Seit diesem Jahr können Bonuscard-Empfänger umsonst in Stuttgarter Theater und Museen, was zunehmend genutzt wird.

Stuttgart - Das Stück, das seit diesem Jahr auf einigen Stuttgarter Bühnen Premiere feiert, hat bisher viel Beifall bekommen. Es heißt "Kultur für alle" und ermöglicht allen Empfängern der Bonuscard, die vom Sozialamt überwiegend an Hartz-IV-Empfänger ausgegeben wird, einen kostenlosen Besuch im Theater, im Museum oder einer anderen Kultureinrichtung. "Wir haben bisher sehr viel positive Resonanz bekommen", sagt Julia Schindler, die Geschäftsführerin des neu gegründeten Vereins, der das Projekt betreibt.

Fast alle der rund 20 Einrichtungen in der Stadt, die sich bislang an dem neuen Angebot für einkommenschwache Menschen beteiligen, können schon nach dem ersten Monat über reges Interesse berichten. Das Renitenztheater etwa, das Junge Ensemble Stuttgart (Jes), die Kulturgemeinschaft, das Ensemble der Stiftsmusik Stuttgart oder das Theaterhaus am Pragsattel, das bereits mehr als 40 Karten an Bonuscard-Besitzer ausgegeben hat. Anfangs seien viele noch skeptisch gewesen, ob die Tickets auch wirklich umsonst sind und tatsächlich Plätze freigehalten werden, erzählt Julia Schindler. Hinterher hätten sie sich per Mail oder Gästebucheintrag bedankt, dass sie endlich mal wieder ein klassisches Konzert besuchen durften und alles so problemlos funktioniert hat.

Landesweit einmalig


Auf den Weg gebracht worden ist das landesweit einmalige Projekt von der Stuttgarter Bürgerstiftung, die erstmals im September 2008 einen Runden Tisch mit Vertretern diverser Kultur- und Sozialeinrichtungen organisiert hatte. Zum Jahreswechsel wurde dann der Verein Kultur für Alle gegründet, der das Projekt nach der Startphase vorantreiben soll. Dringlichste Aufgabe sei, so Julia Schindler, weitere Kulturbetriebe in Stuttgart zu gewinnen. Gleichzeitig müsse intensiv Aufklärungsarbeit betrieben und bei der Zielgruppe für das Angebot geworben werden.

Wichtig ist der 29-Jährigen dabei vor allem, die Grundidee klarzumachen: "Was die Initiative macht, hat nichts mit Gutmenschentum zu tun. Es geht darum, einen niedrigschwelligen Zugang zur Kultur zu ermöglichen", betont sie. "Das hat gesellschaftliche Relevanz." So sind die beteiligten Häuser verpflichtet worden, je nach Auslastung und Möglichkeiten jeden Monat ein festes Kartenkontingent in allen Preiskategorien zur Verfügung zu stellen. Dadurch sei es möglich, die Tickets wie jede andere Eintrittskarte auch telefonisch zu reservieren. "Es muss keiner Angst haben, an der Abendkasse abgewiesen zu werden."

Ins Schwarze getroffen


Die Kulturgemeinschaft etwa, die mit Peter Jakobeit einen der vier Vorstandsmitglieder des Vereins stellt, reserviert für jede eigene Veranstaltung zehn Karten, also für klassische Konzerte, Ballettaufführungen oder auch Lesungen. "Nur Restkarten auf den hintersten Plätzen anzubieten, wäre diskriminierend. Wir wollen eine Gleichbehandlung", sagt der Geschäftsführer der Kulturgemeinschaft Stuttgart, der angenehm überrascht ist von der guten Resonanz vom ersten Tag an. "Das zeigt, dass wir uns keiner romantischen Schwärmerei hingegeben, sondern ins Schwarze getroffen haben."

Ein wenig Sorgen bereitet noch der Etat, der von der Bürgerstiftung auf etwa 60.000 Euro pro Jahr veranschlagt wurde. Ein Teil davon, die gesamten Personalkosten, sind zwar durch eine großzügige Spende einer Stuttgarterin gedeckt. Aus der geplanten Anschubfinanzierung durch die Stadt ist aber ein Streichposten geworden. Die Grünen hatten den Antrag gestellt, die "Bonuscard + Kultur" drei Jahre lang mit jeweils 15.000 Euro zu unterstützen. In den von Sparzwängen bestimmten Haushaltsberatungen Ende vergangenen Jahres wurde dieser Antrag aber mit etlichen weiteren abgelehnt. "Zumindest im ersten Jahr wird jetzt die Bürgerstiftung einspringen", sagt Corinna Walz von der Bürgerstiftung, die als verantwortliche Projektleiterin heute ebenfalls Teil des Vereinsvorstands ist. Mittelfristig müsse aber nach anderen Finanzierungsmodellen gesucht werden

Auch die Sponsorenakquise steht bei Julia Schindler daher ganz oben auf der Liste, neben der Suche nach weiteren Kulturpartnern. Ziel sei, sagt sie, dass letztlich alle Einrichtungen mitmachen. Als jüngster Kulturbetrieb hat sich Anfang der Woche das Kunstmuseum am Schlossplatz bereiterklärt, Bonuscard-Besitzern freien Eintritt zu gewähren. Grundsätzlich stehe man zwar auf dem Standpunkt, dass Kultur den Menschen etwas wert sein sollte, sagt die Sprecherin Eva Klingenstein, bei dieser Aktion mache das Museum aber gerne mit, "weil Kunst für uns ein Gut ist, das allen zugänglich sein muss". Bilder wie der "Arbeiterjunge" von Otto Dix würden keinen Sinn machen, "wenn nur diejenigen sie sehen könnten, die sich einen Besuch im Museum problemlos leisten können".


Jazz, Literatur, Kunst und Theater


Die Eintrittskarte
Die Bonuscard wird vom Sozialamt überwiegend an Hartz-IV-Empfänger ausgegeben, dieses Jahr wurde sie mit dem Zusatz "+ Kultur" ergänzt. Verschickt wurde sie bisher an 64.000 Stuttgarter, also an mehr als zehn Prozent der Einwohner.
Die Kulturpartner
In 19 Kulturbetrieben haben Bonuscard-Besitzer bisher freien Eintritt: Akademie für das gesprochene Wort, BIX Jazzclub, Forum Theater, Literaturhaus, Junges Ensemble Stuttgart (JES), Evangelische Gesamtkirchengemeinde, Kiste, Kulturgemeinschaft, Kulturwerk, Lindenmuseum, Philharmonia Chor Stuttgart, Renitenztheater, Stiftsmusik Stuttgart, Theater der Altstadt, Theater Rampe, Theaterhaus, Vortragsprogramm der VHS, Württembergischer Kunstverein, Kunstmuseum.
Die Spielregeln
Die Betriebe stellen ein festes Kontingent in allen Preiskategorien zur Verfügung. Alle Tickets können auch vorher reserviert werden.
Infos
ab Februar unter www.kultur-fuer-alle.net »