Was wiegt schwerer? Coronavirus oder Weltkriegsbombe? Für etwa 1000 Einwohner im Stadtbezirk Möhringen ist diese Frage für den kommenden Sonntag beantwortet.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Das unheimliche Ding im Ackerboden dürfte 250 Kilo schwer sein. Vor 75 Jahren aus einem englischen Fliegerbomber abgeworfen. Und vermutlich tickt da noch ein chemischer Langzeitzünder. Das ist nichts Neues für die Spezialisten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes. Doch der Bombenfund im Norden Möhringens birgt noch mehr Zündstoff als ohnehin schon: 1000 Menschen müssen zeitweise evakuiert werden – aber lässt sich die Großaktion angesichts des Coronavirus-Alarms verantworten?

 

Der Bomben-Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg soll an diesem Sonntag entschärft werden. Und dabei soll es auch bleiben. Am Dienstag, nach mehreren Tagen Diskussionen über die sich immer mehr verschärfenden Maßnahmen gegen die Corona-Epidemie, steht die Entscheidung des Ordnungsamts fest: „Das findet wie geplant statt“, sagt Stadtsprecher Martin Thronberens. Die Bombe muss weg.

Über Luftaufnahmen aufgespürt

Ralf Vendel, der Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, sieht keine Alternative. „Wenn wir das jetzt nicht machen, wird man die Aktion wohl auch in den nächsten zwei Monaten nicht machen können“, sagt er. Und jetzt, da bekannt ist, dass an einem Feldweg zwischen Möhringen und Sonnenberg eine Weltkriegsbombe steckt, „wird der Bürger wohl auch nicht so lange das Ding in der Nachbarschaft haben wollen“.

Ein Routinefall. Ende Februar hatten die Feuerwerker vom Dienst alte Luftaufnahmen ausgewertet und eine Einschlagsstelle nördlich von Möhringen entdeckt. Der sogenannte Verdachtspunkt wurde an Ort und Stelle ausgemessen. Mit Sonden und Schaufel stellten die Spezialisten fest: „In drei Meter Tiefe steckt etwas“, sagt Vendel. Man vermutet eine englische 250-Kilo-Fliegerbombe mit Langzeitzünder. „Weil wir wissen, dass dieser Bombentyp über diesem Gebiet abgeworfen wurde“, sagt Vendel.

Die Polizei muss die Zugänge sperren

Am 11. März hat die Stadtverwaltung die Anwohner, die sich im Umkreis von 500 Metern befinden, darüber informiert. Bis auf die Hausnummer genau wurde sie aufgefordert, an diesem Sonntag ihre Häuser zu verlassen oder sich in einer Sammelunterkunft einzufinden, etwa dem Königin-Charlotte-Gymnasium. Das war freilich noch vor der Zeit, da wegen der Corona-Epidemie soziale Kontakte auf ein Minimum eingeschränkt werden sollen.

Im Tages- und Stundentakt ändert sich die Viruslage. Noch am 13. März war es kein Thema, dass im hessischen Darmstadt mehr als 9000 Menschen der Entschärfung einer 500-Kilo-Bombe weichen mussten. „Und jetzt geht es doch nur um tausend“, sagt Vendel.

Doch zusätzlich müssen zahlreiche Beamte die Zugangsstraßen sperren. Bei der letzten Großaktion dieser Art im Juni 2019 in Weilimdorf waren mehr als 100 Polizisten im Einsatz. Und es gibt auch noch die Bewohner des Seniorenzentrums Bethanien, die gewissermaßen die Bombe im Blickfeld haben.

Es werden wenige in den Sammelstellen erwartet

Doch nun ist die Entscheidung gefallen. „Das Risiko einer Virusinfizierung ist überschaubar“, sagt Stadtsprecher Martin Thronberens. Die Quote der Unterbringungsbedürftigen sei gering, der Platz auf dem Schulgelände ausreichend. Die Erfahrung auch in Weilimdorf habe gezeigt, dass nur wenige Betroffene zentrale Aufenthaltsmöglichkeiten und Sammelstellen aufsuchten. „Das waren am Ende höchstens 50“, sagt er. Die meisten hätten den Tag eben anderswo verbracht. Auch das Problem des Seniorenheims lasse sich lösen, weil die Bewohner innerhalb des Areals in ungefährdete Bereiche verlegt werden könnten.

So tickt am Sonntag die Uhr – gegen die Bombe. Die Polizei soll um 8 Uhr damit beginnen, den Sicherheitsbereich abzusperren. Der Stadtbahnverkehr mit den Linien U 5, U 6 und U 12 zwischen Möhringen und Degerloch wird dagegen nicht eingeschränkt. Die Bahnlinie führt haarscharf an der Sperrzone vorbei. Eine Sperrung haben die Stuttgarter Straßenbahnen aber eine Woche später vorgesehen – wegen Bauarbeiten.