Im hauseigenen Archiv wird alles gesammelt, was hilft, die wichtigsten Stationen von Bosch zu rekonstruieren – und den Mythos aufrechtzuerhalten
Stuttgart - Große Schätze verbirgt Bosch im Hinterhof. Wer am Standort Feuerbach das Hauptgebäude durch die Hintertür verlässt, quer über den Hof geht und über ein paar Treppen in das nächste Gebäudes eintritt, den erwartet eine wahre Fundgrube historischer Produkte aus dem Hause Bosch.
Hunderte verschiedene Magnetzündungen, Dieseleinspritzpumpen und Elektrokleinteile liegen vermeintlich wild durcheinander in den Regalschränken, die in ihrer Art typisch für Archive sind. 14.000 verschiedene Erzeugnisse aus mehr als 125 Jahren Unternehmensgeschichte finden hier und im Stockwerk darüber ihren Platz. Und Unordnung herrscht nur auf den ersten Blick.
An jeder Außenseite des Rollschranks klebt ein Zettelchen, auf dem exakt dokumentiert ist, was sich im Inneren verbirgt. "Die einzelnen Objekte sind unter einer Nummer in einer Datenbank verzeichnet, in der die Herkunft, die Bezeichnung, das Alter, der Standort und dergleichen Informationen festgehalten werden", erklärt Dietrich Kuhlgatz, der innerhalb der Abteilung Historische Kommunikation für die Archivierung der Erzeugnisse zuständig ist. Mit einem kräftigen Griff packt er die Kurbel eines Schranks und schiebt ihn nach rechts: "Hier lagern zum Beispiel Variationen von Zündkerzen, die bei Bosch mal gefertigt worden sind." Alle jemals hergestellten Arten könne das Archiv allerdings nicht präsentieren, denn "seit 1902 hat Bosch mehr als zehn Milliarden Zündkerzen in mehr als 20.000 Varianten hergestellt".
Seit 1933 wird gesammelt
Die Erzeugnisse sind nicht das einzige historische Highlight in Feuerbach. Im Keller des Hauptgebäudes lagern 1500 laufende Aktenmeter, 120.000 Fotos, 3500 Filme, 50.000 technische Dokumente, 1000 Plakate und 600 Zeichnungen. Darunter sind Originaltonaufnahmen von Robert Bosch und Geschäftpapiere, die zeigen, wie Bosch in den heute wichtigsten internationalen Märkten Fuß gefasst hat - alles fein säuberlich verpackt in säurefreien Kartons. "Das Papier darf nicht spröde werden, Fotos und Filme müssen auch über Jahre hinweg sicht- und hörbar bleiben", erklärt Kathrin Fastnacht.
Deshalb ist es im Archiv rund um die Uhr exakt 20 Grad warm. "Ja, so ist das bei uns: Wir haben in unseren Büros keine Klimaanlage, aber unsere Akten im Keller haben eine", scherzt die Leiterin der Historischen Kommunikation. Auf den vordersten Rollschränken kleben rote Aufkleber. "Die sind für die Feuerwehr", erklärt Fastnacht. "So weiß sie genau, welche Regale sie bei einem Brand als Erstes retten muss."
Seit 1933 sammeln Archivmitarbeiter Produkte und Dokumente, die helfen, die Unternehmensgeschichte von Bosch zu rekonstruieren. Auch damals stand ein Doppeljubiläum bevor: 1936 wurde Robert Bosch 75 Jahre alt, das Unternehmen 50. Um Produkte und Dokumente aus der Vergangenheit zu finden, wurde schon damals überall gestöbert: auf Flohmärkten, in Auktionshäusern sogar auf dem Sperrmüll - und natürlich im eigenen Haus.
Was nicht archivwürdig ist, wird weggeworfen
Heute muss alles, was Rückschlüsse auf die Unternehmensgeschichte zulässt, dem Archiv angeboten werden, bevor es vernichtet wird. Wichtig seien vor allem Sitzungsunterlagen vom Aufsichtsrat oder der Geschäftsführung, sagt Fastnacht. Auch Verträge mit strategischer Bedeutung und Informationen zu Meilensteinen der Produktgeschichte gehören in die Sammlung. Ebenso Bilanzunterlagen, Jahresabschlüsse und Geschäftsberichte. Häufig lieferten auch Statistiken, Lagepläne oder Werbeplakate interessante Hinweise auf die Historie. "Jede Reisekostenabrechnung oder jede einzelne Rechnung, die in den vergangenen 125 Jahren geschrieben worden ist, brauchen wir allerdings nicht", sagt Fastnacht. "Bekämen wir das alles, würden wir untergehen. Außerdem sind wir nicht die Registratur." Was nicht "archivwürdig" sei, werde weggeschmissen. Alles andere sortiert, restauriert, konserviert und dokumentiert.
