Die Böhsen Onkelz füllen gerade wieder die größten Hallen der Republik. Die Kulturkritik hält sich da aus Angst vor Ärger mit der eigenen Blase normalerweise lieber raus. Das könnte ein Fehler sein.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Sonntag und Montag nächster Woche wird die Stuttgarter Schleyerhalle bis unters Dach ausverkauft sein. Das sind 25 000 Besucher, die jeweils knapp 70 Euro für ihre Karte zahlen. In Dortmund, Leipzig, Hannover, Hamburg und Berlin das gleiche Bild. Auf der Bühne steht die Band Böhse Onkelz aus dem unterfränkischen Hösbach, Anfang der Achtziger im Umfeld der eher späten Punk- und Skinhead-Bewegung von damals Minderjährigen gegründet und bald wegen tendenziell rechtsradikaler und gewaltverherrlichender Texte indiziert („Der nette Mann“, das Album erschien 1986).

 

Seit damals hält sich eine andauernde Ablehnung der deutschen Kulturkritik den Böhsen Onkelz gegenüber, obwohl die Band sich bald darauf von ihren Jugendsünden distanzierte. Der Haupttexter Stephan Weidner unternahm eine Weltreise und hernach eine Neupositionierung der Onkelz, die sich 1993 erstmals vom Bündnis „Rock gegen Rechts“ einbinden ließen. Daniel Cohn-Bendit und Alice Schwarzer verfolgten die damalige Läuterung mit wohlwollenden Kommentaren.

Dennoch änderte dies nichts daran, dass, pauschal gesagt, bürgerliche Medien die Böhsen Onkelz fast ohne Ausnahme auch heute noch als „non grata“ betrachten. Alben, die sich wie das sprichwörtliche geschnittene Brot verkauften, wurden und werden nicht besprochen, Auftritte nur selten und – wenn überhaupt – nur beiläufig zur Kenntnis genommen.

Vollgepumpt mit Kokain und Methadon

Im Jahr 2004 verschwanden die Bandmitglieder von der Szene, um nicht „als Rockeremiten mit ergrautem Haar“ auftreten zu müssen. Die öffentliche Abstinenz verlängerte sich, weil der Sänger Kevin Russell 2009, vollgepumpt mit Kokain und Methadon und mit 232 Stundenkilometern im Auto unterwegs, zwei Männer lebensgefährlich verletzte. Russell beging Fahrerflucht und wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. 2014 versammelte man sich zum Wiedervereinigungskonzert am Hockenheimring, wo 180 000 Zuschauer den Onkelz erneut „Inspiration, Energie und Erdung“ spendierten, wie es jetzt in Weidners warmen Worten zum Tourneestart heißt.

Gleichzeitig ist „Memento“ erschienen, das erste neue Album seit „Adios“ und insgesamt zwölf Jahren. Um diesen Moment zu bannen, zitiert die Bandbiografie im insgesamt gewohnt pathetischen Narrativ sogar den Dichter Blaise Pascal aus den „Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände“, wo es heißt: „Das Herz hat seine Gründe, welche die Vernunft nicht kennt.“ In diesem Zwischenreich zwischen Emotion und Ratio siedelt viel Textmaterial der mittlerweile reinen Hardrockband Böhse Onkelz, das auf „Memento“ nur einmal noch kurz eine alte Wunde öffnet: „Wo wäre Jesus ohne die Evangelien/Wo wären die Onkelz ohne das Seemannsgarn der Medien“, heißt es in „Jeder kriegt, was er verdient“. Wie viele andere Songs kultiviert auch dieses Lied eine teils nihilistische, teils Dauer-Dagegen-Haltung („Weiß du, wie breit der Arsch ist,/ an dem du mir vorbeigehst?“), die oft im Ungefähren bleibt. Aber es gärt: „Ein elitärer Kreis/Erbarmungsloser Wesen/Pisst uns in die Tasche/ Und erzählt uns, dass es regnet“, lautet kurz und knapp die gesellschaftliche Bestandsaufnahme in „Markt und Moral“; einem Song, der weiterhin den Staat als „Dealer“ betrachtet, der allenfalls noch den „Tanz in den Untergang“ organisiert, flankiert im Übrigen von der „Kultur/globaler Affendressur“. Folgende Absage an den Staat muss man sich im Zehntausenderchor vorstellen: „Vertraut der Demokratie/Ich frag‘ mich wie?“ Nein, mit dem Gemeinwesen haben die Böhsen Onkelz nichts im Sinn.

An Subtexten und der Etablierung von eher diffusen Feindbildern herrscht bei ihnen seit jeher kein Mangel, aber wenn man den Aufschrei – der natürlich auch eine Inszenierung ist, und zwar eine mit ausgefeilter Bühnenshow und allen Manipulationsschikanen – einmal ernstnimmt, findet man zumindest vor der Suada gegen die „Beletage“ und den „weißen Mann mit gespaltener Zunge“ eine Art Gesprächsangebot: „Steh auf, wir müssen reden/Steh auf, da ist was faul auf dem Planeten“.

Eine Art Paralleluniversum

Natürlich bleibt die Frage, ob sich dieser Appell auch an Andersfühlende richtet, oder ob er lediglich dazu dient, die eigene Klientel in der Ansicht zu bestätigen, sie gehöre zu den vom Leben und Staat Vernachlässigten bis Betrogenen. Für viele Leute ist das ja nicht nur neuerdings ein Trumpismus, sondern einfach seit längerem eine Tatsache. Dass die Onkelz selber längst Big Business sind und Millionäre, stellt die Street Credibility bei „ihren“ Leuten jedenfalls wenig in Frage. Die Böhsen Onkelz bilden strikt eine Art Paralleluniversum. Man kann sich bei ihnen im passiven Widerstand gegen alles und auch wieder nichts einrichten, hängt „das Herz über’n Verstand“ („Wo auch immer wir stehen“) und betreibt Gruppendynamik zwischen Onkelz, Nichten und Neffen. We are family! Böhse Onkelz kennen keine Parteien mehr und keine Nation. Soziale Identität stiftet der Fan dem Fan.

Nur zum Vergleich: in der letzten Woche veröffentlichte die Afroamerikanerin Alicia Keys ein neues Album, das „Here“ heißt. Auch da geht es um Ablehnung, die gesellschaftliche Gruppen oder Ethnien erfahren, und dann gibt es ein Mädchen in Brooklyn, das steht hin, deutet auf die Mitschüler und sagt: „Ihr seid keine Nigger. Ihr leuchtet!“ Alicia Keys zitiert Nina Simone, wenn sie sagt, es sei „Pflicht eines Künstlers, die Zeiten zu reflektieren“, sich also nicht nur angeekelt und rundum finster diffamierend von ihr abzuwenden. Das Album beginnt mit den Worten: „Ich bin Nina Simone im Park. Ich bin Harlem im Dunkeln.“ Zwischen den Onkelz und Alicia Keys liegen, logisch, in vielen Punkten Welten. Wichtig wäre, die Abstände zu kennen, aber auch, dass die eine der anderen Welt nicht aus dem Sinn kommt.