Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach (CDU) war stets loyal zur Kanzlerin. Doch jetzt stimmt er gegen Angela Merkel – er kann nicht anders.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Wer wissen will, wie dieser Mensch tickt, braucht nur ein paar Minuten, um das zu erahnen. Es genügt, auf ihn zu warten, etwa in seinem Abgeordnetenbüro. An der Schranktür hängt ein Zettel, auf dem ein Satz zu lesen ist, der einem Bekenntnis gleichkommt: "Wer sagt, es gehe nicht, sollte den nicht stören, der es versucht."

 

Am Donnerstag versucht Bosbach etwas, das seinem bisherigen politischen Leben vollkommen zu widersprechen scheint. Er selbst ist gleichwohl überzeugt, gar nicht anders handeln zu können, um sich selbst treu zu bleiben. Und er wird sich dabei von niemandem stören lassen. Der 59-jährige Christdemokrat, CDU-Mitglied seit 1972, stimmt gegen eine Ausweitung des Eurorettungsschirms - und damit gegen die Linie seiner Partei, gegen die Regierung, gegen die Kanzlerin, die sich zuvor auf Bosbach verlassen konnte wie auf wenige andere. In der wichtigsten Abstimmung ihrer Amtszeit kann sie es nicht. So standhaft wie Bosbach sind aber nicht viele. In der Union wird erwartet, dass die Kanzlermehrheit steht.

"Ich bin eigentlich ein Harmonietyp", sagt Bosbach über sich. Er wird von vielen Kollegen geschätzt - auch wegen seiner Freundlichkeit und dem unerschütterlichen Frohsinn. Im politischen Betrieb zählt er zu denjenigen, die das Ganze in Gang halten. Er darf als einer der Fleißigsten in diesem ohnehin aufreibenden Geschäft gelten.

"Grenze der Zumutungen ist überschritten"

Seit 1994 vertritt er den Rheinisch-Bergischen Kreis im Parlament. Von 2000 bis Ende 2009 war er stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion. Inzwischen leitet er den Innenausschuss des Bundestags. Bosbach war nie ein Quertreiber, kein Stänkerer, immer loyal, stets präsent und enorm umtriebig. Auf allen Kanälen warb er für die Politik seiner Partei: präzise, klar, ohne Umschweife. Und er hielt schon zu Angela Merkel, als andere in der CDU noch vermeintlich besseren Kanzlerkandidaten huldigten.

Doch jetzt sei "die Grenze der Zumutungen überschritten", sagt er. Die Eurorettung geht ihm zu weit. Er würde Griechenland pleitegehen lassen. Alles andere erschiene ihm als Verrat an den eigenen Überzeugungen. "Ich möchte persönlich zu den Argumenten stehen, mit denen ich damals für die Einführung des Euro geworben habe", erklärt er. Die Risiken, auf die sich die Regierung jetzt einlasse, wolle er nicht mittragen. "Dafür reichst du nicht die Hand", habe er sich vorgenommen. "Auf meinen Wahlplakaten hat nur ein einziges Wort gestanden, nämlich ,geradeaus'. Ich habe nicht ,Zickzack' draufgeschrieben."

Entsprechend kompromisslos verhält er sich jetzt. Er habe "mehr als eine Entscheidung vertreten mit geballter Faust in der Tasche", sagt der CDU-Mann. Seine Neinstimme, die er am Donnerstag abgeben werde, wolle er keineswegs als Misstrauensvotum gegen die Regierung verstanden wissen. Wer jedoch alles abnicke, so Bosbach, "hat seine Aufgabe als Abgeordneter verfehlt".

"Nur nicht umfallen"

Diese Widerborstigkeit findet Respekt - weniger im eigenen Milieu, aber abseits des politischen Parketts, im Wahlkreis, draußen im Lande. "Wildfremde Menschen klopfen dir auf die Schulter und sagen: Nur nicht umfallen", erzählt der Eurorebell. Bosbach will kein Aufwiegler sein. Er habe "keine Propaganda betrieben", versichert er. Fronde zu bilden, würde seinem Verständnis von politischer Aufrichtigkeit widersprechen. Gleichwohl wurde Bosbach zu einer Symbolfigur in der Auseinandersetzung um den Rettungsschirm, die Merkels Koalition bis ins Mark erschüttert.

Böse Zungen in Unionskreisen mutmaßen, der Eurodissident handle aus "Frust". Bosbach hat sich in Merkels Partei große Verdienste erworben, wurde aber nie mit einem Amt belohnt. 2005 galt er als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Innenministers, blieb bei der Regierungsbildung aber unberücksichtigt. Daraus Motive für seine Trotzigkeit im Streit über die richtige Europapolitik abzuleiten wertet Bosbach als "üble Nachrede".

Politische Gemeinheiten machen ihm zu schaffen

"Mer stonn zo Dir" heißt eines der Lieder, die Bosbach unter der Dusche trällert, eine Fußballhymne aus Köln. In der Politik macht er andere Erfahrungen. Natürlich sei "niemand gekommen und hat gesagt, wenn du nicht mit Ja stimmst, reißen wir dir den Kopf ab", erzählt er. Der Kanzlerin und Fraktionschef Volker Kauder habe er seine Argumente in persönlichen Gesprächen dargelegt. Mit beiden sehe er sich ungeachtet des Dissenses "in hundertprozentiger Freundschaft verbunden". Das gilt aber nicht für alle Kollegen. Ihm wurde nahegelegt, besser mal den Mund zu halten. Andere schmähten ihn als "Anti-Europäer".

Solche Anfeindungen setzen Bosbach heftiger zu, als er je eingestehen würde. "Junge, du hast ganz andere Sorgen", sage er sich in solchen Momenten, "du hast schon Schlimmeres durchstanden". Seit Jahren leidet er an einer Herzschwäche. 2010 wurde ein Tumor festgestellt. Und in letzter Zeit hat er auch mit Gichtanfällen zu kämpfen. Er klagt darüber nicht - nicht darüber.

Ein Mann wie Bosbach erträgt Schicksalsschläge mit Gleichmut. Politische Gemeinheiten machen ihm zu schaffen. Es habe ihn seinem Metier entfremdet, dem er sich mit Leib und Seele widmet. Vor einem Vierteljahr sei er noch sicher gewesen, bei der nächsten Wahl wieder anzutreten. Inzwischen ist das nicht mehr so.