Das Haus der Zukunft besteht aus Holz, und zwar kraft Gesetz - so hätte es Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer angesichts des Klimawandels am liebsten. Dagegen gibt es Einwände - ebenfalls wegen des Klimas.

Tübingen - Wenn Boris Palmer (Grüne) aus seinem Bürofenster blickt, sieht er reichlich Holz. Eine jahrhundertealte Fachwerkfassade drückt sich draußen an die andere. Davon möchte der  Tübinger Oberbürgermeister mehr - in neuer Ausführung und auch außerhalb der Altstadt. Bis 2030 will Palmer die Holzbauweise in Tübingen zur Pflicht machen. „Dann müssen alle Gebäudetypen, an denen sie erprobt ist, auch in Holz gebaut werden“, sagt er. Das betreffe etwa sämtliche Wohnhäuser. Sportstadien dagegen wohl nicht.

 

Holzbau ist nachhaltiger

Tübingen soll bis 2030 klimaneutral werden. So hat es der Gemeinderat beschlossen. Die Holzbaupflicht ist für Palmer ein wesentliches Element, um dieses Ziel zu erreichen. Ludger Dederich, Professor für Holzbau an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, stützt die Überzeugung des Rathauschefs: „Holzbau ist ganz klar nachhaltiger als andere Bauweisen.“

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Seinen Angaben nach verschlingen letztere erheblich mehr fossile Energie: Zur Herstellung von Zement und Ziegelsteinen müssen Kalk und Ton gebrannt, zur Produktion von Stahlträgern muss Erz geschmolzen werden. Zudem nehmen Bäume klimaschädliches Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre auf. Das CO2 speichern sie auch dann noch, wenn sie zu Möbeln oder Holzhäusern verarbeitet werden.

Holzhaus nur von geringer Lebensdauer

Allerdings speichert Holz das Kohlenstoffdioxid nicht unendlich - wenn Baumstämme verrotten oder ein Holzhaus abgerissen und sein Baumaterial verbrannt wird, setzt es das eingelagerte CO2 frei. Hannes Zapf, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM), hält die Vorteile von Holzbauten deshalb für „maximal einen Einmaleffekt“. Das Thema Kohlenstoffdioxidausstoß werde schlicht um eine Generation verschoben. Bäume sollen seiner Ansicht nach lieber als CO2-Speicher im Wald bleiben - und die Wälder selbst rein dem Klimaschutz dienen, „ohne Gewinnstreben der öffentlichen Hand“. 

Zapf führt das Lebensende eines Holzhauses als Argument gegen seinen Bau an. Als Wärmequelle verheizt werden könne das Holz dann nicht mehr, sagt der Unternehmer. Weil es zur Imprägnierung chemisch behandelt werde, müsse es als Sondermüll entsorgt werden. Während der Nutzungsphase, da sprechen Dederich und Zapf unisono, unterscheiden sich ein Holz- und ein Mauerwerksgebäude in ihrer Ökobilanz kaum.

Holz kommt aus Ukraine und Rumänien

Für Zapf spricht gerade der Klimawandel mit heißeren Temperaturen gegen eine flächendeckende Holzbauweise in Mitteleuropa: „Aus hochwärmegedämmten Leichtbauten aus Holz, Dämmstoff und Gipskarton bekommen wir die Hitze im Sommer ohne Klimaanlage nicht mehr heraus. Die Städte heizen sich dadurch weiter auf. Anders bei Massivbauten - sie sorgen für Temperaturausgleich, indem sie über ihre Masse die Nachtabkühlung bei offenen Fenstern nutzen.“

Holzhäuser, die gegenwärtig in Deutschland entstehen, taugen nach Einschätzung des DGfM-Vorsitzenden nicht für ein grünes Gewissen. „Das meiste Holz wird aus der Ukraine und Rumänien importiert und dort ganz sicher nicht nachhaltig abgebaut“, sagt Zapf. Bevor Palmer Mauerwerksbau verbiete, müsse er erst einmal dafür sorgen, dass Bauholz aus zertifiziertem Waldbau stamme. Holzbau-Professor Dederich führt an: „Wir haben flächendeckend in Europa eine Waldgesetzgebung, die so rigide ist wie nirgends in der Welt.“

Bauweise hält Klimaänderung stand

Doch wie beeinträchtigt der Klimawandel Holzhäuser selbst? Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Holzforschung kommt zu dem Ergebnis, dass sie der Erderwärmung standhalten. Nach Einschätzung der Wissenschaftler verursachen die für die kommenden 100 Jahre prognostizierten Klimaänderungen keine bauphysikalischen Schäden an dem sensiblen Material.

Dass Extremwetterereignisse wie Stürme und Starkregen künftig stärker in die Bauplanung miteinbezogen werden müssen, betrifft Studienleiter Norbert Rüther zufolge das gesamte Bauwesen. Forschungsbedarf sieht er jedoch beim Thema Schädlinge: „Durch den Temperaturanstieg und kürzere Frostperioden verbessern sich die Lebensbedingungen für holzzerstörende Insekten wie Hausbock und Termiten. Auch über den globalen Handel gelangen neue Arten nach Europa, die hier bisher keine natürlichen Feinde haben.“

Tübingen bekommt Feuerwehrhaus – aus Holz

Für Palmer liegt es unter anderem an den um rund zehn Prozent höheren Kosten gegenüber Betonbauten, dass Holzgebäude hierzulande eine Minderheit sind. Außerdem seien die deutschen Bauvorschriften vollkommen überzogen und getrieben von Brandängsten. In Tübingen entsteht 2020 ein neues Feuerwehrhaus - aus Holz.

Holzbau-Professor Dederich plädiert allerdings statt für eine Holzbaupflicht für eine stärkere Kombination verschiedener Bauweisen. „Wenn wir diese Tübinger Idee bundesweit umsetzen, produzieren wir einen Kahlschlag“, prognostiziert er.