Erst kürzlich wurde unter der A81 im Kreis Böblingen eine Weltkriegsbombe im Boden vermutet – in den vergangenen Jahren kam es häufig zu tatsächlichen Blindgänger-Funden. Woran liegt es, dass gerade Böblingen und Sindelfingen derart betroffen sind?

Digital Desk: Nina Scheffel (nse)

Erst im März dieses Jahres ist bei Arbeiten auf dem Gelände des Daimler-Werks in Sindelfingen (Kreis Böblingen) eine Fliegerbombe gefunden worden. Und auch in den vergangenen Jahren waren Böblingen und Sindelfingen immer wieder Schauplätze von Bombenfunden.

 
Zuletzt wurde auf dem Gelände des Daimler-Werks in Sindelfingen eine Weltkriegsbombe gefunden. (Archivbild) Foto: IMAGO/Eibner

Im April 2025 etwa war aufgrund von Untersuchungen ein Streckenabschnitt der A81 zeitweise gesperrt worden, da auch dort nicht ausgeschlossen werden konnte, dass ein weiterer Blindgänger im Boden liegt. Letztendlich stellte es sich jedoch als Fehlalarm heraus – bei der Anomalie unter der Erdoberfläche handelte es sich lediglich um Rosteinschlüsse. Dennoch stellt sich die Frage: Weshalb kommt es gerade in diesen Bereichen in Böblingen und Sindelfingen häufig zu derartigen Vermutungen und tatsächlichen Funden?

Ziele von Luftangriffen: Böblinger Flugfeld und Daimler-Werk

Während heute im Bereich des Böblinger Flugfeldes ein modernes Stadtquartier entstanden ist, wurde das Gebiet während der Weltkriege zum Teil militärisch genutzt – und war wie so wie viele Gebiete in deutschen Regionen in den letzten Kriegsjahren entsprechend Angriffsziel für die Truppen der Alliierten. Auch 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges machen sich die Spuren der damals nicht explodierten Bomben und Granaten noch bemerkbar.

„Der Bereich an der A 81 Böblingen/Sindelfingen, ebenso wie Zuffenhausen und Feuerbach, tritt als Fundort relativ häufiger auf, weil in den dortigen Industriearealen während des Zweiten Weltkriegs auch Rüstungsgüter hergestellt wurden oder sich dort relevante Infrastruktur, wie der Flughafen, befand“, erklärt Korbinian Ruff, Sprecher des Regierungspräsidiums Baden-Württemberg auf Nachfrage. Diese seien im Zweiten Weltkrieg mit mehr als 50 Luftangriffen der Alliierten getroffen worden. Entsprechend fänden in diesem Gebiet immer mal wieder Überprüfungen durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) statt, so Ruff.

Heimatforscher Reinhard Knoblich, der gemeinsam mit Kollegen den Webauftritt „Böblinger Flughafengeschichten“ betreibt und sich mit der Historie des heutigen Böblinger Flugfeldes beschäftigt, verweist ebenfalls auf die Luftangriffe im Ersten und Zweiten Weltkrieg.

Bereits während des Ersten Weltkriegs wurden demnach auf dem Gelände des heutigen Flugfelds in Böblingen Flugzeugführer und Beobachter militärisch ausgebildet. „Bei der Sanierung des Flugfelds wurde vor Ort auch noch Blindgänger aus dieser Zeit gefunden“, so Knoblich.

1925 entstand auf dem Flugplatz schließlich der heutige Flughafen, der später nach Echterdingen (Kreis Esslingen) verlegt wurde. „Das Flugfeld in Böblingen wurde ab 1939 wieder militärisch genutzt – war damit auch ein Ziel der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und wurde bombardiert“, so der Heimatforscher.

US-Luftoffensive ab Juli 1944

Ausgerichtet an einer US-Luftoffensive gegen die deutsche Motorfahrzeugindustrie vom 10. Juni 1944 erhielten demnach Befehlshaber von US-Truppen einen für die Sommermonate neu ausgearbeiteten Plan mit neuen Zielprioritäten. Als neu aufgelistete Angriffsziele standen jetzt auch verstärkt Flugplätze und Motorfahrzeugwerke im Fokus.

Die Angriffe von US-Truppen begannen sich so ab dem 11. Juli 1944 verstärkt auf solche Ziele im süd- und südwestdeutschen Raum zu richten – und auch die Standorte Böblingen und Sindelfingen wurden in die strategischen Angriffsplanungen aufgenommen.

Mitte Juli 1944 kam es schließlich zu einem Großangriff auf diese Ziele im Kreis Böblingen. Recherchen des Heimatforschers Reinhard Knoblich zufolge wurde das Daimler-Werk in Sindelfingen daraufhin zwischen Juli und Dezember 1944 von US-Truppen bombardiert, darunter auch der damalige Böblinger Flugplatz. Der erste US-Tagesangriff auf den Flugplatz Stuttgart-Böblingen (heutiges Flugfeld) erfolgte am 19. Juli 1944.

„Berichtet wird im Rahmen der Offensive von Primärzielen wie Flugplätzen, Montage- und Komponentenwerken der Flugzeugindustrie, Kugellagerwerken, Motor- und Panzerfahrzeugwerken und Verschiebebahnhöfen“, so Knoblich. „Zweitziele waren beim Angriff am 19. Juli 1944 der Flugplatz Stuttgart/Böblingen und das Daimler-Werk Sindelfingen, das daran anschließt.“ Weitere Angriffe auf das Daimler-Werk sowie den Flugplatz sollten folgen.

Was steckt noch im Boden?

Bislang entdeckte Kampfmittel stammen demnach von Angriffen während des Zweiten Weltkriegs. Doch wie viele Kampfmittel liegen heute noch immer versteckt im Boden? „Es können nur grobe Schätzungen über die in Stuttgart und der Region noch vorhandenen Bombenblindgänger gemacht werden“, so Korbinian Ruff vom Regierunspräsidium. „Allein auf das Land Baden-Württemberg entfielen rund 100.000 Tonnen Abwurfmunition. Bei einem Luftangriff geht man davon aus, dass etwa 10 bis 15 Prozent der abgeworfenen Bomben Blindgänger sind. Durch die hohe Anzahl an Luftangriffen, werden vermutlich noch einige hundert Bombenblindgänger in Stuttgart und der Umgebung im Boden liegen“, so Ruff.

Deutlich mehr Flächen im Südwesten abgesucht

Mit Blick auf ganz Baden-Württemberg sei im letzten Jahr 2024 eine größere Gesamtfläche durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst untersucht worden als noch im Vorjahr, so der Sprecher. Den Angaben zufolge war die untersuchte Fläche mit 485.576 Quadratmetern etwa fünf Mal so hoch wie im Vorjahr (98.633 Quadratmeter). „Verantwortlich für diesen starken Anstieg war vor allem eine Großbaustelle in Offenburg zum Neubau eines Klinikums und eines Klinikcampus, die vom Kampfmittelbeseitigungsdienst auf Kampfmittel abgesucht wurde“, so Ruff. Wann immer Blindgänger gemeldet werden oder Bauvorhaben auf Geländen anstehen, die über die Luftbildauswertung als besonders gefährdet gelten, komme der KMBD zum Einsatz.