Bei der Neujahrsführung kämpft Historiker Günter Scholz für die Rettung des Bauernkriegsmuseums. Viel Geschichte hat Böblingen ohnehin nicht.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Die Stadt Böblingen hat schon einmal ihre Geschichte abgeräumt. Nach einem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg waren weite Teile der Altstadt von Bomben zertrümmert, darunter ihr prägender Prunkbau: das Schloss, das dem Adel für Jagdausflüge in den Schönbuch gedient hatte, später vom Hause Württemberg zum Ruhesitz seiner Witwen erkoren worden war, schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts zum Schulzentrum umgewidmet wurde. Sein Südflügel war zerstört. Ihn wieder aufzubauen „wäre kein Problem gewesen“, sagt Günter Scholz, „aber damals hieß es: weg mit dem alten Zeug“.

 

Dass Scholz einmal das Böblinger Kulturamt geleitet hat, ist auch schon Geschichte. Vor bald 15 Jahren wurde er in den Ruhestand verabschiedet. Zu diesem Anlass ist ihm der Abstand hilfreich. Er erlaubt ihm bissige Bemerkungen in Richtung der Obrigkeit im Böblinger Rathaus.

Laut einem Gutachten kann auch das Museum abgeräumt werden

Der Anlass hat Tradition. Zu jedem Jahresbeginn führt der Historiker durch das Bauernkriegsmuseum und erzählt aus der städtischen Geschichte. Diesmal widmet er einen guten Teil seines Vortrags allerdings einer möglichen Zukunft: der Schließung des Museums. Dessen Lage ist ohnehin prekär. Die historische Zehntscheuer teilt es sich mit der städtischen Galerie, weswegen das schlafzimmergroße Modell des historischen Böblingen um 1650 auf Rädern steht. Für die Kunst darf es beiseite geschoben werden. Ein Gutachten hatte ergeben, dass auch dieser Teil der Historie altes Zeug sei, das abgeräumt werden könne – vorbehaltlich des Ergebnisses einer Bürgerbeteiligung.

Dass Scholz ein erbitterter Gegner dieses Vorhabens ist, versteht sich von selbst. Auf sein Drängen hin war das Bauernkriegsmuseum im Jahr 1988 eröffnet worden. Zum Ende seiner Führung steht er vor einem Druck Albrecht Dürers. Er zeigt einen Bauern, der auf einem Stein zu hocken scheint. Aus seinem Rücken ragt der Schaft eines Schwertes, das den gesamten Rumpf durchbohrt hat. Im pfälzischen Nußdorf ist dieses Motiv in Bronze gegossen worden. Die kleine Gemeinde erinnert mit der Skulptur an den Ausbruch des Bauernkriegs auf ihrer Markung.

Den Bauern ging es um Gerechtigkeit und das Ende der Knechtschaft

„Es geht uns hier nicht um die Großen der Geschichte“, sagt Scholz, „es geht uns um die Kleinen, die Opfer“. In Nußdorf hatte am Kirchweihsonntag des Jahres 1525 der Bauernkrieg begonnen. In einer Schlacht bei Böblingen erlitten die Aufständischen eine vernichtende Niederlage. 3000 von 15 000 kämpfenden Bauern wurden getötet. Es ging ihnen um Gerechtigkeit, das Ende von Knechtschaft, das Recht, ihren Pfarrer wählen zu dürfen. Mit Blick auf die weltpolitischen Ereignisse dieser Tage „sind diese Werte aktueller denn je“, sagt Scholz, „das Museum ist ein Leuchtturm der Freiheit“. Ein einst ketzerisches Gemälde drüben im Gang verbildlicht die Entstehung des Aufstands. In einem Baum hat der unbekannte Künstler einen Bauern und einen Spielmann noch über den Papst und den Kaiser gesetzt.

Das Jahr der Stadtgründung Böblingens ist unbekannt, es muss um 1250 gewesen sein. Das Bild wie das Wesen der Stadt prägt ein rasantes Wachstum in den Jahrzehnten nach Ende des zweiten Weltkriegs. Zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren stieg die Einwohnerzahl von gut 10 000 auf mehr als 40 000. Viel Geschichte hat Böblingen nicht, aber womöglich wiederholt sich ein kleiner Teil von ihr. Der Bauernaufstand war der erste der Geschichte, der derartige Ausmaße annahm. Dabei half die Erfindung des Buchdrucks, der es den Aufständischen erlaubte, Flugblätter zu verbreiten. „Es war der erste Kampf mit dem gedruckten Wort“, sagt Scholz. 2025 jährt sich das Datum des Ausbruchs dieses Krieges zum 500. Mal. Sollte ausgerechnet zu diesem Anlass das Ende des Museums besiegelt werden, meint Scholz, „wird es einen bundesweiten Aufstand der Medien geben“.