Bosch-Chef Denner im Gespräch „Technisch ist der Diesel rehabilitiert“

Denner warnt vor einem zu frühen Ende des Verbrennungsmotors. Foto: factum/Andreas Weise

Volkmar Denner, der Chef des weltgrößten Autozulieferers Bosch, kritisiert eine mögliche Verschärfung der CO2-Grenzwerte für Pkw in Europa scharf. Er befürchtet, dass die Politik das Ende des Verbrenners so schnell besiegelt, dass der Industrie die Zeit davonläuft.

Stuttgart - Der Stuttgarter Technologiekonzern Bosch erwirtschaftet 60 Prozent seines Umsatzes mit der Automobilindustrie. Entsprechend stark wirkt sich die aktuelle Konjunkturschwäche auf das Unternehmen aus. Dazu kommen politische Vorgaben, die laut Bosch-Chef Volkmar Denner dazu führen könnten, dass es in Autoländern wie Baden-Württemberg zu einem Strukturbruch kommt, der viele Arbeitsplätze kostet. Im Interview sagt Denner, wie er den Konzern durch die mageren Jahre führen will und warum die 13 000 Führungskräfte des Konzerns im kommenden Jahr nicht mit einer Gehaltserhöhung rechnen dürfen.

 

Herr Denner, im Moment reißen die Nachrichten über Stellenstreichungen in der Auto- und Zulieferindustrie nicht ab. Manche Menschen äußern gar die Befürchtung, dass Stuttgart das neue Detroit werden könnte. Was entgegnen Sie dem?

Unbestritten, die Lage ist derzeit schwierig. Es treten in der Automobilindustrie aktuell zwei Entwicklungen gleichzeitig auf: Eine deutliche konjunkturelle Abkühlung und fundamentale Veränderungsprozesse in der Mobilität. Das verunsichert viele Menschen. Innovationsstarke Unternehmen wie Bosch oder auch die Autohersteller in Baden-Württemberg und in Deutschland generell haben aber schon oft bewiesen, dass sie solche Veränderungsprozesse bewältigen können. Allerdings braucht es dafür ausreichend Zeit. Was wir können, ist Strukturwandel. Was wir nicht können, ist Strukturbruch.

Aber haben Sie denn diese Zeit? Der Autoindustrie sitzen sowohl die internationalen Wettbewerber als auch politische Regelungen wie etwa die CO2-Vorgaben aus Brüssel im Nacken.

Genau hier besteht das Risiko eines Strukturbruchs. Ich habe die Sorge, dass die Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspekten aus dem Gleichgewicht gerät. Natürlich muss die Politik die Zukunft unseres Planeten sichern, aber dabei muss sie die Menschen mit ihren Ängsten mitnehmen. Und dazu gehört auch die Sorge um den Arbeitsplatz.

Der Druck kommt aber nicht nur aus der Politik, sondern auch aus der Gesellschaft.

Auch in der Gesellschaft sehen Sie durchaus widersprüchliche Interessenlagen. Schauen Sie sich das Beispiel der SUV an. Einerseits werden die sportlichen Geländewagen in der Öffentlichkeit gerade massiv angeprangert. Andererseits machen SUV in Deutschland inzwischen 20 Prozent aller Neufahrzeuge aus. Vor wenigen Jahren war es noch weniger als die Hälfte. Das sind die Kaufentscheidungen von eigenverantwortlich handelnden Menschen. Was wir jetzt brauchen, sind faktenbasierte Diskussionen über den besten Weg zum Klimaschutz und keine unrealistischen Vorgaben, die technisch nicht umsetzbar sind.

Was meinen Sie damit?

Die CO2-Grenzwerte, die Brüssel für den Flottenverbrauch der Autohersteller formuliert hat, sind sehr anspruchsvoll. Von 2021 an dürfen alle neuen Pkw in der EU durchschnittlich nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Bis 2030 müssen die Hersteller die CO2-Werte ihrer Flotte abermals um 37,5 Prozent senken. Nun gibt es im Rahmen der New-Green- Deal-Pläne der neuen Kommission die Überlegung, diese Vorgaben noch einmal zu verschärfen. Derartig anspruchsvolle Grenzwerte bedeuten das Ende des klassischen Verbrennungsmotors mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung der betroffenen Unternehmen. Es reicht dann nicht mehr, über Strukturhilfen nur für Braunkohlereviere nachzudenken. Dann müssen wir uns auch Gedanken über Autoregionen machen. Ein innovativer Standort wie Baden-Württemberg kann den Veränderungsprozess und seine Folgen stemmen, wenn er gut gemanagt wird. Wenn man ihn dagegen dogmatisch über das Knie bricht, wird die Industrie den Wandel nicht bewältigen können. Und dem Klima ist damit auch nicht geholfen, weil noch immer nicht die CO2-Bilanz der ganzen Prozesskette betrachtet wird, sondern nur der Ausstoß des Fahrzeugs im genormten Zyklus. Was ich fordere, ist eine gesamtheitliche Betrachtung. Dann hätte auch der optimierte Verbrenner wieder eine Chance, genau wie die Brennstoffzelle und synthetische Kraftstoffe. So wäre die Mobilitätswende eine große Chance für die deutsche Autoindustrie.

Bosch hat in den vergangenen Jahren noch mal viel Geld in die Revolutionierung der Dieseltechnologie gesteckt, was mit der Hoffnung verbunden war, den Selbstzünder zu rehabilitieren. Das hat nicht funktioniert. Werden die Grenzwerte verschärft, verkürzt das die Zeit, in der der Diesel als Übergangstechnologie funktioniert, noch weiter. Was bedeutet das für Bosch?

