300 Gäste ausgelegte Württembergsaal mit 70 Zuhörern an diesem Abend komplett ausverkauft. Es sei, so Conzelmann, seit sehr langer Zeit wieder die erste Indoor-Veranstaltung kultureller Art in Böblingen. Der Mit-Organisator der Klassikreihe zeigte sich optimistisch, dass vielleicht bei den folgenden Konzerten die Restriktionen weiter zurückgehen könnten.

Festivalleiter Ulrich Köppen gab in seiner Ansprache gleich eine Programmänderung für das nächste Konzert am 16. Juli bekannt. Der Koreaner Hai Park kann Corona-bedingt nicht kommen, da im Moment nicht feststeht, ob er sich Mitte Juli in Asien oder seiner Wahlheimat München aufhält. Doch Köppen hatte auch eine gute Nachricht. Der internationale Concours Geza Anda war am 6. Juni in Zürich zu Ende gegangen und er hatte sich die Preisträger vor Ort angesehen.

Anton Gerzenberg spielt anstelle von Hai Park

Das Böblinger Publikum wird am 16. Juli den frisch gebackenen ersten Preisträger bestaunen können. Der junge Mann heißt Anton Gerzenberg und ist im Moment noch weitgehend unbekannt. Viel bekannter, auch von einem Böblinger Solorecital, ist seine Mutter; es ist die Top-Ten-Pianistin Lilya Zilberstein. Er behält auch – passend zum diesjährigen Festivalmotto – die Händel-Variationen von Johannes Brahms bei, die von einem Pianisten alles fordern, was nur denkbar ist.

Elena Kolesnitschenko freute sich, wieder in Böblingen zu sein, da sie das Festival und auch den klanggewaltigen Sauterflügel schätzt. Im Württembergsaal präsentierte sie unter anderem Sergej Rachmaninows Corelli-Variationen op. 42. Die in der Ukraine geborene Pianistin interpretierte das Werk mit größtmöglicher Transparenz, sodass man den teilweise komplexen kompositorischen Verläufen gut folgen konnte. Mit sensiblem Klanggespür fächerte sie die teilweise raffinierten harmonischen Farbschattierungen auf. Emotional intensiv war der ungeheuer konzentriert vorgetragene Schluss dieses Variationswerkes, bei dem in einsamer Stille noch einmal das Thema „La Folia“ erklingt.

Gestalterische Intelligenz

Ganz anders Mendelssohn-Bartholdys Variations sérieuses op. 54. Auch wenn sie seriös heißen, sind sie jedoch ein gut gelauntes, brillantes Klavierstück. Die Pianistin hatte es bereits vor einigen Jahren in Böblingen dargeboten. Auch dieses Mal bestach ihre Interpretation durch die gestalterische Intelligenz. Mit ihren Fingern wusste sie musikantisch zu artikulieren, was der Komponist an unerschöpflichen Veränderungen aus dem schlichten Liedmotiv hervorgezaubert hat.

Mendelssohn war in seiner Jugend, ähnlich wie Mozart, ein vielfältig begabter Liebling der Götter und hatte Lust an der pianistischen Kraftentfaltung, und genau die konnte Elena Kolesnitschenko dem Publikum bruchlos vermitteln. Ihr wunderbar kantabler Anschlag, ihre rhythmische Verve und glitzernde Geläufigkeit verliehen der Komposition einen verführerischen Glanz, den so faszinierend nicht allzu viele entfalten können.

Ein pianistisches Hochgebirge

Bachs Italienisches Konzert schloss sich, wenn natürlich auch in einem anderen Klanggewand, an die Mendelssohn-Komposition nahezu bruchlos an Ort. Die Pianistin modellierte orchestrales Klanggepräge, pointierte Rhythmen und vor allem im langsamen Satz fein gesponnene Melodielinien. Es war wie ein Innehalten vor dem abschließenden, pianistischen Hochgebirge, das nicht ohne Grund relativ selten in Angriff genommen wird.

Schumann war als Mensch starken Stimmungsschwankungen unterworfen; zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend wechselten sich beständig ab. Das Spiegelbild davon ist auch seine Musik. Das „Concert sans orchestre“ enthält im dritten Satz – passend zum Festivalmotto – auch einen Variationensatz, in dem Schumann ein Thema seiner angebeteten Clara Wieck verarbeitet.

Wie auf den Leib geschrieben

Das komplexe Werk scheint ihr wie auf den Leib geschrieben. Sich quasi überstürzende Tempi meisterte sie ebenso souverän wie das scheinbar verzweifelte Aufbegehren oder das lyrische In-sich-Zusammenfallen. Auch wenn dieses Stück sicherlich nicht zu den allerbesten Kompositionen Schumanns gehört, so war doch die Wirkung unter den fabelhaften Händen der Künstlerin mitreißend. Nach dem donnernden Akkordtriller und dem rauschenden Schluss, in dem die Musik einen immensen emotionalen Sog entfaltet, gab es dann auch begeisterte Bravi. Und selbst die Zugabe war wie ein musikalischer Kommentar zu dem Titel des Schumannwerkes: das „Allegro de concert“ von Alexander Skrjabin.

Das Pianistenfestival wird Mitte Juli fortgeführt. Dann treten Anton Gerzenberg (16. Juli), Jacob Leuschner (23. Juli) und Robert Neumann (30. Juli) auf. Restkarten-Reservierung beim Ticketshop der Kreiszeitung, Telefon (07031) 620029. Weitere Informationen gibt es unter www.pianistenfestival-bb.de im Internet.