Olaf Scholz wird in der Rückschau als besserer Kanzler gesehen werden, als heute viele glauben. Doch wenn die SPD gewinnen möchte, sollte sie Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten machen, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.
Gerhard Schröder wäre vielleicht nie Kanzler geworden. Wenn, ja wenn Wolfgang Schäuble und andere in der CDU den Mut gefunden hätten, Helmut Kohl zu sagen, dass er nicht mehr der richtige Kandidat war. Heute ist die Ausgangslage von Olaf Scholz für ein Duell mit Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz nach dem Scheitern der Ampelkoalition denkbar schlecht. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine nüchterne Feststellung.
Die Schachfiguren stehen, bildlich betrachtet, für die kommende Wahl für die SPD sehr ungünstig auf dem Brett. Die Partei ist aber in der ungewöhnlichen Lage, dass sie das Brett noch einmal neu aufstellen könnte. Mit Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sie den beliebtesten deutschen Politiker in ihren Reihen. Umfragen zeigen: Die Deutschen würden den Pistorius nicht nur gegenüber Scholz als Kanzlerkandidaten bevorzugen. Pistorius schneidet bei den persönlichen Werten auch besser als CDU-Chef Friedrich Merz. Die SPD sollte mit Boris Pistorius als Kanzlerkandidat antreten.
Scholz steht für die Ampel
In der historischen Rückschau wird Scholz als besserer Kanzler gesehen werden, als dies heute der Fall ist. Seine Zeitenwende-Rede und das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr waren richtige Reaktionen auf den russischen Krieg gegen die Ukraine. Dass Deutschland es in Sachen Energiesicherheit gut über mehrere Kriegswinter geschafft hat, ist eine große Leistung. Doch aktuell steht Scholz in den Augen der Menschen als Kanzler wie kein anderer für die Ampel, die im nervtötenden Dauerstreit zerbrochen ist.
Ja, Scholz hat auch im Wahlkampf 2021 einen großen Rückstand aufgeholt. Damals hofften viele Menschen, er könne mit seinem ruhigen Stil die als solide empfundenen Merkel-Jahre fortsetzen. Die anderen Kandidaten haben damals große Fehler gemacht. Der Kanzler ist ein Meister der Selbstsuggestion und glaubt, er könne den Erfolg wiederholen. Nur: Wer einmal über einen zugefrorenen See gegangen ist, kann deshalb noch lange nicht über Wasser gehen.
Der beste Weg zum Kandidatenwechsel in der SPD wäre, wenn Scholz von sich aus verzichten würde. Der Typ dafür ist er aber nicht. Pistorius könnte nur nach der Kandidatur greifen, wenn die Partei sie ihm anträgt. Danach, dass SPD-Chef Lars Klingbeil und Fraktionschef Rolf Mützenich die Kraft finden, Scholz zum Rückzug zu bewegen, sieht es momentan aber nicht aus. Die Angst vorm Absturz bei der Wahl dürfte in Fraktion und Partei jedoch wachsen. Und damit auch der Druck, womöglich doch noch etwas zu ändern.
Hemdsärmelig und sympathisch
Boris Pistorius ist ein hemdsärmeliger Typ, dessen klare Sprache und offene Art viele Menschen sympathisch finden. Er ist zwar bald seit fast zwei Jahren Verteidigungsminister. Dennoch könnte es mit ihm gelingen, den Menschen zu signalisieren, dass die SPD nach dem Scheitern mit der Ampel ein verändertes Angebot macht. Auch deshalb heißt die beste Chance der SPD Boris Pistorius.
Doch könnten dessen Umfragewerte, falls er tatsächlich Kandidat werden sollte, nicht auch rasch wieder schrumpfen? Ein Kandidatenwechsel ist nicht ohne Risiko, kann aber auch eine ganz neue Dynamik entfachen. Klar ist: Pistorius, hochbeliebt als Verteidigungsminister, müsste schnell auch an Profil bei den Themen Wirtschaft und Soziales gewinnen.
Ein Wahlkampf ohne den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz würde vielleicht auch die Chance eröffnen, dass er sich weniger um die Ampeljahre dreht und mehr um Vorschläge für die Zukunft. Dem Land täte das gut. Denn sowohl Union als auch SPD können noch nachlegen, wenn es um konkrete, realistische und durchgerechnete Ideen geht.