Regelmäßig klopfen andere Abteilungen von Bosch beim Archiv an, fragen nach Absatzzahlen für bestimmte Produkte, wichtigen Geschäftspapieren oder brauchen eindrucksvolle Bilder aus der Vergangenheit für Vorträge, Präsentationen oder Messeauftritte. "Kein Geschäftsführer hält eine Rede ohne ein Zitat von Robert Bosch zu verwenden", erzählt Fastnacht. Auch das Personalmarketing greife auf das Archiv zurück. "Das Thema Weiterbildung zum Beispiel ist vielen Bewerbern heute wichtig. Bei Bosch hat es Tradition
." Weil er mit seinem eigenen Lehrherrn unzufrieden war, errichtete Robert Bosch 1913 eine eigenständige Lehrlingsabteilung, in der die Ausbildung des Nachwuchses ständig verbessert werden sollte. "Bei der Mitarbeitersuche können wir mit diesem Beispiel zeigen, welchen Stellenwert die Bildung bei uns hat. Das kommt gut an", sagt Fastnacht. Viele Anfragen ließen sich recht schnell beantworten, erzählt Kuhlgatz. Für ihn ist das Archiv "das kollektive Gedächtnis des Unternehmens" So manche Recherche sei jedoch auch mühsam: "Manchmal muss man für eine einzige Jahreszahl zwei Tage lang in den Keller."
Die wichtigsten Stationen in einem Ausstellungsraum
Bis heute arbeiten ausschließlich die Mitarbeiter der Historischen Kommunikation in Feuerbach die Geschichte von Bosch auf, und das, obwohl der Autozulieferer schon 1905 mit seinem Werk in Paris den ersten Schritt ins Ausland wagte und heute in mehr als 60 Ländern vertreten ist. "Was in den regionalen Gesellschaften passiert und in der Vergangenheit passiert ist, darf nicht verloren gehen," sagt Fastnacht. Aber sie räumt ein: "Ohne entsprechende Sprachkenntnisse ist das schwierig." Deshalb soll es künftig auch an den Auslandsstandorten Archivmitarbeiter geben.
Der kleine Ausstellungsraum mitsamt einem kleinen Bosch-Verkaufsladen, der Fotos vom Ende der 1920er Jahre nachempfunden ist, den die Historische Kommunikation in Feuerbach aufgebaut hat, wird aber weiterhin ein Markenzeichen des deutschen Standorts bleiben. Hier präsentiert Bosch in einem kurzen Rundgang die wichtigsten Stationen in der Unternehmensgeschichte. Von der Gründung im Jahr 1886 bis zum noch jungen Geschäftsbereich Solartechnik.
Auch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich und die damalige Rolle von Bosch wird in der Ausstellung thematisiert. Auf dem kleinen Rundgang gibt es Fotos von Robert Bosch und seiner Familie, von der ersten Werkstatt aus dem Jahr 1886 und dem Gebäude, das Bosch 1900 in der heutigen Breitscheidstraße gekauft hat, zu sehen. Eine zeitgenössische Werkbank, die Magnetzündung, die Bosch berühmt gemacht hat, eine mit einem Bosch-Motor betriebene Haarschneidemaschine, Einspritzpumpen und ein mit Kassette betriebenes Navigationsgerät von Blaupunkt aus dem Jahr 1984 dürfen die Besucher der Ausstellung ebenfalls bewundern. Doch die Besucher sind nicht etwa Touristen.
Bosch verleiht seine Schätze
Mitarbeiter von Bosch, Geschäftspartner, Schüler und ausgewählte Gruppen dürfen sich hier über die Historie des Unternehmens informieren. Ein öffentliches Museum will Bosch nicht bauen, auch wenn es so langsam eng wird in dem kleinen Ausstellungsraum im Hauptgebäude und sich die Zündkerzen und Einspritzpumpen im Archiv stapeln.
"Bosch verfolgt einen dezentralen Ansatz", sagt Kuhlgatz, "wir wollen in den schon vorhandenen Museen ausstellen und nicht nur an einem Standort." Bosch leiht seine Schätze unter anderem an das Haus der Geschichte in Stuttgart, das Deutsche Museum in München und das Deutsche Technikmuseum in Berlin aus. Im nächsten Jahr sollen Museen außerhalb von Deutschland dazukommen. Auch in Kinofilmen entdeckt man mitunter etwas von Bosch. So geschehen 2008 in der Verfilmung des Romans "Der Vorleser" von Bernhard Schlink, sagt Kuhlgatz. "Wer genau guckt, entdeckt ein Radio von uns."
Ein historischer Schatz
Geschichte Im Jahr 1933 wurde das Bosch-Archiv am Standort Feuerbach gegründet. Seitdem sammeln, sichten und erschließen die Mitarbeiter der Historischen Kommunikation alles, was ihnen archivwürdig erscheint. Dazu gehören Sitzungsunterlagen wichtiger Firmengremien, Verträge von strategischer Bedeutung, Bilanzunterlagen, Jahresabschlüsse und Geschäftsberichte sowie Meilensteine der Produktgeschichte. Auch Unterlagen zur wichtigen Persönlichkeiten des Unternehmens und Informationen zu Projekten, Statistiken, Bauzeichnungen, Imagefilme und Werbeplakate sowie Fotos finden sich im Archiv.
Bestände Auf diese Weise ist in den vergangenen 78 Jahren einiges zusammengekommen. Sage und schreibe 1500 laufende Aktenmeter, 120.000 Fotos, 3500 Filme, 14.000 Produkte, 50.000 technische Dokumente, 1000 Plakate und 600 technische Zeichnungen umfasst das Bosch-Archiv heute. Alles fein säuberlich sortiert und in Datenbanken dokumentiert.