Wegen neuer Gesetze gab es in Leonberg Ende 2017 keine Bordelle mehr. In der Praxis sind die Vorschriften aber schwer durchsetzbar. Auch Stuttgart tut damit sich schwer.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Leonberg - Geschlossen war gestern. Diana gibt gern Auskunft, auch wenn sie bittet, langsam zu sprechen. Die Dame aus Tschechien arbeitet in einem Haus am Rand eines kehrwochengepflegten Wohngebiets. Nebenan trinken die Nachbarn im Garten Kaffee. Ein Stück die Straße hinab läuten Kirchenglocken. Der Arbeitsplatz von Diana und ihrer Kollegin ist formal ein „Massage Fachhandel“. Ein verwinkelter Bretterzaun verhindert den Blick auf Gäste an der Haustür. Die Fenster sind verklebt.

 

Es ist eine jener Adressen, deren halbmeterhohe Hausnummern – gern in Rot – weithin sichtbar sind. Bordellbetreiber kürzeln die Namen ihrer Betriebe gern aus der Adresse zusammen, wie das M 121 an der Mahdentalstraße. Dieses Haus ist „dauerhaft geschlossen“, wie die Homepage mitteilt. Zum Jahreswechsel hatte die Stadt gar verkündet, Leonberg sei frei von Prostitution. Ein neues Gesetz hatte die Schließung aller fünf Betriebe ermöglicht.

Die Stadt gibt sich wortkarg

An mindestens zwei Adressen erfreuen sich Freier aber wieder der Dienstleistungen von Prostituierten. Wozu die Stadt sich wortkarg gibt: „Von dem Thema will ich eigentlich nichts wissen“, sagt die Pressesprecherin Undine Thiel. Zu wissen gäbe es zunächst, dass das neue Gesetz dazu dient, Prostituierte vor milieutypischen Straftaten zu schützen. Im Fall von Verstößen gegen eine Reihe neuer Regeln sind die Städte für Schließungen verantwortlich.

Am Rand eines Gewerbegebiets lockten bis Ende 2017 die „Kaisergirls“. Inzwischen hat der Betrieb umfirmiert. Drei Damen in Leder und Latex bieten in einem Häuschen inmitten eines wuchernden Gartens Dienste für ungewöhnliche Geschmäcker an. Sie inszenieren einen Klinikbetrieb nah an der Wirklichkeit einschließlich medizinischer Werkzeuge, deren Verwendung Patienten üblicherweise auszuweichen versuchen.

Diese Wiedereröffnung ist im Rathaus bekannt. Aber „es handelt sich um Wohnungsprostitution, wir können nichts machen“, sagt Thiel. Gemäß der alten Gesetzeslage war es Privatsache, wen Frauen hinter ihrer Wohnungstür zu welchen Bedingungen empfingen. Aber auch diese Regeln wurden verschärft. Die Ausnahme gilt nur noch, wenn eine einzelne Frau in ihrer eigenen Wohnung Freier empfängt, ohne dass ein anderer profitiert – auch nicht der Vermieter oder Untervermieter.

Auch die Stadt Stuttgart tut sich schwer, die neuen Regeln durchzusetzen. „Wir sind nicht so weit, wie wir Anfang des Jahres dachten“, sagt Benno Bartosch vom Ordnungsamt. 137 Bordelle sind auf Bauvorschriften und die charakterliche Eignung ihrer Betreiber zu überprüfen, und nicht jeder lässt die Prozedur willig über sich ergehen. Dabei „sind wir auch mal bereit, ein Auge zuzudrücken“, sagt Bartosch.

Theoretisch müssten alle Stuttgarter Bordelle schließen

Oder beide. Dazu steht eine Grundsatzentscheidung aus. Nicht nur die Landeshauptstadt, aber zuvorderst sie, ließ die Branche in einer Grauzone erblühen. Genehmigt ist kein einziges Bordell. Ungeachtet dessen existiert eine Reihe von ihnen seit Jahrzehnten weitgehend unbehelligt. Bei einer strengen Auslegung der neuen Gesetze müssten alle Betriebe schließen.

„Wir müssen überlegen, wie wir damit umgehen“, sagt Bartosch. Abgesehen von der Formalität spreche wenig für den Radikalschnitt: „Schließlich ist das Ziel des Gesetzes nicht die Prostitution zu unterbinden, sondern die Prostituierten zu schützen.“ Vom Baurecht abgesehen, seien nur im Einzelfall Gründe erkennbar, die Schließungen rechtfertigen würden. Allerdings sind erst knapp die Hälfte der Bordelle erfasst. Wann die Bescheide verschickt werden, ist laut Bartosch nicht absehbar.

Im Gegensatz zu der Reaktion derjenigen, die womöglich einen Schließungsbescheid bekommen: Die Branche hat vielfach ihre Klagefreudigkeit bewiesen. Bartosch ahnt, dass die Betroffenen argumentieren werden, „dass es ihre Betriebe seit Jahrzehnten gibt und das nie ein rechtliches Problem war“ – also gleichsam ein Gewohnheitsrecht einzuklagen versuchen.

Vergleichbares ist auch in Leonberg zu erwarten. Dass die Stadt nach der Schließungswelle dauerhaft frei von Prostitution bleiben würde, war ohnehin eine Illusion. In Leonberg leben knapp 48 000 Menschen. Ab einer Größe von 35 000 Einwohnern können Städte Bordelle kaum mehr verhindern, ab 50 000 ist ein Verbot unmöglich. Lediglich über die Adressen der Betriebe darf das Rathaus mitbestimmen.