Technisch ist der Diesel sehr wohl rehabilitiert. Der Stickoxidausstoß neuester Dieselmotoren ist so gering, dass er praktisch keinen negativen Einfluss mehr auf die Luftqualität hat. Deshalb und wegen seines Klimavorteils wird der Dieselantrieb in der kommenden Dekade insbesondere bei den Nutzfahrzeugen weiterhin die dominierende Rolle spielen. Bei den Pkw ist es in der Tat so, dass der Dieselmarktanteil extrem rückläufig ist. Hier macht sich auch die Unsicherheit der Kunden angesichts der sehr einseitig geführten Diskussion bemerkbar. In Europa hat der Antrieb seit 2015 rund 20 Prozentpunkte verloren. Der Anteil sinkt vergleichbar aber auch in Indien, dem zweitwichtigsten Dieselmarkt für Bosch. Dort wird nächstes Jahr eine neue Abgasstufe eingeführt. Für Bosch bedeuten diese Entwicklungen, dass die Beschäftigung deutlich zurückgeht und weiter zurückgehen wird, da die Herstellung von Dieselantrieben wesentlich personalintensiver ist als alle anderen Antriebsformen.

Sie haben bereits Stellenstreichungen an mehreren deutschen Standorten kommuniziert. Werden weitere Standorte folgen?

Wir schauen uns das Standort für Standort an und passen unsere Kapazitäten den Marktentwicklungen an. Dabei sind wir uns der Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern bewusst. Wir streben sozial verträgliche Lösungen an und wollen diese im engen Schulterschluss mit unseren Betriebsräten und der IG Metall gestalten.

Gibt es defizitäre Standorte?

Wir veröffentlichen die Ergebnisse einzelner Standorte nicht.

Können Sie ausschließen, dass Sie ganze Werke schließen müssen.

Alles hängt von der weiteren Entwicklung ab. Wie gesagt, es ist unser Ziel, den erforderlichen Anpassungsprozess sozial verträglich zu gestalten.

An den Standorten Feuerbach und Schwieberdingen sollen 1600 Stellen abgebaut werden. Derzeit wird mit dem Sozialpartner verhandelt, wie die Kapazitäten abgebaut werden sollen. Wann ist mit einem Ergebnis der Verhandlungen zu rechnen?

An diesem Mittwoch und Donnerstag finden an den beiden Standorten Betriebsversammlungen statt. Dort informieren wir unsere Mitarbeiter über den Stand. Ich will dem nicht vorgreifen.

Was unterscheidet die jetzige Situation von der Wirtschaftskrise im Jahr 2008?

Damals konnten wir eine V-förmige Entwicklung der Weltwirtschaft beobachten. Das heißt, nach einem kurzen Abschwung kam die schnelle Erholung, so dass bereits 2010 wieder das Vorkrisenniveau überschritten wurde. Dieses Mal gehen wir von einer L-förmigen Entwicklung für die Automobilindustrie aus, weil wir bis 2025 nicht mit einer Steigerung der globalen Automobilproduktion rechnen. Wir erwarten, dass das Produktionsvolumen im nächsten Jahr etwa zehn Prozent unter dem Niveau von 2017 liegt. Das entspricht einem Minus von zehn Millionen Fahrzeugen. In der Finanz- und Wirtschaftskrise lag der Rückgang bei minus 16 Prozent. Davon sind wir nicht mehr weit entfernt. Da die ganze Industrie die Beschäftigung und die Infrastruktur an das Produktionsniveau von 2017 angepasst hat, haben wir nun Überkapazitäten, die wir abbauen müssen.

Nächstes Jahr finden Tarifverhandlungen statt. Welchen Spielraum sehen Sie angesichts der eben angesprochenen Themen?

Dazu kann ich nur sagen, dass unsere Führungskräfte und außertariflichen Mitarbeiter im kommenden Jahr keine Gehaltserhöhung erhalten werden. Diese Mitarbeiter erhalten zudem deutlich weniger Bonus, der ja vom Ergebnis des Unternehmens abhängt.

Wie viele Menschen betrifft das?

Weltweit rund 13 000 Mitarbeiter.

Wollen Sie damit an die IG Metall das Signal senden, dass sie auch bei den tariflich Beschäftigten eine Stagnation der Gehälter für den richtigen Weg halten?

Ich will damit sagen, dass ich für eine faire Verteilung der Lasten bin und bei Bosch jeder Mitarbeiter seinen Beitrag wird leisten müssen.

Wie wirkt sich die wirtschaftliche Situation auf das Verhältnis der Hersteller zu den Zulieferern aus?

Grundsätzlich treiben in der Automobilindustrie Hersteller und Zulieferer Innovationen gemeinsam voran. Bosch ist Innovationsführer. Das stärkt unsere Position. Nichtsdestotrotz nimmt der Preisdruck zu, und wir können unsere Lieferanten hier nicht ausklammern. Wichtig ist mir dabei der faire Umgang miteinander. Wir halten beispielsweise Verträge ein und informieren unsere Lieferanten rechtzeitig über erforderliche Schritte und Maßnahmen. Insourcing zulasten unserer Zulieferer betreiben wir nur bei nachgewiesener Wirtschaftlichkeit, nicht zur reinen Beschäftigungssicherung.

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